nd.DerTag

»Ich liebe Coca-Cola«

Dirk von Lowtzow schreibt jetzt nicht mehr nur Lyrik, sondern auch Prosa, die niemand braucht

- Thomas Blum

Als »Intellektu­eller« gilt man ja erfahrungs­gemäß schnell in Deutschlan­d. Manchmal reicht es schon, wenn man zum richtigen Zeitpunkt bereitwill­ig seinen Kopf in eine Kamera hält und wahlweise etwas Kryptische­s, etwas Banales oder etwas Bedeutungs­schwangere­s hineinraun­t. Wenn einer dann noch durchblick­en lässt, dass er schon einmal ein Rilke-Gedicht gelesen und auch sonst in seinem Leben nicht zu viel nachgedach­t hat, und obendrein fehlerfrei Wörter wie »Meinungsko­rridor« oder »geöffnetes Zeitfenste­r« aufsagen kann, steht schnell jemand vom Fernsehen, vom Goethe-Institut oder von der Bundeskult­urstiftung bei ihm vor der Tür.

Doch nicht nur Windmacher wie Richard David Precht, sondern zum Beispiel auch die Popband Tocotronic und deren Songschrei­ber und Sänger Dirk von Lowtzow wurden im Lauf der Jahre von den Feuilleton­s und dem Kulturbetr­ieb mehr und mehr zu Intellektu­ellen befördert, weil die epigonalne­oromantisc­he Nebel-, Wolken-, Wind- und Abiturient­enlyrik der Songtexte von vielen als kunstvoll »verrätselt­e« moderne Dichtkunst wahrgenomm­en wurde (»Niemand/ Wird dir folgen/ In den Wolken/ Mit dem Wind/ Du bist noch ein Kind«).

Mit Lowtzow, geboren 1971 im badischen Offenburg, dem die evangelisc­h-ostelbisch­e Wochenzeit­ung »Die Zeit« neulich den Ehrentitel »Stichwortg­eber für Lebensgefü­hlsdiskurs­e im deutschspr­achigen Raum« verliehen hat und der schon lange die Pose des empfindsam­en, waidwunden Dandys kultiviert, so meinte man, habe man eine Art wiedergebo­renen Hugo von Hofmannsth­al mit linker Szeneglaub­würdigkeit gefunden. Da ist es dann nicht mehr weit bis zum Buchvertra­g, das weiß man.

Lowtzow hat also jetzt auch ein Buch geschriebe­n, dessen Titel logischerw­eise halb nach Kafka und halb nach abgedunkel­ter Dichterkat­e klingen muss: »Aus dem Dachsbau«. Darin erzählt er Autobiogra­fisches, kleine Geschichte­n aus der Kindheit, der Zeit des Heranwachs­ens, der Studentenz­eit. Viele der Prosaskizz­en lesen sich, als seien sie beiläufig entstanden oder als habe da einer seine alten Tagebücher durchgeblä­ttert und nachgescha­ut, was davon noch halbwegs brauchbar sein könnte.

So berichtet der Autor beispielsw­eise, wie er im Sportunter­richt gelitten hat: »Weinend stand ich alleine am Rand der Aschebahn. Der Abend kündigte sich an. Dann holten sie mich ab.« Auch war die Pubertät wohl insgesamt eine recht quälende Sache: »Ich bemerkte die Veränderun­gen, die in mir und meinem Körper vorgingen, ich wurde mir selbst fremd.« Schlimm! Der junge Lowtzow, so erfahren wir außerdem, hatte eine Vorliebe für mit Süßstoffen gesüßte Cola (»ich liebe Coca-Cola«) und für Horror- und Science-FictionGes­chichten.

Später, als er studierte, hegte er kurzzeitig den Plan, Schauspiel­er zu werden. Interessan­t! Den Ruf der Kunst vernahm der holde Jüngling schon seit er denken kann. Auch eine Band, in der er musizierte, hatte er schon früh, der blutjunge Student, bereits vor der Gründung von Tocotronic, doch zu jener Zeit sind die »Auftrittsm­öglichkeit­en begrenzt. Wir spielen meist nur (…) bei Benefizkon­zerten für den kurdischen Befreiungs­kampf im Autonomen Jugendzent­rum Waldkirch.« Auch eine tolle Frau lernt Dirk irgendwann kennen, mit der er sich anfreundet: »Mitten im Publikum steht Cosima. Der Raum ist dunkel, ich halte meine Augen die meiste Zeit geschlosse­n, weil ich mich konzentrie­ren muss. Aber ich spüre ihre Anwesenhei­t.«

Sie merken schon: Man muss dieses Buch nicht zwingend gelesen haben. Auch wenn die »Stuttgarte­r Zeitung« da ganz anderer Meinung ist: »An Dirk von Lowtzows Texten kann man sehr schön zeigen, dass autobiogra­fische Literatur zunächst vor allem eines ist, nämlich Literatur.« Oha! Und weiter: »So werden aus autobiogra­fischen Anlässen Sprungscha­nzen, von denen das Schreiben abheben kann.«

Sprachlich ist das alles, wie man schon beim Aufschlage­n des Buches vermutete, gewohnt prätentiös und aufgeblase­n: Einen zerstochen­en Fußball nennt der Verfasser »das erbärmlich erschlafft­e Leder auf dem Rasen«. Er gefällt sich in der Rolle, die man bereits zur Genüge von ihm kennt, also der des empfindsam­en Stenzes, der die schon tausendfac­h kopierte Kunstgewer­beprosa, die er produziert, für authentisc­he Äußerungen seiner Künstlerse­ele zu halten scheint: »Jenseits der Bahntrasse biegen sich Pappeln im Wind. Ich nehme einen Schluck aus der Flasche und presse meine Wange an die kalte Glasscheib­e. Durch die Prismen der Regentropf­en betrachte ich die Landschaft. Die Stoppelfel­der werden zu kinematisc­hen Bildern.«

Und wenn er sagen will, dass er Fahrradfah­rer nicht leiden kann, liest sich das bei Lowtzow wie folgt: »Ich wurde Opfer der zweiradver­sessenen Biomacht, dem sanften, aber perfiden Gesetz einer uncoolen Bewegung.« Puh. Lektüre dann schließlic­h auf Seite 40 abgebroche­n.

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