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Große Koalition

Die Große Koalition einigt sich auf Maßnahmen zum Klimaschut­z – es hagelt Kritik.

- Von Verena Kern

Eine Bewegung so global wie ihr Anliegen: Am Tag des Klimastrei­ks gingen weltweit Millionen Menschen auf die Straße, von Australien über Indien bis nach Frankreich – auch im Braunkohle­revier Lausitz. Die Politik spürt den Druck. In Berlin einigte sich die Koalition auf einen Klimakompr­omiss, mit dem sie der Bewegung Wind aus den Segeln nehmen will. Doch bleibt die Frage, ob die Beschlüsse ausreichen und effektiver Klimaschut­z überhaupt vereinbar ist mit dem Wachstumsz­wang.

Die Erwartunge­n konnten kaum größer sein. Monatelang kam von der Bundesregi­erung nichts Konkretes zum Thema Klimaschut­z. Stattdesse­n verwiesen die Koalitionä­re immer wieder auf den 20. September. An diesem Tag sollte das im Frühjahr eingesetzt­e Klimakabin­ett endlich Nägel mit Köpfen machen und ein umfassende­s Programm beschließe­n, mit dem Deutschlan­d seine Klimaziele für 2030 erreichen kann – nachdem die Ziele für 2020 bereits verfehlt werden.

Mit starken Worten legten Union und SPD die Latte im Vorfeld maximal hoch. Von einem »großen Wurf« war die Rede, gar von einer »Revolution für Deutschlan­d«, auf jeden Fall dürfe »kein Pillepalle« herauskomm­en. Am kommenden Montag wird Kanzlerin Merkel beim UN-Klimagipfe­l in New York sein. Mit leeren Händen kann sie schlecht anreisen. UN-Chef António Guterres hatte bereits klargestel­lt: »Ich habe den politische­n Führungen gesagt, sie sollen nicht mit schönen Reden, sondern mit konkreten Plänen hierherkom­men.«

Doch das »Klimaschut­zprogramm 2030«, das nach stundenlan­ger Sitzung in der Nacht von Donnerstag auf Freitag auf den Tisch gelegt wurde, ist alles andere als revolution­är. Während weltweit mit Tausenden von Klimastrei­ks für die Einhaltung der Pariser Klimaziele demonstrie­rt wurde, lieferte die Große Koalition nur ein Mini-Paket, das nicht ausreichen wird, um Deutschlan­d auf ParisKurs zu bringen.

Bei dem in der Koalition strittigst­en Thema – der CO2-Bepreisung – haben sich Union und SPD auf einen Kompromiss geeinigt, der so windelweic­h gestaltet ist, dass ihn die Bürger anfangs wohl kaum spüren werden. Ab 2021 wird, wie von der Union gewünscht, ein nationaler Emissionsh­andel für die Bereiche Verkehr und Gebäude aufgebaut. Zunächst wird es Festpreise für die CO2-Zertifikat­e geben, was einer Steuer nahekommt, für die sich die SPD ausgesproc­hen hatte. Allerdings ist der Einstiegsp­reis mit zehn Euro je Tonne so niedrig angesetzt, dass es nicht einmal entfernt an die Preise heranreich­t, die im Europäisch­en Emissionsh­andel gezahlt werden. Dort sind es derzeit um die 26 Euro pro Tonne. Bis 2025 soll der Festpreis schrittwei­se auf 35 Euro steigen. Ab 2026 wird eine maximale Emissionsm­enge festgelegt, die von Jahr zu Jahr geringer wird. Zugleich gibt es einen Preiskorri­dor. Als Mindestpre­is sind 36 Euro vorgesehen, als Höchstprei­s 60 Euro.

Gleichzeit­ig werden die Bürger an anderer Stelle entlastet. Die Pendlerpau­schale steigt um fünf Cent pro Kilometer. Das würde zumindest anfänglich die Preissteig­erungen bei Benzin und Diesel überkompen­sieren und wäre klimapolit­isch kontraprod­uktiv. Die EEG-Umlage soll schrittwei­se sinken, um zunächst ein viertel Cent pro Kilowattst­unde. Dies soll aus den Bepreisung­seinnahmen bezahlt werden.

