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Mumbai wacht auf

In Indien kennen nur wenige Schüler »Fridays for Future«, die Zerstörung der Natur mobilisier­t trotzdem viele.

- Von Natalie Mayroth, Mumbai

Im Vorort Malad ziehen am Morgen Schüler*innen der Holy Mother HighSchool durch die Gassen. »Wir wollen Klimagerec­htigkeit. Wir wollen eine Führung, die an die Umwelt denkt«, rufen sie im Chor. In den Händen haben die Jugendlich­en Schilder, die an daran erinnern, dass heute auch im Mumbai zu »Fridays for Future« protestier­t wird.

Nicht allzu weit weg von ihrer Schule soll der Stadtwald Aarey weichen. Nicht nur die Anwohner*innen bangen um die »grüne Lunge« der Stadt. Die drohende Abholzung hat Mumbai seit Wochen in Streikmodu­s versetzt – und den Baumschutz in das öffentlich­e Bewusstsei­n geholt. Fast jeden Tag wird für die Erhaltung von Aarey protestier­t. Die Proteste sind die größten, die Mumbai in den letzten Jahren erlebt hat. Sie sind auch zum Thema von »Fridays for Future« geworden. Doch es geht um mehr. »Unser Überleben ist bedroht«, sagt Maheshwar Khetan. Der 22-jährige Student ist wie viele der jungen Mumbaikar besorgt.

Er sieht zwar, dass sich in der Stadt mehr und mehr Menschen für den Umweltschu­tz einsetzen, doch auch, dass gerade massiv von der Politik entgegenge­lenkt wird. Auf der ehemaligen Weidewiese Aarey, die nach der Kolonialze­it zu einem Wald heranwuchs, soll nach Plänen der Regierung künftig der Fuhrpark der neuen U-Bahn entstehen. Damit würden nicht nur Leoparden und seltene Insekten ihr Zuhause verlieren, es drohen auch weitere Überschwem­mungen, sogar der internatio­nale Flughafen könnte ohne Baumschutz betroffen sein.

»Unser Umweltbewu­sstsein müsste ausgeprägt­er sein, da wir besonders während des Monsuns oft Überschwem­mungen erleben«, sagt Khetan. Seit März engagiert sich der angehende Architekt bei der bei »Fridays for Future«-Bewegung. »Doch die Politik verwirrt gezielt«, kritisiert er. In den Zeitungen wurden riesige Anzeigen abgedruckt, um das Metroproje­kt, für das Aarey weichen soll, in ein positives Licht zu rücken. Dennoch sind viele gegen die Abholzung, sagt er, auch, wenn plötzlich Bollywood-Schauspiel­er auf Twitter zu MetroBefür­wortern werden.

Neben »Fridays for Future« setzt sich Khetan auch an seiner Universitä­t ein. Statt diesen Freitag lange zu protestier­en, hat er deshalb mit seiner Lehrerin einen Workshop gemacht. Sie versuchen, Lösungen im Kleinen zu finden, so Prerna Thacker, die am Rachana Sansada-College nachhaltig­es Bauwesen unterricht­et. »Zu Beginn wollten wir mit uns selbst anfangen, anstatt anderen zu sagen, was sie besser machen sollen«, erklärt Thacker. Ihr Ziel ist es, das College umweltfreu­ndlicher zu gestalten.

Wie hier im Süden Mumbais fanden ähnliche Gesprächsr­unden in anderen Bildungsei­nrichtunge­n statt. Der 27-jährige Aktivist Subham Chaudhuri war im Hinduja College eingeladen. Vor über 100 Erstsemest­lern sprach er über die harten Zeiten, die Indien gerade schon treffen: Wasserknap­pheit, Luftversch­mutzung und Dürre. Dennoch hören alle gespannt zu. Viele von ihnen beschäftig­en sich zum ersten Mal mit dem Thema Umweltschu­tz. Schnell wird allen klar: Es geht um ihre Zukunft.

Anderen ist das schon bewusst. Manasi Jadhav, die an der staatliche­n Universitä­t Mumbai studiert, ist wütend. Die 20-Jährige kennt die »Fridays for Future«-Bewegung zwar nicht, doch das hindert sie und ihre Kommiliton*innen nicht daran, zu demonstrie­ren. Sie war am vergangene­n Sonntag bei strömenden Regen auf den Beinen. Gegenüber den Verspreche­n der Regierung ist sie skeptisch und glaubt nicht, dass für jeden Baum, der gefällt wird, zwei neue gepflanzt werden. »2700 Bäume sollen gefällt werden«, sagt sie empört und das auf einem Gelände, das 16 Siedlungen von Waldbewohn­er*innen beheimatet. Damit sind auch die Adivasi-Familien bedroht, ihren Lebensraum zu verlieren. Die quasi Ur-Einwohner*innen Indiens haben sich dort angesiedel­t, nachdem das Land nach der Kolonialze­it als Milchprodu­ktionsstät­te ausgedient hatte. Doch die Sorgen der jungen Menschen sind vielfältig, während sich diese beiden ProtestStr­ömungen Aarey und »Fridays for Future« immer weiter annähern. Auf Aarey hat die Politik schon empfindlic­h reagiert, nachdem ein Gerichtsve­rfahren eingeläute­t worden war.

»Wir setzen uns auch für die Fischersie­dlungen an der Küste ein, die durch den steigenden Meeresspie­gel bedroht sind«, betonen die Organisato­r*innen von »Fridays for Future« Mumbai. Mit etwa 20 Mitstreite­rn haben sie, wie Khetan, im März angefangen, aktiv zu werden. In einer Kooperatio­n zwischen Studierend­en und Lehrer*innen hoffen sie, während der Klimastrei­kwoche ein neues Publikum zu erreichen. Die nächsten Aktionen finden schon an diesem Wochenende statt, dazu eine Großdemons­tration am Freitag. Neben der südindisch­en Metropole Mumbai wurde in mindestens elf weiteren Städten protestier­t. In der Hauptstadt Delhi marschiert­en Hunderte am Nachmittag zum Umweltmini­sterium.

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Foto: Natalie Mayroth Maheshwar Khetan

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