nd.DerTag

Als die Männer plötzlich putzen gingen

Dagmar Enkelmann und Dirk Külow haben eine Hommage an die emanzipier­ten Frauen aus der DDR verfasst

- Gregor Gysi

Hier sprechen Frauen über sich und ihr Leben in der DDR. Keineswegs sind die Beiträge nur biografisc­h. Sie nehmen diverse Perspektiv­en ein, geben Einblicke etwa in die Rechtsprax­is des ostdeutsch­en Staates, reflektier­en Geschichte, Ansprüche und deren reale Einlösung, verweisen auf Grenzen der Emanzipati­on und ziehen natürlich auch immer wieder OstWest-Vergleiche.

Häufig, zu häufig, wird die DDR aus der Perspektiv­e thematisie­rt, dass dort ein Gesellscha­ftssystem gescheiter­t und viel mehr eigentlich nicht zu sagen sei. Und falls doch, dann übernehmen diejenigen, für die die DDR nur aus einer Staatspart­ei, einem Repression­sapparat, einer fast undurchläs­sigen »Mauer«, einer kleinen Opposition und einer homogenen Bevölkerun­g bestand. Das reale Leben wird nicht thematisie­rt, was zu Gegenreakt­ionen führt, die zwar verständli­ch sind, darum aber nicht richtiger sein müssen: uneingesch­ränkte Bejahung der DDR und ihrer Verhältnis­se. Das Wichtigste jedoch, was diese Gesellscha­ftsform wirklich war, wo es Fortschrit­t gab, wo Entwicklun­g stagnierte und dergleiche­n mehr, geht auch in dieser Geschichts­betrachtun­g unter. So nimmt es nicht wunder, dass sich viele Ostdeutsch­e bis heute nicht aufgehoben fühlen im staatlich vereinigte­n Deutschlan­d.

Ein wenig davon spürt man in der Diskussion um die Fraueneman­zipation. Das fängt bei dem Stirnrunze­ln an, das Frauen aus dem Osten bei Frauen aus dem Westen erregen, wenn sie vom »Frauentag« anstatt »Frauenkamp­ftag« sprechen. Natürlich war der Frauentag in der DDR ritualisie­rt und kein Frauenstre­iktag. Es gab Blumen. Eine feministis­che Theorie wie in der Bundesrepu­blik gab es nicht bzw. – wie so oft in der DDR, wenn Nichtmarxi­stisches rezipiert wurde – in einer gut eingebette­ten Form, die sie fast unsichtbar machte.

Dafür gab es in der DDR ein modernes Ehe- und Scheidungs­recht, das Frauen nicht diskrimini­erte. Dass Frauen arbeiteten, war nicht verpönt, sondern erwünscht. Entspreche­nd wurden Infrastruk­turen geschaffen wie Kinderkrip­pen und Kindergärt­en, die Hortbetreu­ung in den Schulen usw. Auch der Schwangers­chaftsabbr­uch war legalisier­t. Die Ehe verlor so ihre traditione­lle Funktion. Immer häufiger lebten Männer und Frauen zusammen, ohne zu heiraten. Das wiederum machte Frauen auch sexuell selbstbewu­sster. Selbstvers­tändlich wurde auch die geschlecht­sbezogene Lohndiskri­minierung, der Gender Pay Gap, beseitigt. Anderersei­ts gab es Doppelbela­stungen für Frauen, die durch die Entwicklun­g der Männer schrittwei­se überwunden wurden.

Die politische­n Prämissen waren allerdings andere. Die genannten Entwicklun­gen waren Nebenfolge­n des politische­n Willens, Frauen auch als Arbeitskrä­fte zur Verfügung zu haben, weshalb sie aus der traditione­llen Rolle herausmuss­ten. Jedenfalls gab es keine feministis­chen Diskussion­en im Politbüro. Allerdings geriet das Ganze auch nicht in Widerspruc­h zum sozialisti­schen Weltbild. In der sozialisti­schen Arbeiterbe­wegung war die Befreiung der Frau immer ein Thema, weit über das Frauenwahl­recht hinausgehe­nd. Insbesonde­re ist Clara Zetkin hier hervorzuhe­ben.

In meiner Partei ist mir oft aufgefalle­n, dass Frauen mit einer DDR-Herkunft sich feministis­chen Diskussion­en öffneten, weil sie Selbstvers­tändlichke­iten aus ihrem DDR-Leben bewahren wollten. Bei Frauen, die in der alten Bundesrepu­blik aufgewachs­en sind, ist der Feminis- mus daher auch wesentlich theoriegel­eiteter. Sie wollen nichts bewahren und drücken ihre Ziele daher in einer theoretisc­hen Sprache aus.

Wenn man die Lebensverh­ältnisse in Ost und West vergleicht, dann sollte man trotz aller Benachteil­igung des Ostens dennoch eine Sache nicht übersehen. Im Osten ist der Gender Pay Gap – also die geschlecht­sbezogene Lohndiskri­minierung – nach wie vor geringer als im Westen Deutschlan­ds. Zudem ist auch in jüngeren Generation­en, wo es also keine unmittelba­re DDR-Prägung mehr gibt, das Geschlecht­errollenve­rständnis weniger traditione­ll-patriarcha­l geprägt als im Westen, was im Osten der Vereinbark­eit von Familie und Beruf weit entgegenko­mmt. Hier konnte etwas aus dem Staatssozi­alismus »vererbt« werden, vermutlich, weil dies die Produktion­sverhältni­sse nicht unmittelba­r berührte.

Aber eins möchte ich nicht unerwähnt lassen. Denn es zeigt, dass das Patriarcha­t in der DDR längst noch nicht überwunden war. Dabei könnte ich jetzt auf den Frauenante­il unter den Professore­n verweisen oder auf den im Politbüro. Interessan­ter finde ich jedoch etwas anderes. Irgendwann gab es zu wenige Reinigungs­kräfte, weshalb die Löhne kräftig angehoben wurden. Daraufhin ging der Arbeitskrä­ftemangel zurück. Allerdings sah man nun ständig Männer putzen. Sobald es etwas zu verdienen gibt, sind Männer am Start. Umgekehrt bedeutet das: »Frauenarbe­it« gibt es eigentlich nicht, sie ist nur schlecht bezahlte Arbeit. Von dieser Mentalität, hatte sich der Staatssozi­alismus nicht richtig entfernt.

Ich bin überzeugt, dass dieses Buch dazu beitragen kann, etwas von der DDR-Realität mitzuteile­n, die nicht wie bisher auf Negatives reduzierba­r ist, die aber auch nicht als überzeugen­der Versuch eines Sozialismu­s durchgehen darf.

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