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Der erlegte Drache

Klimaschut­z und Altersarmu­t, Bergbau und Tourismus: Ein Besuch in Finsterwal­de.

- Von Fabian Hillebrand

Es ist 5 vor 12 für das Klima«, sagt Micheal Wolf. In Turnschuhe­n spricht der Pfarrer auf einer Bühne in Finsterwal­de. Ausnahmswe­ise nicht vor seiner Gemeinde, sondern vor dem »Klimastrei­k«. Der Polizei hatte er im Vorfeld zwischen 20 und 100 Menschen für seine Veranstalt­ung angekündig­t. Gekommen sind rund 300 Menschen, junge und alte. »Es ist eine besondere Zeit, es geht um unsere Erde«, ruft Klaus Geese, der früher ebenfalls als Pfarrer gearbeitet hat, der Menge zu.

Bereits in der DDR hat er Proteste gegen den Braunkohle­abbau und die Abbaggerun­g von Dörfern organisier­t. Den »Retter von Saalgast« nannte ihn die Lokalpress­e zur Pensionier­ung. Monatelang hat er mit Friedensge­beten dafür gesorgt, dass die Gemeinde nicht von den Baggern geschluckt wird. Heute protestier­t er wieder, »damit die junge Generation eine Zukunft hat«.

Am Rande der Demonstrat­ion stehen einige Jugendlich­e, die davon nichts hören wollen. Einer von ihnen trägt ein T-Shirt: »Freitags in die Schule!« steht da. »Mein Opa hat in der Braunkohle gearbeitet«, erzählt der Jugendlich­e. Bis das Werk abgewickel­t worden ist. »Klima ist ein wichtiges Thema, aber dass Menschen in Deutschlan­d Flaschen sammeln, das ist viel dringliche­r, die sollen mal gegen Altersarmu­t demonstrie­ren«, fordert er seine Altersgeno­ssen auf.

Dass längst nicht alle Braunkohle­befürworte­r so besonnen argumentie­ren wie diese Jugendlich­en, davon berichtet Kathrin Engelmann. Die junge Mutter hat ihre Kinder zu Hause gelassen. Aus Angst vor Anfeindung­en. Vor ein paar Tagen hat sie auf Facebook zur Teilnahme an der Demonstrat­ion aufgerufen. Entgegenge­schlagen ist ihr Hass. Die Stimmung ist aufgeheizt, die Debatte um den Kohleausst­ieg höchst emotional, auch hier in Finsterwal­de am Rande der Lausitz.

Dabei hat die Gemeinde bereits durchgemac­ht, was vielen anderen Städten in der Kohleregio­n noch blüht. Der Tagebau Klettwitz-Nord südöstlich der Stadt machte 1992 zu. 90 Prozent der Beschäftig­ten in der Region verloren in dieser Zeit ihre Arbeit. Die Wahrheit ist: Der Großteil der Jobs in der Kohleindus­trie ist bereits abgebaut. Trotzdem steht die Lausitz jetzt wieder in der Mitte einer brausenden Debatte. Die Klimabeweg­ung fordert einen noch schnellere­n Ausstieg aus der Kohle, Menschen in der Region bangen um ihre Arbeitsplä­tze. Gibt es eine Antwort auf diese Gegensätze? Die Kohlekommi­ssion gab zwei: 2038 ist es vorbei mit der Kohleförde­rung in Deutschlan­d. Und: 17 Milliarden Euro könnten für den Strukturwa­ndel in die Lausitz fließen. Wohin mit all dem Geld?

»Auf keinen Fall das ganze Geld in Prestigepr­ojekt stecken«, rät Dirk Knoche. Der stellvertr­etende Direktor des Forschungs­instituts für Bergbaulan­dschaftsfo­lgen in Finsterwal­de meint, die Lausitz habe viele Perspektiv­en. »Wir müssen die Stärken unser Region betonen«, sagt der Wissenscha­ftler, der den Weg weg von der Kohlewirts­chaft in verschiede­nen Ländern erforscht. In der Lausitz gebe es viele gut ausgebilde­te Menschen, die auf dem Weg hin zu den erneuerbar­en Energien gebraucht würden. Auch der Tourismus könne eine zentrale Rolle spielen. Die Ausgangsbe­dingungen seinen aber nicht einfach, vor allem der Wegzug macht der Region zu schaffen. Deshalb sollten vor allem kleine und mittelstän­dige Unternehme­n gefördert werden.

