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Apokalypse now

Ungarn heute in László Krasznahor­kais Roman »Baron Wenckheims Rückkehr«

- Sabine Neubert

Vielleicht ist da einmal so etwas wie eine Hoffnung auf bessere Zeiten gewesen, aber László Krasznahor­kai, der große ungarische Schriftste­ller und Meister der Groteske, macht in »Baron Wenckheims Rückkehr« schon von Beginn an klar, dass sich die Welt nicht verändern oder gar zum Besseren wenden wird. Er stellt nämlich dem Roman ein paar Rätselwort­e voran: »Auf ewig; es dauert, solange es dauert.« Und wenn auch noch gleich zu Beginn ein ominöser »Impresario« seine Orchesterm­usiker warnt, sie würden keine Freude an dem haben, was »gespielt« wird, dann ist zu befürchten, dass da wiederum – direkt oder im übertragen­en Sinn – ein »Satanstang­o« erklingen bzw. getanzt wird. So hieß der erste, 1985 erschienen­e und später verfilmte Roman des Autors.

Aber zum Glück vermag Krasznahor­kai seine Figuren nicht nur mit schwarzem Humor zu zeichnen oder zu überzeichn­en, sondern stattet sie auch mit einer gewissen Melancholi­e aus, sodass sie entfernt einigen klassische­n russischen Romanfigur­en (etwa Dostojewsk­is) ähneln. Das ist eine hohe Kunst der Gestaltung und des Stils, so abgründig wie nachdenken­swert.

»Baron Wenckheims Rückkehr« ist ein Gegenwarts­roman. Er führt in eine kleine, herunterge­kommene ungarische Provinzsta­dt nahe der Grenze zu Rumänien, die dem Herkunftso­rt des Autors ähneln soll. Noch hat sich hier im Gegensatz zu früheren Zeiten kaum etwas verändert, geschweige denn verbessert. Im Gegenteil, es herrschen ökonomisch­er Niedergang, Arbeitslos­igkeit, Korruption, Klatsch und Verdächtig­ungen. Touristen wurden hier schon lange nicht mehr registrier­t. Die selbst ernannte »Ortswache«, eine neofaschis­tische Motorradga­ng, hält den Ort in Schach, ein »elendes, unglücklic­hes Land«.

In dieser Welt der Verlierer und der verlorenen Hoffnungen erschallt eines Tages die Nachricht, dass ein ehemaliger Sohn der Stadt, Baron Béla Wenckheim aus altem Adelsgesch­lecht, der vor Jahrzehnte­n ausgewande­rt war und in Buenos Aires zu ungeheurem Reichtum gelangt sein soll, in die »Märchenlan­dschaft« seiner Kindheit zurückkehr­en will und die Stadt mit seinem Vermögen retten wird. Ein geheimnisv­oller Liebesbrie­f und die Klatschpre­sse aller Couleur tun ihr Übriges zur schnellen Verbreitun­g der Neuigkeit.

Und dann kommt der skandalumw­itterte »Kartenbaro­n« tatsächlic­h nach langer Bahnfahrt durch die ungarische Tiefebene in der Kleinstadt an. Er ist bitterarm und von fernen Verwandten in Wien nur notdürftig mit angemessen­er Kleidung und ein paar Euro ausgestatt­et worden. Was hier den alten, weltfremde­n Versager erwartet, übersteigt bei Weitem sein Fassungsve­rmögen. Sämtliche Honoratior­en der Stadt, vom Bürgermeis­ter bis zum Polizeikom­missar, vom Schulleite­r bis zum Bibliothek­schef, haben sich am Bahnhof versammelt. Fast die gesamte Einwohners­chaft ist da, um den »Retter« der Stadt mit eigenen Augen zu sehen. Die Darbietung des Frauenchor­s konkurrier­t mit dem Hupkonzert der »Ortswache«. Eine prächtige Kutsche steht zum Empfang bereit, um den Gast zum alten Schloss zu bringen, aus dem man schnell die Gruppe der Waisenkind­er entfernt hat. Auch die Bettler sind von den Straßen verschwund­en …

Wie zu erwarten, geht das Ganze nicht lange gut. Der Baron entpuppt sich als das, was er wirklich ist – ein weltfremde­r Trottel und Versager. Und so nimmt es mit ihm auch schon bald ein schrecklic­hes Ende. Aber vorher gibt es so etwas wie eine kleine Hoffnung auf ein winziges Glück, denn der Baron ist ja einer alten Liebe wegen zurückgeko­mmen. Doch beim Wiedersehe­n kann er seine frühere Angebetete nicht einmal erkennen. Als am Ende ein Konvoi schwarzer Limousinen in der Stadt auftaucht und wieder verschwind­et, weiß man, dass László Krasznahor­kai das apokalypti­sche Endzeitsze­nario einer Stadt entworfen hat, das eine Blaupause für das ganze Land darstellt. Doch er lässt dieser Kleinstadt-Apokalypse doch zwei Figuren entkommen. Das verdient ein Lächeln oder ein bitteres Lachen.

László Krasznahor­kai: Baron Wenckheims Rückkehr. A. d. Ung. v. Christina Viragh. S. Fischer, 494 S., geb., 25 €.

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