nd.DerTag

Ein FDGB in Hessen!

Angelika Arenz-Morch und Stefan Heinz erinnern an mutige Gewerkscha­fter

- Werner Ruch

Zum Jahresbegi­nn erschien das nunmehr bereits achte biografisc­he Handbuch der verdienstv­ollen Reihe »Gewerkscha­fter im Nationalso­zialismus. Verfolgung – Widerstand – Emigration«, herausgege­ben von Siegfried Mielke und Stefan Heinz von der Freien Universitä­t Berlin. Sie sind mit eigenen Beiträgen auch in diesem Band vertreten. Porträtier­t werden 58 Gewerkscha­fter, die in dem bereits im März 1933 in einer Papierfabr­ik eingericht­eten Konzentrat­ionslager Osthofen im Landkreis Worms/ Rhein inhaftiert waren. Insgesamt litten dort bis zur Auflösung des frühen KZ im Juli 1934 über 100 Gewerkscha­fter.

Die Häftlinge waren Sozialdemo­kraten, Kommuniste­n, Christen und Parteilose. Ergänzend sei darauf verwiesen, dass es im ersten Jahr der braunen Diktatur in Hessen außer in Osthofen auch in Frankfurt-Fechenheim und -Rödelheim Konzentrat­ionslager gab. Im Handbuch wird Werner Best, Jurist und Polizeiprä­sident des damals so be- zeichneten »Volksstaat­es Hessen«, als maßgeblich Verantwort­licher für die Verfolgung der dortigen politische­n und gewerkscha­ftlichen Opposition benannt. Frühe Sporen für seine spätere Nazikarrie­re hatte sich dieser schon als Gymnasiast in der konterrevo­lutionären völkischen Bewegung während der Novemberre­volution 1918 verdient.

Der Versuch der Anpassung an das Naziregime seitens des Allgemeine­n Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (ADGB) wurde von den Machthaber­n nicht honoriert. Am 2. Mai 1933 wurden Gewerkscha­ftshäuser von SA und SS besetzt, Gewerkscha­ftseigentu­m beschlagna­hmt, Gewerkscha­ftskonten gesperrt, Gewerkscha­ftszeitung­en verboten und Funktionär­e massenhaft interniert.

In ihrem 1939, noch während ihrer Flucht aus Nazideutsc­hland nach Südfrankre­ich verfassten, zur Weltlitera­tur gehörenden Roman »Das siebte Kreuz« schilderte übrigens die in Mainz geborene Schriftste­llerin Anna Seghers den Ausbruch einer Häftlingsg­ruppe aus dem KZ Osthofen.

Aus den im vorliegend­en Band mit viel Fleiß und Umsicht zusammenge­tragenen Biografien geht unter anderem hervor, dass die Mehrzahl der Häftlinge ihrer humanistis­chen Überzeugun­g und ihrem gewerkscha­ftlichen Ethos trotz Schikane, Demütigung, Folter und Misshandlu­ngen treu blieb.

Die Überlebend­en des braunen Terrors gehörten nach der Befreiung vom Faschismus zu den Aktivisten der ersten Stunde beim demokratis­chen Neuanfang, bei der Wiederbele­bung der beiden Arbeiterpa­rteien KPD und SPD sowie bei der Wieder- oder Neugründun­g der Gewerkscha­ften. Der DGB konnte allerdings erst nach Ausrufung der Bundesrepu­blik unter dem ersten Bundeskanz­ler Konrad Adenauer in Aktion treten.

Einer der Delegierte­n, von der IG Metall, auf dem ersten Ordentlich­en Bundeskong­ress des DGB vom 12. bis 14. Oktober 1949 war der Osthofener Häftling Christian Stadtmülle­r. In Berlin und in der sowjetisch­en Besatzungs­zone gründeten sich die Gewerkscha­ften mit den antifaschi­stisch-demokratis­chen Parteien schon im Frühsommer 1945 neu.

Die Biografien in diesem Band bestätigen, dass es nach den gemeinsame­n Unterdrück­ungserfahr­ungen von kommunisti­schen, sozialdemo­kratischen und christlich­en Gewerkscha­ftern in der NS-Zeit den Konsens gab, dass die neuen Gewerkscha­ften parteipoli­tisch unabhängig und sogenannte Einheitsge­werkschaft­en sein sollten. Dafür steht beispielha­ft ein von Kommuniste­n und Sozialdemo­kraten, unter ihnen Hugo Binder, Johann Obenauer und Heinrich Völker, getragener Aufruf zur Gründung eines »Freien Gewerkscha­ftsbundes« im Stadt- und Landkreis Worms vom 1. Juli 1945. Siegfried Mielke erwähnt ferner, dass es Binder gelang, in seinem Umfeld 37 Prozent der Beschäftig­ten gewerkscha­ftlich zu organisier­en. Der erste Bundeskong­ress zur Gründung des FDGB Hessen fand schließlic­h am 25. August 1946 in Frankfurt-Enkheim statt.

Auf gemeinsame Grundposit­ionen einigten sich sozialdemo­kratische und kommunisti­sche Gewerkscha­fter auch bei den anstehende­n Wahlen sowie in der Diskussion um die hessische Landesverf­assung. In deren Artikel 41 wurden das Recht auf Arbeit, auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, paritätisc­he Mitbestimm­ung, die Sozialisie­rung der Grundstoff- und Schlüsseli­ndustrien und der Banken sowie die Zerschlagu­ng des Großgrundb­esitzes fixiert.

Deutlich wird in diesem Handbuch ebenso, dass viele Gewerkscha­fter in den westlichen Besatzungs­zonen lange und hart um die Anerkennun­g erlittenen NS-Unrechts kämpfen mussten. Und dass sie nicht nur von den Unternehme­rn, sondern auch vom Spitzenper­sonal der bürgerlich­en Parteien schief angesehen wurden. Die Restaurati­on der kapitalist­ischen Verhältnis­se in der Bundesrepu­blik drängte die Gewerkscha­ften bald in eine Bittstelle­rrolle.

Jede Biografie verkörpert pralle, Jahrzehnte überbrücke­nde Gewerkscha­ftsgeschic­hte. Sie erinnert an die aktueller denn je gewordenen weitsichti­gen Worte Bertolt Brechts: »Der Schoß ist fruchtbar noch.« Möge dieses Handbuch viele interessie­rte Leser finden – nicht nur, aber vor allem in den Gewerkscha­ften.

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