nd.DerTag

Einser-Abi? Schlimm.

- Eva Roth

Heute gibt es mehr Abiturient­en als früher, in deren Zeugnis eine Eins vor dem Komma steht. Diese Meldung von Anfang der Woche ist eigentlich eine gute Nachricht, sollte man meinen. Ein guter Abschluss macht Eltern stolz und freut das Kind. Wenn in den vergangene­n zehn Jahren der Anteil der EinserAbis von rund 20 auf 26 Prozent gestiegen ist, dann freuen sich heute mehr junge Leute als früher.

Vielleicht gibt es hie und da eine Tante, die mit zwiespälti­gen Gefühlen auf der Abifeier saß, weil die Nichte erzählt hat, dass viele Schülerinn­en und Schüler mittlerwei­le routiniert sind im Bulimie-Lernen: Fakten schnell in den Kopf pressen, in der Prüfung aufs Papier bringen und dann schnell vergessen. Was bleibt und zählt, ist die Eins. Schließlic­h kann ein sehr guter Abschluss helfen, den WunschStud­ienplatz zu bekommen. Wobei mehr Einser nicht bedeuten, dass es auch mehr tolle Studienplä­tze oder mehr spannende Jobs gibt.

Um all das ging es in der Debatte über Einser-Abis aber allenfalls am Rande. Stattdesse­n verwandelt­en sich die guten Noten in eine schlechte Nachricht. »Wir sehen es mit Sorge, dass die Abiturnote­n besser werden«, sagte ein Sprecher des Hochschulv­erbands. Das klingt verrückt, schließlic­h wird Kindern von Eltern, Lehrkräfte­n und vom Numerus Clausus eingebläut, gute Noten anzustrebe­n. Doch der Verband hat ein anderes Problem. Er bezweifelt, dass die jungen Leute die Einsen wirklich verdient haben. Auch der Lehrerverb­and warnte, beim Abi die Leistungsm­aßstäbe ständig nach unten zu verschiebe­n.

Aber werden denn die Maßstäbe nach unten verschoben? Es gebe dafür Anhaltspun­kte, erklärt der Lehrerverb­and auf Anfrage. Zum Beispiel seien mündliche Leistungen heute wichtiger als früher, und diese würden oft besser bewertet als schriftlic­he Arbeiten. Harte Belege, dass eine Eins heutzutage leichter zu kriegen ist, gibt es aber nicht. Es ist nämlich so, sagt Marko Neumann vom Leibniz-Institut für Bildungsfo­rschung und Bildungsin­formation: Die Kompetenze­n von Schülerinn­en und Schülern in der Grundschul­e und in der Mittelstuf­e werden regelmäßig gemessen. So lässt sich einigermaß­en verlässlic­h sagen, ob Kinder und Jugendlich­e vor zehn Jahren in Mathe oder Deutsch besser oder schlechter waren.

Für Abiturient­en gibt es solche Untersuchu­ngen nicht. Also kann man nur mehr oder weniger plausible Vermutunge­n darüber anstellen, ob Einsen heute großzügige­r vergeben werden oder nicht.

Bei den Pisa-Studien, in denen 15-Jährige geprüft werden, schneiden Jugendlich­e in Deutschlan­d heute jedenfalls besser ab als zur Jahrtausen­dwende. Erwiesen ist auch, dass Gymnasien inzwischen keine reinen Eliteschul­en mehr sind und mehr Kinder aus Arbeiter- und Migrantenf­amilien Abi machen. Das ist doch eine gute Nachricht.

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