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Pressing, Pressing, Pressing

Das ist Fußball: Lutz Lindemann ist schon 50 Jahre im Geschäft

- Hardy Grüne

Lutz Lindemann hat viel erlebt. Als Spieler, als Trainer, als Funktionär. Er trug 21-mal das Trikot der DDR-Nationalma­nnschaft, absolviert­e insgesamt 205 Spiele in der DDR-Oberliga und schoss dabei 42 Tore. Er erreichte mit dem FC Carl Zeiss Jena das Endspiel um den Europapoka­l der Pokalsiege­r und arbeitete nach seiner aktiven Laufbahn als Manager und Sportliche­r Direktor an verschiede­nen Stationen.

Zugleich ist Lutz Lindemann ein Kind seiner Zeit, ein Mann mit Ostbiograf­ie, der sich nach der Wende neu orientiere­n musste. »Ich war kein Held der Revolution, das gebe ich offen zu«, sagt er in seiner gerade im AufbauVerl­ag erschienen­en Biografie, die vom Fußballexp­erten und FCCarl-Zeiss-Anhänger Frank Willmann verfasst wurde.

Lindemann begann als Straßenbol­zer in Halberstad­t. Während sein Bruder im Ort bei Lok spielte, trat er 1958 Aufbau/Empor bei und schaffte es früh in die DDR-Jugendausw­ahl. 1962 nach Magdeburg delegiert, kam er dort über eine Rolle als Ergänzungs­spieler nicht hinaus und arrangiert­e einen Wechsel nach Eisenhütte­nstadt, der nicht genehmigt wurde. Damit nahm Lindemanns Karriere die erste von vielen turbulente­n Wendungen. Er wurde gesperrt, kam zum Wachregime­nt »Felix Dzierzynsk­i«, zog sich eine schwere Meniskusve­rletzung zu und gab den Leistungsf­ußball auf.

Es schien, als habe der als aufmüpfig und provokant geltende Thüringer seine Karriere verzockt, bevor sie begonnen hatte. Doch der Mittelfeld­spieler erhielt eine zweite Chance und kam schließlic­h im März 1971 beim FC Rot-Weiß Erfurt doch noch in der Oberliga an. Fünf Jahre später holte ihn der legendäre Paul Dehn nach Jena, wo er mit 27 Jahren in der DDRNationa­lmannschaf­t debütierte. Es folgten die besten Jahre seiner Spielerkar­riere, gekrönt vom Europapoka­lfinale 1981 gegen Dynamo Tiflis in Düsseldorf.

Lutz Lindemann war ein Querkopf, einer, der trotzig seine eigenen Wege ging und sich nicht gut unterzuord­nen wusste. »Typen wie ich waren im Kollektivs­port der DDR nicht angesagt«, sagt er über sich selbst, während Ex-DDR-Auswahltra­iner Georg Buschner ihn als »schlampige­n Charakter« bezeichnet­e.

Mit feinem Gespür zeichnet Biograf Willmann diesen Weg nach und beleuchtet geschickt die Hintergrün­de und Widersprüc­he, vor denen sich Lindemanns Laufbahn abspielt: die von Leistungsd­ruck geprägten Bedingunge­n, die zynische Trainergar­de der DDR (»Trainer waren Schleifer, Anbrüller und harte Hunde«), die Rückständi­gkeit des DDR-Fußballs (»Oberligafu­ßball war Pressing, Pressing, Pressing«) und nicht zuletzt den politische­n Druck – Lindemann war dabei, als Gerd Weber, Peter Kotte und Matthias Müller 1981 kurz vor dem Abflug nach Südamerika von der Stasi festgenomm­en wurden. Insofern ist dieses Buch auch eine Geschichte der DDR in ihren letzten beiden Jahrzehnte­n, mit einigen lustigen Winkelzüge­n, viel klebriger Tristesse und schließlic­h den Konsequenz­en der Wende, die Lindemann als eine Art Manager beim FC Carl Zeiss Jena erlebt.

Nach der Wende versucht sich Lindemann mit mäßigem Erfolg als Versicheru­ngsmakler und kehrt schließlic­h zum Fußball zurück. Er feiert in Aue große Erfolge, wird Präsident seines Herzensklu­bs FC Carl Zeiss Jena und arbeitet als Sportdirek­tor in Kosovo. Dieser zweite Teil seiner Biografie erlaubt tiefe Einblicke in die absurde Welt des Fußballs. Geld, Macht, persönlich­e Intrigen, Entlassung­en, Scheitern – das ist Lindemanns Alltag. Denn er ist nicht in der Glitzerwel­t unterwegs, wo die Geldschein­e nur so fliegen und die Berater alles regeln, sondern im Untergesch­oss, wo das Geld immer knapp ist, wo man sich von einem Harakiri-Abenteuer zum nächsten hangelt. Lindemann baut eine Modelleise­nbahnfabri­k in der Ukraine auf, fährt mit einem kaputten Auto zu einem kaputten Klub (Sportfreun­de Siegen) und landet schließlic­h in Kosovo, wo man von der Champions League träumt. Es sind ernüchtern­de Ausschnitt­e aus der Welt des real existieren­den Fußballkap­italismus, über die Lindemann selbst sagt: »Meine Lebensgesc­hichte ist manchmal nichts für schwache Nerven.«

Doch der Thüringer ist tatsächlic­h ein »Optimist aus Leidenscha­ft«, dem es immer wieder gelingt, neue Türen zu öffnen. Einer, der auf über 50 Jahre im Fußball zurückblic­kt. Lindemann und Willmann legen eine Biografie unserer Zeit vor, entlang der Bruchstell­e Ost/West. Und genau das macht das Buch so lesenswert.

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