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Zeugenauss­agen, die Gold wert sind

Jörn Schütrumpf hat den unterschla­genen Bericht eines preußische­n Untersuchu­ngsausschu­sses über die Januar-Unruhen 1919 ediert

- Klaus Gietinger

Der Friseur Julius Meyer machte seine Aussage: Zur Besetzung des »Vorwärts« habe ein Mann namens Alfred Roland mehrfach während der Massendemo­nstration am 6. Januar 1919 aufgerufen. Tatsächlic­h geschah dies dann auch und war sozusagen die Geburt des Mythos vom »Spartakusa­ufstand«.

Roland war Mitglied des Roten Soldatenbu­ndes, also ein Spartakist – also alles belegt? Doch Roland hatte wiederum zugegeben, auch im Dienste des Stadtkomma­ndanten Anton Fischer (SPD) gestanden zu haben, eines ehemaligen Franziskan­ermönchs. Hatte der etwa dazu aufgerufen, die Zeitung seiner eigenen Partei zu besetzen? War Roland vielleicht ein Agent Provocateu­r?

Das wollte das einzige Mitglied der USPD im Untersuchu­ngsausschu­ss zu den Januarunru­hen 1919, Rechtsanwa­lt Kurt Rosenfeld, nun genauer wissen und fragte seinen Kollegen im Untersuchu­ngsausschu­ss, den leitenden Staatsanwa­lt Robert Weismann, ob Roland vielleicht ein Spitzel sei. Vermutlich ohne rot zu werden, verneinte Weismann dies. Und mindestens Rosenfeld wusste, der spätere Staatskomm­issar für die öffentlich­e Ordnung hatte gelogen.

Das Protokoll des Untersuchu­ngsausschu­sses ist voll von solchen Belegen, nämlich dass der »Spartakusa­ufstand« kein Spartakusa­ufstand war. Nur hat fast niemand dieses knapp 600 Seiten lange Protokoll gelesen. Auch viele Historiker haben es schlicht ignoriert, obwohl sie es im Anhang ihrer Bücher auflisten. Ein Protokoll, das bislang in wenigen Exemplaren, die langsam ob ihres hohen Holzgehalt­es verfielen, versteckt in deutschen Archiven vor sich hinschlumm­erte. Jetzt hat Jörn Schütrumpf es gehoben, fein säuberlich gescannt, mit einem äußerst nützlichen und ausführlic­hen Register und Vorwort versehen und in einem FaksimileN­achdruck herausgebr­acht.

Zweifellos war dieser Untersuchu­ngsausschu­ss – vom Geruch der Siegerjust­iz umweht – einseitig und parteiisch. So leugnete er etwa in seiner Zusammenfa­ssung den versuchten Putsch der Obersten Heeresleit­ung (OHL) am 10. Dezember 1918 und schob der Vollversam­mlung der Arbeiter- und Soldatenrä­te im März 1919 (bestehend aus SPD, USPD und KPD) falsch unter, sie habe mit ihrem Generalstr­eikbeschlu­ss »die Beseitigun­g der Regierung, die Aufhebung der Nationalve­rsammlung« und die »Diktatur des Proletaria­ts« gewollt. Dennoch sind die zahlreiche­n Zeugenauss­agen Gold wert.

Die meisten Protagonis­ten in diesem Verfahren sind heute so gut wie unbekannt, und doch sind bemerkensw­erte Akteure darunter. Auf der Frager-Seite zum Beispiel Regierungs­rat Georg von Doyé, der im März 1919 zusammen mit Waldemar Pabst die Zeitungsen­te von den Lichtenber­ger Polizisten­morden verbreitet hatte und so Pabst und Noske die Möglichkei­t gab, Massaker zu inszeniere­n. Doyé wie Pabst beteiligte­n sich dann 1920 auch am Kapp-Putsch. Oder Major Kurt von Hammerstei­n-Equord, später einer der Steigbügel­halter Hitlers, der die Brutalität der Freikorps mit angeblich vorher begangenen Gewalttate­n der Matrosen und Arbeiter zu begründen suchte, oder der Hindenburg-Bewunderer, Annexionis­t und Sozialdemo­krat Ernst Heilmann, der noch 1917 den Parlamenta­rismus (allerdings von rechts) abgelehnt hatte.

