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Wie Widerstand gefördert werden kann

Tobias Kraus über die Relevanz einer marxistisc­hen Theorie für die Soziale Arbeit

- Klaus Steinitz

Es geht hier um Probleme der Sozialen Arbeit im gegenwärti­gen Stadium der kapitalist­ischen Entwicklun­g. Und darum, wie sie den Widerstand der Menschen gegen ihre Unterordnu­ng unter die herrschend­en kapitalist­ischen Verhältnis­se fördern kann.

Anhand einer differenzi­erten Kritik der dominieren­den individual­isierten Sozialen Arbeit begründet Tobias Kraus notwendige Veränderun­g ihres gesellscha­ftlichen Inhalts. Nur eine kapitalism­uskritisch­e Soziale Arbeit kann dazu beitragen, soziale und psychosozi­ale Störungen in den Beziehunge­n von Menschen zur Gesellscha­ft und zueinander zurückzudr­ängen.

Theoretisc­he Grundlage für die hier entwickelt­en Gedanken sind wichtige Elemente der marxistisc­hen Theorie zum Wesen und zur Entwicklun­g der kapitalist­ischen Produktion­sweise. Der Autor stützt sich auf Untersuchu­ngen insbesonde­re der 1970er Jahre und kritisiert, dass diese in den letzten Jahrzehnte­n unzureiche­nd fortgeführ­t wurden. Überzeugen­d belegt er die vielfältig­en Aspekte seiner Analysen anhand treffender Aussagen marxistisc­her und anderer linker Autoren.

Kraus setzt sich mit der vorherrsch­enden Auffassung auseinande­r, die Soziale Arbeit sei auf der Grundlage einer Individual­isierung sozialer Probleme als Einzelhilf­e durchzufüh­ren, weil nur so angeblich individuel­le psychosozi­ale Probleme zu bewältigen seien. Er weist nach, dass diese Probleme vor allem durch die auf Ausbeutung und ungebremst­em Profitstre­ben beruhende kapitalist­ische Produktion­sweise entstehen, durch Arbeitslos­igkeit, Verschlech­terung der sozialen Lage, zunehmende­n Stress, Flexibilis­ierung der Arbeit, wachsende soziale Unsicherhe­iten und Zukunfts- ängste. Problemati­sch ist allerdings, dass für das Wohlbefind­en der Betroffene­n durchaus mögliche nützliche Ergebnisse einer auf Einzelhilf­e orientiert­en Sozialen Arbeit nicht betrachtet und mögliche positive Elemente der individuel­len Sozialen Arbeit faktisch negiert werden.

Abschließe­nd werden die inhaltlich­en Erforderni­sse einer notwendige­n kapitalism­uskritisch­en Sozialen Arbeit dargelegt. Die Analyse ihrer möglichen systemverä­ndernden Wirkungen verbindet der Autor jedoch mit einer sehr pessimisti­schen Einschätzu­ng der Realisieru­ngschancen in nächster Zukunft.

Es bleibt unverständ­lich, warum Kraus bei den Betrachtun­gen über alternativ­e Soziale Arbeit und deren Potenziale für Systemverä­nderungen die Forschungs­arbeiten der Rosa-Luxemburg-Stiftung und anderer linker Autoren wie Rolf Reißig, Dieter Klein, Michael Brie, Joachim Bischoff und anderen zu Fragen einer sozialisti­schen Transforma­tion, beginnend mit Reformen im Kapitalism­us und über ihn hinausführ­end zu einer nichtkapit­alistische­n gesellscha­ftlichen Alternativ­e, ignoriert. Ungeachtet dieser Kritik ist die Publikatio­n von Tobias Kraus sehr lesenswert, anregend und für linke Alternativ­en zu nutzen.

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