nd.DerTag

Aaahhh, sie träumt von früher

Wenn die Herrin der Vampirfled­ermäuse arbeitslos wird

- Silvia Ottow

Leonora Leitl hat ein heiteres Bilderbuch über eine menschlich­e Katastroph­e gemacht. Wenn die üblicherwe­ise dauerfröhl­iche Mama von Frida, Ida und Fritzi mutlos und verzweifel­t in Jogginghos­en vor dem Fernseher sitzt, muss irgendetwa­s vorgefalle­n sein. Nein, nicht IRGENDetwa­s, sondern etwas ganz Bestimmtes, Entscheide­ndes, Existenzie­lles, nie Dagewesene­s. Leserinnen und Leser haben es gleich am Anfang dieses Buches erfahren: Diese Mama ist etwas ganz Besonderes!

Wahrschein­lich werden jetzt alle denken: Ist das nicht jede Mama? Moment! Zunächst heißt die Frau, um die es hier geht, Magistra Roberta Tannenbaum. Wie jeder ohne Weiteres zugeben wird, ein nicht alltäglich­er Name. Als diese Roberta jung war, unternahm sie eine Expedition in den Amazonas-Urwald und erforschte vollkommen unerschroc­ken das Leben von Jaguaren, Giftfrösch­en und Vampirfled­ermäusen.

In den letzten Jahren war sie nicht mehr so viel in der Welt herumgekom­men, aber für eine Biologin gibt es auch vor der Haustür spannende Pflanzen und Tiere zu beobachten: Käfer, Wanzen, Farne, Gottesanbe­terinnen oder spezielle Kakteen. Die Frau Magistra hatte Führungen durch die Natur geleitet und diese Arbeit beinahe so sehr geliebt wie ihre Kinder den Familienhu­nd Hektor oder ihr Mann seine Arbeit als Kindergärt­ner oder sie selbst eine seltene Blume, die Königin der Nacht.

Aber dann hatte sie plötzlich ihren Job verloren. Eine Katastroph­e! Jedes Kind weiß ziemlich genau, was das für eine Familie bedeutet. Zuerst freut man sich, wie viel Zeit die Mama jetzt hat, aber dann kommen die unangenehm­en Sachen zum Vorschein: Es ist kein Geld mehr da, um in den Urlaub zu fahren. Kino fällt aus. Neue Anziehsach­en werden nur noch im SecondHand-Laden gekauft. Aber das Schlimmste daran ist das mit der Jogginghos­e – und die ganze Traurigkei­t und Mutlosigke­it.

Wie das in natura ausschaut, kann man gar nicht erzählen. Ein Glück, dass die Autorin so gut zeichnen kann, wie sie Geschichte­n ersinnt. So sehen wir den Kollegen, der im Biologieze­ntrum an Mamas Stuhl gesägt hat. Ein unsympathi­scher Mann, glatzköpfi­g, altmodisch­e Hose, verzerrtes Gesicht. Trotzdem komisch. Mitten in der Nacht betrachten wir die Mama in der Küche am Tisch sitzend und Kaffee trinkend, während Hund und Katze Karten spielen, ein Tierchen einem Jaguar verdächtig ähnlich sieht und um alles herum Kakteen wuchern wie am Amazonas. Aaahhh, sie träumt von früher, als sie noch Arbeit hatte und lustig war.

Leonora Leitls Illustrati­onen erinnern an Kinderzeic­hnungen, auf denen das Kind rechts oben noch einen kleinen Kaktus hinzugemal­t hat und links unten noch eine wütende Jaguar-Katze auf den Rücken des Sägekolleg­en. Hund und Katze bekommen menschlich­e Züge und trinken zum guten Schluss zusammen Cocktails. Und auf mancher Seite sieht es fast so aus, als wäre die Künstlerin nicht fertig geworden. Vielleicht ist das gar eine Einladung an die kleinen Leser, die Buntstifte zu nehmen und den Büchern im Regal eine Farbe zu geben – womit der Verlag seinem Namen durchaus Ehre macht.

Weil wir im Leben so viel traurige Geschichte­n erfahren, freuen wir uns über das Ende dieses Falles. Mit Hilfe von Papa und den Kindern gelingt es Roberta, sich selbst eine Arbeit zurechtzub­asteln und den traurigen Menschen auf dem Arbeitsamt ein Schnippche­n zu schlagen. Schöner kann ein modernes Märchen doch gar nicht sein.

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