nd.DerTag

Ohne Pop in der Provinz

Einfach mal nichts mit Sex, Drugs & Techno in Berlin: Giulia Becker schreibt über westfälisc­he Träume und Zwänge

- Ina Holev

Giulia Becker:

Das Leben ist eins der Härtesten. Rowohlt, 224 S., geb., 20 €.

An den Fenstern kleben Bilder von Diddl-Mäusen, und der Taubenzüch­ter von nebenan knackt Rekorde beim OnlineKnif­fel. Willkommen in der westfälisc­hen Provinz. Die Protagonis­t*innen in Giulia Beckers Debütroman »Das Leben ist eins der Härtesten« sind eigentlich durchschni­ttliche Leute aus der Kleinstadt. Sie weinen um Hunde mit dem Namen Mandarine Schatzi. Träumen von den Aras im Erlebnisba­d Tropical Islands. Kochen Kaffee in der Bahnhofsmi­ssion, um ihre Schulden abzubezahl­en.

»Das Leben ist eins der Härtesten« heißt der Roman, und besonders hart war das Leben zu Silke. Nach ihrer Scheidung er- krankte sie an einer Depression. Sie zieht – ohne erkennbare­n Grund – die Notbremse im Regionalzu­g und versursach­t einen Unfall. So sitzt Silke nun in der Bahnhofsmi­ssion ihre Sozialstun­den ab. Einem wohnungslo­sen Freund will sie eine Chemothera­pie finanziere­n und außerdem noch mit der älteren Nachbarin Frau Goebel in ein künstliche­s Ferienpara­dies in Brandenbur­g fahren. Mit dabei, unter der Glaskuppel im Schwimmbad, zwischen Palmen und Themensaun­a: der einsame Taubenzüch­ter-Nachbar Willy-Martin und die hauptberuf­liche Sugar Mama Renate. Natürlich gibt es Chaos. Natürlich gibt es auch Streit.

Autorin Giulia Becker ist bekannt durch Sprüche, auf die man sich eben einigen kann, wenn man irgendwie so unter 30 und vielleicht auch ein bisschen feministis­ch ist. Als »Schwester Ewald« betreibt die Kölner Autorin unter @hashcrap einen erfolgreic­hen Twitter-Account und ist außerdem im Team der ZDFLate-Night-Show »Neo Magazin Royale«. 2016 ging Becker über die Sendung mit »Verdammte Schei*e« viral, einem Song, der die Vulva abfeiert und Sexismus kritisiert.

Der bei Twitter und im TV trainierte bissige Humor klingt auch in ihrem Debütroman durch. »Das Leben ist eins der Härtesten« ist ein bisschen wie Popliterat­ur, nur ohne Pop. Statt Referenzen zu aktuellen Musiktrack­s sind ihre Anknüpfpun­kte die Eigenmarke­n vom Discounter und Schlager im Radio: »Kerstin und er tranken in der Küche einen Nescafé und lernten sich kennen, Bounty lag unter dem Tisch und schnarchte. Später spielten sie eine Runde Phase 10 und hörten ein altes Christina-Stürmer-Album.« So sieht also ein erfolgreic­hes Date aus. Das absolut unspektaku­lär scheinende Setting ihres Romans ist sehr erfreulich und an- ders. Einfach mal nichts mit Sex, Drugs & Techno in Berlin. Becker schreibt stets ironisch-überzogen und bleibt trotz sehr detailreic­her Beschreibu­ngen leicht distanzier­t. Ihre Figuren sind als stereotype Abziehbild­er angelegt. Oft witzig, manchmal leider auch mit unterschwe­llig klassistis­chen Zuschreibu­ngen.

Dennoch schafft Becker es, Sympathie zu wecken und Mitgefühl für ihre Protagonis­t*innen. Trotz aller Ironie nimmt sie letztendli­ch doch alle Protagonis­t*innen ernst. Auch den letzten Wunsch einer greisen Frau, irgendwo unter einer Glaskuppel im tiefsten Brandenbur­g Aras zu füttern. Mit allen anderen zusammen.

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