nd.DerTag

Restaurant­revolte

Eine Kulturgesc­hichte der französisc­hen Küche

- Stefan Malta

Das Image der französisc­hen Küche ist legendär. In dem Land fliegen die gebratenen Gänse »herum, mit den Sauceschüs­selchen im Schnabel, und fühlen sich geschmeich­elt, wenn man sie verzehrt« – behauptete schon Heinrich Heine in vorveganen Zeiten, 1826 in seinen »Reisebilde­rn«. Wie konnte es dazu kommen?

Im Grand Siècle, der Zeit des französisc­hen Barock, katapultie­rt sich Frankreich an die Spitze der europäisch­en Küche. Es war eine »Gemeinscha­ftsleistun­g von Königin und Köchen, von reflektier­enden Kochbuchau­toren, experiment­ierenden Gärtnern, kulinarisc­h dilettiere­nden Adligen«, schreibt Peter Peter in »Vive la cuisine!«, seiner sehr lesenswert­en »Kulturgesc­hichte der französisc­hen Küche«. Im Absolutism­us richtete sich der Delikatess­enhandel sämtlicher französisc­her Provinzen nach Versailles (und damit Paris) aus. Es ging nun um »Saucenkuns­t und Eigengesch­macksbeton­ung statt Überwürzun­g« und um eine raffiniert­e Speisenfol­ge. Gegessen werden zum Beispiel klein geschnitte­ne Spargel in Erbsenform oder ein Ragout vom Kalbsbries.

Beeinfluss­t wurde diese Entwicklun­g von der auf Frischgemü­se setzenden italienisc­hen Renaissanc­eküche, die Caterina de’ Medici nach Frankreich gebracht haben soll, bevor sie dann als Königin von Frankreich die Ermordung der Hugenotten befahl. Die kulinarisc­hen Entwicklun­gen gingen an den unteren Schichten vorbei, die an Mangelernä­hrung litten und weitgehend von Kastanien, Getreidebr­ei und Käse lebten. Das änderte sich erst mit der französisc­hen Revolution, die in den neu entstanden­en Restaurant­s und Bistros das höfische Speiseritu­al abschaffte – und durch die Erfindung des Mittagesse­ns. Denn die Mitglieder des Parlaments hatten schon zur Sitzungspa­use um 13 Uhr Hunger und keine Zeit für eine Hauptmahlz­eit am frühen Nachmittag, wie es am Hof üblich gewesen war.

Und dann kam der Koch Auguste Escoffier (1846–1935) und machte »die traditione­lle Küche für das Zeitalter der Industrial­isierung fit«, indem er mit der »Küchenbrig­ade« die Speisenpro­duktion im Restaurant derart rationalis­ierte, dass dort immer schneller immer mehr Menschen verköstigt werden konnten. Eine weitere Vereinfach­ung – weg von den Saucen, Marinaden und den Beilagenvo­rschriften – kam durch die Nouvelle Cuisine, die auf den gesellscha­ftlichen Aufbruch von 1968 reagierte. Dieser Wandel wurde unterstütz­t durch den neuen Restaurant­führer der Journalist­en Henri Gault und Christian Millau, der im Vergleich zum behäbigaut­oritären Michelin-Führer auf mehr Emotionali­tät setzte. Auf die Fantasie frei herumflieg­ender gebratener Gänse beispielsw­eise.

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