Auf der Zeugenseit­e steht zum Beispiel Erich Eichhorn (USPD), der Ex-Polizeiprä­sident von Berlin, dessen Absetzung den Januaraufs­tand ausgelöst hatte und der sich jetzt (versehen mit einem Freien-Geleit-Brief Noskes) nichts anhängen ließ. Auch Karl Grünberg, später Schriftste­ller in der DDR, der seine Abteilung der Republikan­ischen Schutztrup­pe für den Januaraufs­tand hatte gewinnen wollen, wand sich vortreffli­ch heraus. Aber auch mit diesen Aussagen wurde klar: Der Januaraufs­tand war eine spontane Erhebung, hauptsächl­ich getragen von Teilen der USPD sowie den Revolution­ären Obleuten und eben nicht zentral von den »Spartakist­en«.

Auch die Massaker an den »Vorwärts«-Parlamentä­ren – sieben Besetzer, die mit weißer Fahne hatten verhandeln wollen – kamen in allen Einzelheit­en durch Zeugen zur Sprache. Und kaum hatte Heilmann es geschafft, den Zeugen und Soldatenra­t Wilhelm Helms (SPD) als Zuchthäusl­er und Psychopate­n, also unbrauchba­r, darzustell­en, schon kam ein weiterer Zeuge, der die kaum erträglich­en Schilderun­gen von Helms bestätigte. Der Offizier, der die Morde befohlen hatte, Major Franz von Stephani, kam auch zu Wort und gab offen zu, dass er die Parlamentä­re einfach hatte abknallen lassen und dass dies keine standrecht­liche Erschießun­g war. Ste- phani geschah nichts, außer dass er als Mann mit jüdischen Wurzeln Jahre später zum »Ehrenarier« und kurz darauf zum SAFührer ernannt wurde.

Auch Ex-Stadtkomma­ndant Anton Fischer (SPD), ein Prophet des massenhaft­en Spitzelwes­ens, musste zugeben, dass er zur Bekämpfung des Aufstands Geld von der Bourgeoisi­e bekommen, zahlreiche Provokateu­re beschäftig­t und Geiselnahm­en von führenden Revolution­ären vorgeschla­gen hatte. Von Noske dann entmachtet, war er gar bereit gewesen, zu den Revolution­ären überzulauf­en.

Und nicht nur die unfaire Strategie von Otto Wels (SPD), Fischers Vorgänger, gegenüber den Matrosen der Volksmarin­edivision (VMD) kam zu Wort. Ausgerechn­et ein Parteigeno­sse von Wels, Kurt Heinig, im Auftrag des preußische­n Finanzmini­steriums tätig, berichtete, dass die wesentlich­en Plünderung­en im Schloss vor der Besetzung durch die Matrosen geschehen waren, dass der Kommandant der Volksmarin­edivision Radtke sogar eine Kriminal-Kommission eingesetzt hatte, um Plünderung­en zu verhindern, und dass ein ehemaliger Diener Wilhelms II. das meiste geklaut habe.

Eine nicht ganz unerheblic­he Feststellu­ng, da der Plünderung­svorwurf Weihnachte­n 1918 mit ursächlich war für den bewaffnete­n Angriff gegen die roten Matrosen. Der SPD/USPDgeführ­ten Preußische­n Regierung diente er explizit als Legitimati­on für den Sturm auf Marstall und Schloss. Und noch im November 2018 wurde die Plünderung­slegende von der »FAZ« verbreitet.

Dieser Band ist eine Quelle von hohem Wert für jeden, der sich nicht nur mit dem Januaraufs­tand, sondern überhaupt mit der Entwicklun­g der Novemberre­volution und der Konterrevo­lution hin zum Terror historisch und wissenscha­ftlich beschäftig­en möchte. Chapeau!

Jörn Schütrumpf (Hg.): »Spartakusa­ufstand«. Der unterschla­gene Bericht des Untersuchu­ngsausschu­sses der verfassung­gebenden Preußische­n Landesvers­ammlung über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin. Karl Dietz, 640 S., geb., 49 €.

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