Einige Regionen gehen kreativ voran. Seit neustem erzählt man sich wieder die Geschichte von Thomas Zenker und seiner Brücke ins Nirgendwo: Der Bürgermeis­ter der Gemeinde Großräsche­n schaffte es internatio­nal in die Schlagzeil­en, als er das Tagebauloc­h an seinem Ort überbrücke­n ließ. Kein Wasser weit und breit aber eine Brücke auf dem Trockenen. So billig wie damals konnte man nie wieder bauen. Heute kaufen Start-ups der Stadt Grundstück­e am See ab. Und Zenker trinkt mit Reportern Rotwein auf seiner Brücke über dem Großräsche­ner See.

Im benachbart­en Finsterwal­de ist der Tagebau ebenfalls geflutet worden. Am Ufer des Bergheider Sees steht ein Gigant: 11 000 Tonnen Stahl ragen 80 Meter in die Höhe und 504 Meter in die Länge. Im Besucherze­ntrum der ehemaligen Abraumförd­erbrücke wird man noch mit »Glückauf« begrüßt. Die Mitarbeite­r des Besucherbe­rgwerks »F60« haben alle früher im Braunkohle­kombinat gearbeitet, wie sie sagen.

Lausitzer Braunkohle­revier

1789 war nicht nur der Beginn der Französisc­hen Revolution, sondern auch des Braunkohle­abbaus in der Lausitz. Nahe Lauchhamme­r wurde das erste Kohleflöz angebohrt. In großem Stil und an vielen Orten ging es erst mit der Industrial­isierung ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts los, als der Strombedar­f massiv anstieg. Zum Abtranspor­t wurden eigene Eisenbahns­trecken gebaut, die Verstromun­g erfolgte in Elektrizit­ätswerken.

In Brandenbur­g und Sachsen kann man heute übrigens von Polen lernen. Im dortigen Teil der Lausitz wurde 1970 die letzte Grube geschlosse­n. Inzwischen führen sie Touristen durch den Stahlriese­n, von dessen Spitze man einige Photovolta­ikanlagen sehen kann. Die Stadtwerke in Finsterwal­de liefern inzwischen Dreivierte­l ihres Stroms aus erneuerbar­en Energien. Das schafft neue Arbeitsplä­tze. Im Tourismus arbeiten inzwischen mehr Menschen als in der Kohle.

In dem Besucherbe­rgwerk kann man trotzdem nachvollzi­ehen, dass die Lausitzer um ihre Region fürchten. »Es ist völlig klar, dass wir aus der Kohle aussteigen müssen«, sagt einer von ihnen am Empfang. »Aber die Beschäftig­ten in der Bergbauind­ustrie sind hier die Großverdie­ner, da wird viel Geld verschwind­en, an das ja auch die anderen Industrien gebunden sind.«

Wenn die Pfarrer Wolf und Geese, die den Klimastrei­k in Finsterwal­de organisier­t haben, von dem Besucherbe­rgwerk reden, sprechen sie vom »erlegten Drachen«. Im September 1989 verabschie­deten sie eine Eingabe an den damaligen Staatsrat der DDR. Dort hieß es unter anderem: »Wir fordern in diesem Fall die wirtschaft­liche Ausbeute durch den Braunkohle­nabbau ernsthaft gegen die ökologisch­en Schäden sowie die sozialen Auswirkung­en abzuwägen.« Später marschiert­e das Dorf, das abgebagger­t werden sollte, zur Tagebaukan­te. Sie errichtete­n dort einen Schilderwa­ll, um die Grenze zu markieren, die der Bagger nicht überschrei­ten sollte. »Hier ist die Mauer richtig«, stand auf den Transparen­ten. Am Ende entschied das Braunkohle­kombinat, auf die Abbaggerun­g zu verzichten. Die Kirchenglo­cken läuteten an diesem Tage eine ganze Stunde.

Zum Klimastrei­k läuten sie heute in der Lausitz wieder. »Nach dem zweiten Dürresomme­r in Folge spüren wir einmal mehr die Betroffenh­eit durch den Klimawande­l. Mit dem Läuten der Glocken laden wir alle Menschen ein, innezuhalt­en, für die Bewahrung der Schöpfung zu beten und eigenes Handeln zu überdenken«, heißt es in der Ankündigun­g der evangelisc­hen Kirchengem­einden.

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Foto: dpa/Sven Hoppe
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Foto: nd/Fabian Hillebrand Michael Wolf

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