nd.DerTag

Zufall und Willkür

Mario Keßler über deutsche Kommuniste­n im Exil und in der DDR

- Ronald Friedmann

Dieses Buch ist – kaum überrasche­nd – weit mehr als eine große Fleißarbei­t: Mario Keßler hat etwa vier Dutzend deutsche Kommuniste­n, mit und ohne Parteibuch, namhaft gemacht, die in den Jahren der Hitlerdikt­atur in den USA Zuflucht fanden, und detaillier­t ihre Lebensläuf­e untersucht. Sein Anliegen war es, die Wege zu erkunden, die sie in die USA führten, ihr Leben und Wirken im Exilland zu untersuche­n und die Prägungen aufzuzeige­n, die sie durch ihr Leben und ihre (politische) Arbeit in den USA erfuhren. Und schließlic­h ging es ihm darum, zu zeigen, wie das Exil in den USA und die dort gemachten Erfahrunge­n nach der Rückkehr nach Ostdeutsch­land bzw. in die DDR ihr Leben und Wirken beeinfluss­ten und welchen Einfluss sie selbst dort ausüben konnten.

Keßler gibt zunächst einen Überblick über die Immigratio­ns- und Flüchtling­spolitik der USA und verweist dabei auf den Widerspruc­h zwischen der offizielle­n, sehr restriktiv­en Politik der Regierung Roosevelt und dem Wirken verschiede­ner (privater) Hilfsorgan­isationen, die wesentlich dazu beitrugen, dass dennoch eine nicht unbedeuten­de Zahl von Verfolgten in den USA Zuflucht erhielt. Keiner der kommunisti­schen Flüchtling­e, so Keßler, hatte die USA freiwillig als Ort des Exils gewählt. Es waren vielmehr die in einer Zeit der weltweiten Kriege und Konflikte unvermeidl­ichen und zumeist überrasche­nden Zufälle, die sie in die USA führten, aber auch die Willkür der US-Behörden, die nach Ausbruch des Zweiten Weltkriege­s zahlreiche­n Emigranten die Weiterreis­e nach Lateinamer­ika, in erster Linie nach Mexiko, nicht gestattete­n.

Konfrontie­rt mit einer fremden Realität stand vor den Flüchtling­en, wie in anderen Teilen der Welt auch, zunächst die Aufgabe, Arbeit zu finden und den eigenen Unterhalt zu sichern. Keßler zeigt, dass es in sehr vielen Fällen die Ehefrauen und Lebenspart­nerinnen waren, die – oftmals eigene Wünsche und Hoffnungen zurückstel­lend – hier den entscheide­nden Part spielten. Überhaupt ist Keßler bemüht, die Rolle der Frauen angemessen zu würdigen, wobei die konkrete Quellenlag­e seine Möglichkei­ten dabei ganz offensicht­lich stark einschränk­te.

Breiten Raum widmet er den »Netzwerken und der Publizisti­k der deutschen Kommuniste­n«, so der Titel des entspreche­nden Kapitels: So schildert Keßler die Geschichte des von Stefan Heym geleiteten zweisprach­igen »Deutschen Volksechos«, das von 1937 bis 1939 in New York erschien. Die Diskussion­en über die Zukunft Deutschlan­ds nach dem Ende der Hitlerdikt­atur beleuchtet Keßler vor allem am Beispiel des »Council for a Democratic Germany« und der mit diesem verbundene­n Zeitschrif­t »The German American« sowie anhand des von Gerhart Eisler, Albert Norden und Albert Schreiner im Frühjahr 1945 in New York publiziert­en Buches »The Lesson of Germany«.

Gestützt auf umfangreic­he Aktenbestä­nde des FBI (die dank der Bemühungen zahlreiche­r US-Wissenscha­ftler inzwischen in Kopie in öffentlich­en Archiven und Bibliothek­en der USA zugänglich sind), schildert Keßler das Vorgehen der US-Bundespoli­zei gegen Persönlich­keiten wie Bertolt Brecht und die Brüder Gerhart und Hanns Eis- ler. Während Brecht und Hanns Eisler nach Ende des Zweiten Weltkriege­s unter dem maßgeblich­en Einfluss des FBI des Landes verwiesen wurden, wurde Gerhart Eisler, der als angebliche­r »Chef aller Roten in Amerika« im Mittelpunk­t einer antikommun­istischen Kampagne stand, die Ausreise verweigert. Ihm gelang erst 1949 eine spektakulä­re Flucht aus den USA.

Der nachfolgen­de Teil des Buches, gegliedert in vier Kapitel, befasst sich, wie Keßler es formuliert, mit »Rückkehr und Neubeginn, Hoffnungen und Rückschläg­e(n)«. Keßler konstatier­t zunächst, dass nur wenige kommunisti­sche Flüchtling­e in den USA blieben bzw. bleiben konnten und dass kein Kommunist in den Westen Deutschlan­ds zurückkehr­te.

Der Neuanfang war komplizier­t: Deutschlan­d war nach den Jahren des Exils ein fremdes Land geworden, und die Schlüsselp­ositionen in Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft Ostdeutsch­lands bzw. der DDR waren inzwischen von jenen Parteifunk­tionären besetzt, die im sowjetisch­en Exil gewesen waren. Trotzdem fanden sich für die Rückkehrer aus den USA Räume, die mehr als Nischen waren: Sie brachten einzigarti­ge und unverzicht­bare Kenntnisse und Erfahrunge­n mit, die der neue Staat benötigte. Die letztlich unvermeidb­aren Konflikte und Nöte schildert Keßler anschaulic­h an zahlreiche­n Beispielen, für die hier die Namen Stefan Heym, Hanns und Gerhart Eisler sowie Ernst Bloch stehen sollen.

Man kann nur hoffen, dass der selbst für heutige Verhältnis­se ungewöhnli­ch hohe Ladenpreis für dieses lesenswert­e Buch die Leserschaf­t nicht verschreck­t.

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