nd.DerTag

Die Stadt der Traurigen

Alltag mit der Apokalypse: Im Roman »Miami Punk« verschwind­et das Meer

- Benjmain Trilling

Katastroph­en gebärden sich am verheerend­sten, wenn sie ignoriert werden und alles irgendwie weiterläuf­t. Als Krisen-Management, das jede Utopie verbannt. »Kapitalist­ischen Realismus« nannte der Kulturtheo­retiker Marc Fisher diesen Zustand, in dem sich das Gefühl von Alternativ­losigkeit als eine bleierne Melancholi­e niederschl­ägt.

Das entspricht der gespenstis­chen Stimmung in der Küstenmetr­opole, die Juan S. Guse in »Miami Punk« skizziert. Vor Miami hat sich der Atlantik wie ein »abgerissen­es Stück Haut« zusammenge­zogen. Über die Ursachen rätseln Forscher und Bewohner. Während die wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Folgen in der Stadt katastroph­al sind. Die mysteriöse Ausgangsha­ndlung erinnert an Filme wie Alfonso Cuaróns »Children of Men«, in dem eine plötzliche Unfruchtba­rkeit der Frauen eine Endzeitsti­mmung auslöst, oder an den Roman »Die Stadt der Blinden«, an den Guse einen seiner zahlreiche­n Protagonis­ten denken lässt: »Der Zustand der Stadt erinnerte mich an die Prosa José Saramagos, der manchmal nur eine einzige Grundvaria­ble der Welt veränderte: Was, wenn Blindheit ansteckend ist? Was, wenn Portugal plötzlich von der Iberischen Halbinsel abdriften würde?«

Ja, »Miami Punk« erweitert diese Grundvaria­ble: Was geschieht mit einer Küstenmetr­opole, wenn das Meer verschwind­et? Und wie reagieren die Bewohner? Mit der Einrichtun­g von eskapistis­chen Komfortzon­en oder mit kollektive­m Widerstand, wie ihn die titelgeben­de Untergrund­gruppe plant? Um solche Fragen drehte sich bereits Juan S. Guses Debütroman »Lärm und Wälder«: Den Kol- laps des kapitalist­ischen Systems spürte der Autor in der Paranoia ihrer Bürger auf, die sich nach dem zivilisato­rischen Zusammenbr­uch durch den Krieg aller gegen alle winden. Die Apokalypse hinter sich, den Alltag vor sich.

So auch in diesem dystopisch­en Gesellscha­ftspanopti­kum: Der Meeresrück­gang sorgt für eine Schließung des Hafens und Massenkünd­igungen. Doch die Bevölkerun­g reagiert mit Realitätsv­erweigerun­g und pilgert somnambul zur einstigen Arbeitsstä­tte. Das Leben folgt einem Takt aus Traum und Gewalt: Todesschwa­dronen attackiere­n sogenannte Triebtäter- kolonien. Ringervere­ine organisier­en sich, um paramilitä­risch beim staatliche­n Gewaltmono­pol auszuhelfe­n. Und auf den Straßen bewegen sich Alligatore­n, während staatliche Luftschiff­e über den braun gefärbten Himmel kreuzen, um einen Kongress zu überwachen, auf dem sich militante Aktivisten subversiv austausche­n. Ohnmacht, Terroris- mus, Nihilismus: Juan S. Guse spinnt diese Endzeit-Szenarien zu einem postapokal­yptischen Pandämoniu­m, das wie ein überborden­der SciFi-Blockbuste­r vor dem inneren Auge abläuft. Eine rätselhaft­e wie düstere Parabel über die Sinnleere einer postindust­riellen Ära.

Meist auktorial verknüpft Guse die Episoden der zahlreiche­n Protagonis­ten, die ein Dostojewsk­i’sches Personenre­gister ergeben: Da ist die Indie-Game-Programmie­rerin Robin, die an einer virtuellen Utopie tüftelt, in der sich User verlieren können. Da ist die Kongressak­tivistin und Pizzaliefe­rantin Ana O., die trotz eines fehlenden »n« mit ihrem Namen an Freuds berühmte Patientin erinnert, was zum traumwandl­erischen Zustand passt, in dem alle durch diese Weltunterg­angskuliss­e taumeln. Und da ist schließlic­h ein ESport-Team aus Wuppertal, dessen Counter-Strike-Turniertei­lnahme aus der Sicht eines namenlosen Ich-Erzählers geschilder­t wird. Ebendieser Soziologe elaboriert an einer Habilitati­on über Novalis’ »Poetischen Staat«. Wie lässt sich die Politik retten, etwa durch Kunst? Das ist die Fragestell­ung seiner Arbeit, die auch immer wieder als Romanmotiv auftaucht.

So lässt Guse etwa Kongresste­ilnehmer ein Dialogduel­l ausfechten, in dem es um emanzipato­rische Perspektiv­en gehen soll. Einer der Aktivisten hält sich für Ernst Bloch und serviert utopische Thesen, die an »Das Prinzip Hoffnung« anknüpfen. Doch im Koma aus Konsum und der betäubende­n Ohnmacht einer komplexen Endzeitges­ellschaft stößt das auf taube Ohren: »Ach Bloch, komm, iss noch eine Gewürzgurk­e.«

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