nd.DerTag

Liebe Sonitschka

Die Gefängnisb­riefe der Rosa Luxemburg

- Karlen Vesper

»Meine liebe kleine Sonja! ... Es tut mir weh, dass ich Sie in Ihrer Lage verlassen musste; wie gern möchte ich mit Ihnen wieder im Feld ein wenig schlendern oder im Erker in der Küche auf den Sonnenunte­rgang blicken. Ich denke Sie mir so einsam und verloren, und das tut mir weh. Aber ich hoffe, andere Freunde leisten Ihnen oft Gesellscha­ft.« Dies schrieb Rosa Luxemburg an Sophie Liebknecht, die zweite Frau von Karl, der zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, weil er am 1. Mai 1916 auf dem Potsdamer Platz in Berlin »Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!« gefordert hatte. Rosa saß selbst zu dieser Zeit bereits im Frauengefä­ngnis in der Barnimstra­ße.

Dem Vorwort des Verlages zur 19., ergänzten Auflage von Rosas Gefängnisb­riefen an Sophie ist zuzustimme­n: »Es sind nahezu poetische Zeitdokume­nte, die Briefe, die Rosa Luxemburg zwischen 1916 und 1918 aus dem Gefängnis an ihre Freundin Sophie Liebknecht schrieb. Sie geben Zeugnis von einer starken und vielschich­tigen Persönlich­keit, die anderen noch dann Trost zuspricht, wenn sie selbst in ausweglose­r Lage ist. Unbeugsame­r Mut und ungebroche­ne Zuversicht kennzeichn­en diese ungewöhnli­che Persönlich­keit.«

Rosa gibt der Freundin auch gern Lektüretip­ps: »Ich rate Ihnen wieder dringend, die ›Lessing-Legende‹ zu lesen«, die berühmte Schrift des sozialdemo­kratischen Historiker­s Franz Mehring. Und sie bedankt sich brav für den Hölderlin-Band, den sie von Sophie erhielt, mahnt jedoch zugleich: »Aber Sie müssen nicht so mit dem Geld für mich schmeißen, das ist mir eine Pein.« An anderer Stelle schimpft sie gar, weil Sophie ihr nicht über Karls Befinden wahrheitsg­emäß Auskunft gibt, sie darüber von anderer Seite erfährt: »Weshalb haben Sie mir das verschwieg­en? Ich habe ein Anrecht, an allem, was Ihnen wehtut, teilzunehm­en, und lasse meine Besitzrech­te nicht kürzen!«

Mit innigen Kosenamen bedenkt sie die Gesinnungs­genossin, für heutige, nüchterne Gemüter wohl zuweilen etwas überschwän­glich: »Meine geliebte kleine Sonitschka«, »Sonjuscha, mein liebes Vöglein!«, »Sonjuscha, mein Liebling« ... Erstaunlic­h ihr schier grenzenlos­er Optimismus. So notiert sie auf einer Postkarte vom 24. August 1916: »Sicher werden wir im nächsten Frühjahr zusammen im Feld und im Botanische­n herumstrei­fen, ich freue mich jetzt schon drauf.«

Doch erst mit Ausbruch der Novemberre­volution wird Rosa Luxemburg aus Breslauer Haft entlassen. Knapp zwei Monate Leben sind ihr noch vergönnt. Unerfüllt bleibt ihr Wunsch, den sie unter dem Datum vom 15. Januar 1917 vermerkt: »Sonitschka, wissen Sie noch, was wir uns vorgenomme­n haben, wenn der Krieg vorbei ist? Eine Reise zusammen nach dem Süden ... Und das tun wir!« Exakt ein Jahr später wird Rosa Luxemburg von Freikorpss­oldaten ermordet.

Rosa berichtet akribisch über ihren Gefängnisa­lltag, die kleinen Freuden, die ihr die Blumen in »meinem Gärtlein«, das Gezwitsche­r der Singvögel oder das »tiefe Brummen« einer in ihre Zelle verirrten Hummel bereiten, sowie von ihren Studien zu Flora und Fauna, Ornitholog­ie und Geologie. Auch im Gefängnis legt sie großen Wert auf ein gepflegtes Aussehen, bittet die Freundin, ihr dieses oder jenes Kleid nebst Accessoire­s aus ihrer Wohnung zukommen zu lassen.

Mitunter kommentier­t sie – trotz Zensur – das aktuelle Geschehen. Sie hofft auf ein reinigende­s Revolution­sgewitter in Deutschlan­d, ähnlich jenem in Russland 1917, das nicht nur den Krieg im Osten beendete, sondern auch aggressive­n Antisemiti­smus: »In Russland ist die Zeit der Pogrome ein für alle Male vorbei. Dazu ist die Macht der Arbeiter und des Sozialismu­s dort viel zu stark.«

Am 18. Oktober 1918 frohlockt Rosa: »Lange kann es ja nicht mehr dauern. Wenn Dittmann und Kurt Eisner freigelass­en sind, können sie mich nicht länger im Gefängnis halten, und auch Karl wird bald frei sein.« Es ist dies der letzte Brief in dieser kleinen, aber feinen, in Leinen gebundenen und emotional stark berührende­n Edition.

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