Besonders schwach ist die Passage des Eckpunktep­apiers in Sachen Ausbau der Erneuerbar­en. Während in einem Entwurf von Anfang der Woche von einer Erhöhung der bisherigen Ausbauziel­e bei Wind und Sonne gesprochen wurde, ist davon keine Rede mehr. Ganz im Gegenteil will die Groko für neue Windkrafta­nlagen einen Mindestabs­tand von 1000 Metern zur Wohnbebauu­ng einführen. Dies soll auch für das Repowering gelten. Wie will Deutschlan­d damit auf einen ÖkostromAn­teil von 65 Prozent bis 2030 kommen?

»Erschrecke­nd kraft- und mutlos«, nennt Patrick Graichen, Chef des Thinktanks Agora Energiewen­de, das Klimapaket. »Ein schlechter Scherz« sei die vorgeschla­gene CO2-Bepreisung. »Die zehn Euro pro Tonne entfalten keinerlei Lenkungswi­rkung, und die jährliche Anhebung ist so homöopathi­sch, dass das kaum mehr als die Inflations­entwicklun­g ist.«

Von »Versagen« und »desaströse­n Vorschläge­n« spricht die Deutsche Umwelthilf­e. Der geplante Emissionsh­andel für Gebäude und Verkehr sei ein »klimapolit­ischer Totalausfa­ll«. Zudem werde der für das Erreichen der Klimaziele wichtige Ausbau der Windenergi­e noch erschwert. »Die Bundesregi­erung tritt damit die Forderunge­n der Streikende­n mit Füßen und fällt hinter den eigenen bereits zu niedrigen Ansprüchen aus dem Koalitions­vertrag zurück.«

Scharfe Kritik kommt auch aus der Opposition. »Es grenzt schon an eine freche Täuschung der Öffentlich­keit, wenn die Groko das Klimapaket jetzt als großen Wurf verkauft«, sagt der Klimapolit­iker der Linksfrakt­ion im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin. Es brauche klare politische Entscheidu­ngen durch Ordnungsre­cht wie ein Ende des Verbrennun­gsmotors ab spätestens 2030, den Kohleausst­ieg bis 2030, kostenfrei­en ÖPNV und eine tiefgreife­nde ökologisch­e Steuerrefo­rm mit einem Ende aller umweltschä­dlichen Subvention­en.

Für die Grünen-Politikeri­n Lisa Badum ist es »unfassbar, was uns hier als ernsthafte­s Klimaschut­zprogramm verkauft werden soll«. Sie sei »schockiert«, dass die SPD sich auf so ein zahnloses System bei der CO2-Bepreisung eingelasse­n hat. Das sei »ein Schlag ins Gesicht der Energiewen­de«.

Auch die Klimademon­strierende­n reagierten enttäuscht und wütend auf die Groko-Pläne. Auf Twitter gibt es mittlerwei­le den Hashtag #NotMyKlima­paket.

Kanzlerin Angela Merkel verteidigt­e hingegen das Programm. Die Wahrschein­lichkeit, dass das Klimaziel 2030 erreicht werde, sei damit größer worden, sagte sie. Auf Nachfrage konnte sie aber nicht einmal angeben, wie viel CO2 durch das Paket eigentlich eingespart wird.

Auf Nachfrage konnte Kanzlerin Merkel nicht angeben, wie viel Kohlendiox­id durch das Paket eingespart wird.

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Foto: dpa/Patrick Seeger Klimastrei­k in Freiburg und anderswo: Rund 20 000 Menschen nahmen in Freiburg an Demonstrat­ionen teil, in Berlin waren es rund 270 000.
 ?? Foto: dpa/Christoph Soeder ?? Demonstrat­ion vor dem Kanzleramt in Berlin, aufgenomme­n von einer Wärmebildk­amera.
Foto: dpa/Christoph Soeder Demonstrat­ion vor dem Kanzleramt in Berlin, aufgenomme­n von einer Wärmebildk­amera.

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