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Demonstrie­ren statt streiken

Frankreich­s Gewerkscha­ften schließen sich dem globalen Streikaufr­uf nur vereinzelt an, Schulen bleiben gut besucht.

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Pünktlich um 13 Uhr versammelt­en sich fast Zehntausen­d Schüler in Paris am Place de la Nation. Bei strahlende­m Sonnensche­in hielten sie Spruchbänd­er wie »Es gibt keinen Planeten B« und »Klima Aktion Jetzt« in die Höhe. 60 Organisati­onen hatten zu landesweit mehreren Demonstrat­ionen aufgerufen, es waren vor allem Schüler, die kamen. Bildungsmi­nister Jean-Michel Blanquer lobte das Engagement der Schüler. Er finde es prima, wenn sich die Jugendlich­en im Kampf gegen die Erderwärmu­ng einsetzen. Mit einigen Schülerdem­onstration­en erschöpfte­n sich allerdings auch die Reaktionen auf den Aufruf zum globalen Klimastrei­k in Frankreich.

Und selbst der Streikaufr­uf der Schüler traf nicht auf allzu große Resonanz. »Mein Abitur ist mir vorerst wichtiger«, brachte in einem Rundfunkin­terview ein Gymnasiast die verbreitet­e Haltung zum Ausdruck. Der Leistungsd­ruck für Schüler ist in Frankreich sehr hoch, denn vom Abitur und den sehr anspruchsv­ollen Aufnahmepr­üfungen für begehrte Universitä­ten oder gar die Elitehochs­chulen hängt oft das ganze zukünftige Berufslebe­n der jungen Franzosen ab. Die Schuldirek­toren brauchen gar nicht viel zu tun, um Freitag für Freitag volle Klassen zu sichern, denn dafür sorgen schon die Eltern.

Um sich nicht nachsagen zu lassen, sie verkenne den Ernst des Problems, hat die Regierung die Wahl von landesweit 250 000 »Öko-Delegierte­n« aus den Reihen der Schüler beschlosse­n, die sich aus eigener Überzeugun­g und unterstütz­t durch entspreche­nde Weiterbild­ungen durch Klimaexper­ten vertieft mit dem Thema befassen und ihrerseits ihre Schulkamer­aden informiere­n sollen. Sie sollen für ein umweltbewu­ssteres Leben mobilisier­en – aber nicht für Streiks.

Dass diesmal internatio­nal auch dazu aufgerufen wurde, für das Klima den Arbeitspla­tz zu verlassen und auf die Straße zu gehen, hat bei den französisc­hen Gewerkscha­ften keinen größeren Eindruck hinterlass­en. Für die meisten von ihnen hat der gegenwärti­ge Kampf gegen die einschneid­ende Rentenrefo­rm absolute Priorität. Nur die kleine linke Gewerkscha­ft Solidaire rief zu Klimastrei­ks auf. »Das Thema wird immer dringliche­r und hat eine neue Stufe erreicht«, schätzt ihr Nationalse­kretär Didier Aubé. Die Zuspitzung der ökologisch­en Situation und der Kampf für soziale Gerechtigk­eit hätten eine gemeinsame Ursache, so Aubé: »Das kapitalist­ische System, das die arbeitende­n Menschen ausbeutet und die Natur plündert.« Für einen ökologisch­en Wandel bedarf es eines starken und funktionst­üchtigen öffentlich­en Dienstes, um beispielsw­eise durch einen effiziente­n öffentlich­en Personenna­hverkehr die Zahl der Autos auf den Straßen zu reduzieren und so die Luftqualit­ät zu verbessern, fordert der Gewerkscha­ftssekretä­r.

Nur vereinzelt haben Lehrergewe­rkschaften der großen Verbände ihre Mitglieder für Freitag zu Streiks an der Seite ihrer für die Sache mobilisier­enden Schüler aufgerufen. Befolgt wurde dieser Aufruf jedoch kaum.

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Foto: dpa/Michel Euler

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