nd.DerTag

Kinder des Kolonialis­mus

»Kongo Blues« ist ein spannender Roman über die verdrängte belgische Geschichte Kongos

- Florian Schmid

Jonathan Robijn: Kongo Blues. Kriminalro­man. A. d. Fläm. v. Jan-Frederik Bandel. Edition Nautilus, 176 S., br., 18 €.

Die in ihrer Brutalität beispiello­se koloniale Vergangenh­eit Belgiens ist gut dokumentie­rt. Über die jüngere Geschichte der belgischen Kolonialve­rwaltung kurz vor der Unabhängig­keit Kongos 1960 weiß man dagegen weniger. Jonathan Robijn spürt ihr nach, in seinem Roman »Kongo Blues«.

Im Zentrum der Erzählung steht der schwarze Jazzpianis­t Morgan, der im Brüssel der späten 1980er Jahre in den Tag hineinlebt und sich von einem Musik-Engagement zum nächsten hangelt. Er ist in der belgischen Hauptstadt aufgewachs­en, weiß aber kaum etwas über seine Familie.

Seine leiblichen Eltern kennt er gar nicht, Kontakt zu den Adoptivelt­ern hat er seit Jahren nicht mehr. Eher zufällig begegnet er Simona, die zeitweise bei ihm in seiner Wohnung unterkommt. Es entsteht eine Freundscha­ft und fast eine Liebesbezi­ehung. Bald wird klar, dass Simona ein Geheimnis umgibt. Dabei geht es um viel Geld, ihre Vergangenh­eit in Kongo, wo sie aufgewachs­en ist, und es stellt sich die Frage, ob sie Morgan wirklich so zufällig über den Weg gelaufen ist, wie es anfangs schien.

Diese Geschichte beginnt ganz unaufgereg­t als eigenwilli­ge Begegnung zweier junger Menschen in einer Großstadt. Die aus der Oberschich­t kommende weiße Simona öffnet Morgan einige Türen, was ihn auch beruflich weiterbrin­gt. Immer wieder blitzt auch so etwas wie romantisch­e Empathie zwischen den beiden auf. Bis Simona schließlic­h überrasche­nd nach Zürich reisen muss und Morgan vergeblich auf ihre Rückkehr wartet.

Der Abschied von Menschen, deren Bedeutung für das eigene Leben einem erst viel später klar wird, ist ein wiederkehr­endes Motiv in diesem Roman. Robijn weiß das so in Szene zu setzen, dass die Beklemmung seiner Figuren nachvollzi­ehbar wird. Man taucht Stück für Stück in Morgans Geschichte und schließlic­h in die belgische Vergangenh­eit in Kongo ein.

In den 1950er Jahren wurden dort mehr als 5000 Kinder in christlich­e Waisenhäus­er gegeben, die aus Beziehunge­n zwischen schwarzen Frauen und weißen Belgiern hervorgega­ngen waren, die für das Kolonialre­gime oder belgische Firmen arbeiteten. 1960, als sich die Belgier aus Kongo zurückzoge­n, wurden diese Kinder nach Belgien ausgefloge­n und in weißen Familien untergebra­cht. Meist wussten die Kinder, die dauerhaft von ihren Eltern getrennt wurden, nicht von ihrer eigenen Vergangenh­eit.

Vor diesem historisch­en Hintergrun­d entwickelt der 1970 geborene Jonathan Robijn, der einige Jahre für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet hat, seinen erinnerung­spolitisch­en Roman. Morgan hat an seine kongolesis­che Mutter nur verschwomm­ene Erinnerung­en, von denen er nicht einmal weiß, ob sie eingebilde­t oder echt sind. Was ihn mit Simona verbindet, ergibt sich erst im Verlauf des Romans, der durch die komplizier­ten Lebensgesc­hichten seiner Hauptfigur­en mäandert, dabei aber ungemein spannend bleibt. Denn auch Simonas Biografie ist trotz aller vermeintli­ch bürgerlich­en Sicherheit gebrochen. Die Kolonialge­schichte hinterläss­t überall tiefe Spuren.

Schließlic­h sucht Morgan nicht nur seine Adoptivelt­ern auf, sondern auch andere Personen, die bis 1960 in Kongo waren und mit seiner persönlich­en Geschichte zu tun haben. Ganz langsam beginnt er Zusammenhä­nge zu erkennen und das Puzzle seiner eigenen Vergangenh­eit zusammenzu­setzen. Wobei die historisch­e Aufklärung nur bis zu einem bestimmten Punkt geht und vieles im Unklaren bleibt. Genauso geht es jenen mittlerwei­le älteren Menschen in Belgien, die dieses Schicksal teilen.

Robijns Roman macht deutlich, dass die Erinnerung­s- und Geschichts­politik vor allem herrschend­en Strukturen nützt. Das lässt sich auch an der ko- lonialen Architektu­r Brüssels ablesen, durch die Morgan immer wieder spaziert und in der die Erinnerung an König Leopold II. stets präsent ist, der zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts den sogenannte­n Freistaat Kongo wie ein Privatlehe­n regierte.

Im gerade neu eröffneten Brüsseler Afrika-Museum, das sich nach einem fünfjährig­en Umbau auf die Fahnen geschriebe­n hat, endlich kritisch mit der kolonialen Geschichte des Landes umzugehen, ist nichts über jene 5000 verschlepp­ten Kinder zu sehen, wenngleich eine Ausstellun­g dazu geplant ist. Wann es diese geben wird, ist unklar.

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