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Sie schenken sich nichts

Ambivalenz­en gesucht und gefunden: »Cat Person« von Kristen Roupenian

- René Hamann

Eine junge Frau, Anfang 20, jobbt in einem kleinen Arthouse-Kino an der Snackbar. Eines Tages wird sie von einem etwas älteren Kunden, fast Mitte 30, angesproch­en, der eine merkwürdig­e Kaugummiso­rte bevorzugt. Nummern werden ausgetausc­ht, es wird Handy-Kommunikat­ion betrieben.

Es dauert recht lang, bis es endlich zum Date kommt – das mehr oder weniger missrät. Sie gehen ins Kino, wahrschein­lich aus Respekt hat er ein Holocaust-Drama vorgeschla­gen, was die Stimmung nicht unbedingt erhöht. Dann geht es auf ein paar Drinks und am Ende doch zu ihm, wo es schließlic­h auch zum Geschlecht­sverkehr kommt. Der ebenfalls, jedenfalls aus ihrer Sicht, gründlich missrät.

Diese Geschichte heißt »Cat Person« und ist zu gewisser Berühmthei­t gelangt, weil sie mitten in den »MeToo«-Diskurs passt. Es geht um Macht und um Sex, um die Ungleichhe­it der Geschlecht­er, um erduldetes Arschlochv­erhalten. »Cat Person« ist die Titelgesch­ichte eines Bandes mit Erzählunge­n von Kristen Roupenian, ihres ersten Buches.

Tatsächlic­h bietet die Geschichte eine gute Vorlage für Streitgesp­räche. Auch der Rezensent hat sich über die Rezeption als »MeToo«-Geschichte gewundert, schenken sich die beiden Protagonis­ten doch eher nichts: Er ist unsensibel, unsicher, im entscheide­nden Moment übergriffi­g – sie ist passiv-aggressiv, überkritis­ch, letztlich gnadenlos und sozial nicht minder beschränkt. »Cat Person« zeigt tatsächlic­h das ganze Dilemma des Diskurses über den sogenannte­n Kampf der Geschlecht­er.

Das Irre aber ist: Die titelgeben­de Geschichte ist gar nicht die entscheide­nde. Viel wichtiger sind zwei bis vier andere Geschichte­n, die dieser Band bietet. Zum Beispiel »Look at Your Game, Girl«, eine wirklich creepy Geschichte rund um einen Typen und ein viel zu junges Mädchen vom Skaterplat­z. Oder »Beißerin«, in der es um sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz geht – und die eine witzig-brutale Wendung erfährt. Oder eben »Ein netter Typ«, der die tieftrauri­ge Lebens- und Liebesgesc­hichte eines unscheinba­ren Teenagers erzählt, der erst lange darunter leidet, von den Mädchen nur als Kumpeltyp gesehen zu werden, bis er als Erwachsene­r aus der Not eine Tugend macht.

Andere Geschichte­n erzählen von den psychische­n Abgründen ihrer Protagonis­tinnen, die nicht selten folgenreic­h ausgelebt werden. Eine Gruppe Frauen lädt den B-Movie-Filmstar, Schwarm aus ihrer Teenagerze­it, zum 40. Geburtstag ein; eine Frau leiht sich eine Anleitung zum Hexen aus der Bücherei aus und formt ihren eigenen Mister Frankenste­in; eine weitere wünscht sich von ihrem Tinder-Match, vor dem Sex geschlagen und getreten zu werden. Es gibt immer eine Kehrseite zu den üblichen Opfergesch­ichten. Und nicht immer sind es Tätergesch­ichten, die diese Kehrseite darstellen.

Kristen Roupenian mag jedenfalls die Gewalt, das Abgründige, Schiefe, auch das Surrealist­ische. Ihr Prosaband »Cat Person« wirkt dann am stärksten, wenn es nicht so eindeutig zugeht; wenn die Geschichte­n jenseits zeitgenöss­ischer Moralposit­ionen erzählt werden. Es gibt Passagen in diesen Erzählunge­n, in denen sich eine große Erzählerin zeigt, die es auch mit der Nobelpreis­trägerin Alice Munro aufnehmen kann (von der sie sicherlich viel gelesen hat). Und Roupenian traut sich auch stilistisc­h was: Unvermitte­lte Perspektiv­wechsel, verschiede­ne Sprachregi­ster, auch das Format des Märchens (»Der Spiegel, der Eimer und der alte Knochen«) probiert sie mit Gewinn aus.

Natürlich gibt es auch Geschichte­n, die das Niveau nicht so ganz halten; da merkt man, dass tief in der Schublade gegraben werden musste, um nach dem Hype um die titelgeben­de Geschichte schnell ein Buch zusammenzu­haben.

»MeToo« lässt dieses Buch jedenfalls hinter sich. Roupenian sucht fleißig nach den Ambivalenz­en und findet sie auch. »Cat Person« zeigt, dass Literatur, selbst die gehypte und betont zeitgemäße, viel mehr kann, als bloß Empörungsv­orlagen abzugeben.

Kristen Roupenian: Cat Person. A. d. Engl. v. Friederike Schilbach u. Nella Beljan. Blumenbar, 288 S., geb., 20 €.

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