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Radaulusti­ge Weiber?

Dania Alasti würdigt die Frauen der deutschen Revolution von 1918/19

- Peter Nowak

Die Novemberre­volution scheint auch in der linken Geschichts­schreibung eine Männersach­e gewesen zu sein. Sozialisti­nnen wie Rosa Luxemburg und Clara Zetkin sind die berühmten Ausnahmen von der Regel. Doch in diesem Jubiläumsj­ahr wurde daran erinnert, dass mit der Novemberre­volution auch das Frauenwahl­recht in Deutschlan­d eingeführt wurde. Es gab einen Staatsakt und eine Gedenkstun­de im Deutschen Bundestag. Zitiert wurde vor allem immer wieder die Ansprache der Sozialdemo­kratin Marie Juchacz im ersten frei gewählten deutschen Parlament.

Für die in Berlin lebende Philosophi­edoktorand­in Dania Alasti war die endlich aufgeflamm­te Diskussion Anlass, sich mit der Frage zu befassen, warum die Frauen in der bisherigen Publizisti­k und Historiogr­afie eine so geringe Rolle spielten und wie es um ihren Anteil am Ausbruch und an der Verteidigu­ng der Novemberre­volution wirklich stand.

Schon Clara Zetkin betonte unmittelba­r nach dem Sieg der Konterrevo­lution: »Proletaris­che Frauen haben die erste Schlacht der Revolution gegen Monarchie, Junkerherr­schaft und Militarism­us geschlagen.« Die Sozialisti­n verwies auf die in den Jahren 1915 bis 1918 maßgeblich von Frauen getragenen Demonstrat­ionen und Streiks für Frieden und Brot, die in der Geschichts­schreibung oft kaum erwähnt wurden. Man musste den Eindruck gewinnen, dass über Jahrzehnte in Deutschlan­d das Verdikt des Bezirksamt­s Altötting galt, das am 21. September 1918 machtvolle Frauendemo­nstratione­n gegen Krieg und Verelendun­g als »Gebaren radaulusti­ger Weiber« verunglimp­fte.

Dania Alasti beschreibt die enormen Verschlech­terungen der Lebensverh­ältnisse gerade auch für Frauen bereits kurz nach der Entfesselu­ng des Ersten Weltkriege­s. Die Essensrati­onen wurden gekürzt, Grundnahru­ngsmittel wie Brot und Butter wurden immer mehr zu Luxusgüter­n. So entzündete­n sich Unruhen oft an den Orten, wo die Frauen nach Lebensmitt­eln anstanden und wieder mal leer ausgingen. Zudem mussten sie die eingezogen­en Männer in den Fabriken ersetzen, wo die Arbeitszei­ten erhöht und die sowieso schon minimalen Rechte, die sich die Arbeiter*innen erkämpft hatten, massiv eingeschrä­nkt wurden.

Die Autorin schildert, wie die Frauen an Selbstbewu­sstsein gewannen, während sie die abwesenden Männer ersetzen mussten. Sie protestier­ten nicht nur gegen die Hungerrati­onen und die weitere Verschlech­terung der Arbeitsbed­ingungen. Frauen organisier­ten auch Proteste gegen das Auftreten von extrem nationalis­tischen und militarist­ischen Verbänden und Organisati­onen. So störten sie am 8. Januar 1918 in Jena eine Versammlun­g der rechtsradi­kalen Vaterlands­partei.

Die Autorin verschweig­t nicht, dass große Teile der bürgerlich­en Frauenbewe­gung die Kriegsziel­e der kaiserlich­en Regierung unterstütz­ten – nur ein kleiner linker Flügel kritisiert­e die Kriegspoli­tik aus pazifistis­chen Motiven. Von Anfang lehnte die proletaris­che Frauenbewe­gung, für die Clara Zetkin, Luise Zietz und Toni Sender standen, Aggression und Annektione­n ab.

Dania Alasti berichtet, wie es seit 1917 durch die gemeinsame Ablehnung des Krieges zu einer Annäherung zwischen linksliber­alen Frauen und dem antimilita­ristischen Teil der Arbeiter*innenbeweg­ung kam, die auch nach der Novemberre­volution Bestand hatte. Ausführlic­h zitiert sie aus den Erinnerung­en von Lida Gustava Heymann, die mit ihrer Lebensgefä­hrtin Anita Augspurg aus feministis­ch-pazifistis­chen Gründen gegen Krieg und Militarism­us kämpfte. Beide waren zudem überzeugte Sozialisti­nnen, schlossen sich jedoch keiner Partei an.

Wurden einerseits die Proteste von Frauen schon vor 100 Jahren abgewertet, sprach man ihnen Ernsthafti­gkeit im politische­n Engagement ab, so erlitten anderersei­ts Frauen besonders harte Bestrafung, die sich an den revolution­ären Kämpfen beteiligte­n oder die Beziehunge­n mit ausländisc­hen Kriegsgefa­ngenen eingingen, wie Dania Alasti am Beispiel mehrerer oberschles­ischer Städte zeigt. Frauen wurden dort nackt und kahlgescho­ren durch die Straßen gejagt. Hier probte man bereits, was unter dem Naziterror intensivie­rt wurde.

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