Aaahhh, sie träumt von früher
Wenn die Herrin der Vampirfledermäuse arbeitslos wird
Leonora Leitl hat ein heiteres Bilderbuch über eine menschliche Katastrophe gemacht. Wenn die üblicherweise dauerfröhliche Mama von Frida, Ida und Fritzi mutlos und verzweifelt in Jogginghosen vor dem Fernseher sitzt, muss irgendetwas vorgefallen sein. Nein, nicht IRGENDetwas, sondern etwas ganz Bestimmtes, Entscheidendes, Existenzielles, nie Dagewesenes. Leserinnen und Leser haben es gleich am Anfang dieses Buches erfahren: Diese Mama ist etwas ganz Besonderes!
Wahrscheinlich werden jetzt alle denken: Ist das nicht jede Mama? Moment! Zunächst heißt die Frau, um die es hier geht, Magistra Roberta Tannenbaum. Wie jeder ohne Weiteres zugeben wird, ein nicht alltäglicher Name. Als diese Roberta jung war, unternahm sie eine Expedition in den Amazonas-Urwald und erforschte vollkommen unerschrocken das Leben von Jaguaren, Giftfröschen und Vampirfledermäusen.
In den letzten Jahren war sie nicht mehr so viel in der Welt herumgekommen, aber für eine Biologin gibt es auch vor der Haustür spannende Pflanzen und Tiere zu beobachten: Käfer, Wanzen, Farne, Gottesanbeterinnen oder spezielle Kakteen. Die Frau Magistra hatte Führungen durch die Natur geleitet und diese Arbeit beinahe so sehr geliebt wie ihre Kinder den Familienhund Hektor oder ihr Mann seine Arbeit als Kindergärtner oder sie selbst eine seltene Blume, die Königin der Nacht.
Aber dann hatte sie plötzlich ihren Job verloren. Eine Katastrophe! Jedes Kind weiß ziemlich genau, was das für eine Familie bedeutet. Zuerst freut man sich, wie viel Zeit die Mama jetzt hat, aber dann kommen die unangenehmen Sachen zum Vorschein: Es ist kein Geld mehr da, um in den Urlaub zu fahren. Kino fällt aus. Neue Anziehsachen werden nur noch im SecondHand-Laden gekauft. Aber das Schlimmste daran ist das mit der Jogginghose – und die ganze Traurigkeit und Mutlosigkeit.
Wie das in natura ausschaut, kann man gar nicht erzählen. Ein Glück, dass die Autorin so gut zeichnen kann, wie sie Geschichten ersinnt. So sehen wir den Kollegen, der im Biologiezentrum an Mamas Stuhl gesägt hat. Ein unsympathischer Mann, glatzköpfig, altmodische Hose, verzerrtes Gesicht. Trotzdem komisch. Mitten in der Nacht betrachten wir die Mama in der Küche am Tisch sitzend und Kaffee trinkend, während Hund und Katze Karten spielen, ein Tierchen einem Jaguar verdächtig ähnlich sieht und um alles herum Kakteen wuchern wie am Amazonas. Aaahhh, sie träumt von früher, als sie noch Arbeit hatte und lustig war.
Leonora Leitls Illustrationen erinnern an Kinderzeichnungen, auf denen das Kind rechts oben noch einen kleinen Kaktus hinzugemalt hat und links unten noch eine wütende Jaguar-Katze auf den Rücken des Sägekollegen. Hund und Katze bekommen menschliche Züge und trinken zum guten Schluss zusammen Cocktails. Und auf mancher Seite sieht es fast so aus, als wäre die Künstlerin nicht fertig geworden. Vielleicht ist das gar eine Einladung an die kleinen Leser, die Buntstifte zu nehmen und den Büchern im Regal eine Farbe zu geben – womit der Verlag seinem Namen durchaus Ehre macht.
Weil wir im Leben so viel traurige Geschichten erfahren, freuen wir uns über das Ende dieses Falles. Mit Hilfe von Papa und den Kindern gelingt es Roberta, sich selbst eine Arbeit zurechtzubasteln und den traurigen Menschen auf dem Arbeitsamt ein Schnippchen zu schlagen. Schöner kann ein modernes Märchen doch gar nicht sein.