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Jenaer Kontinuitä­ten

Der Biologe Uwe Hoßfeld über »Rasse« als soziales Konstrukt und die Verantwort­ung der Wissenscha­ften

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In der vergangene­n Woche veröffentl­ichten Sie mit Kollegen eine Erklärung, in der sie klarstelle­n, dass »Rasse« sich nicht aus einer biologisch­en Wirklichke­it ableitet, sondern das Ergebnis von Rassismus ist. Was heißt das im Klartext?

Die Einteilung der Menschen in »Rassen« war und ist zuerst eine soziale und politische Typenbildu­ng, gefolgt und gestützt durch eine anthropolo­gische Konstrukti­on. Die Grundlage dafür waren willkürlic­h gewählte Eigenschaf­ten, wie etwa Haarstrukt­ur, Hautfarbe oder Schädelfor­m. Hautfarbe als Kategorisi­erungsmerk­mal ist dabei genauso absurd wie die Unterschei­dung in »wollhaarig« und »schlichtha­arig«, weil wir heute wissen, dass wir bis vor 6000 bis 8000 Jahren alle dunkel pigmentier­t gewesen sind und sich erst durch die Migration der Menschen in den Norden, wo sie weniger Sonnenstra­hlung ausgesetzt waren, die Haut angepasst hat, um Vitamin D synthetisi­eren zu können. Es handelt sich dabei um Kategorien, die der Mensch aufgestell­t hat, um Menschen in Schubladen einzuordne­n und zu hierarchis­ieren und hat in der Konsequenz zur Versklavun­g und Ermordung von Millionen Menschen geführt. Eine biologisch­e Begründung dafür hat es nie gegeben. Das Konzept von »Rasse« ist das Ergebnis von Rassismus und nicht umgekehrt.

Bei Amazon lässt sich für etwa 80 Euro ein DNA-Test-Kit erwerben, mit dem ich meine genetische Herkunft und Ethnizität bestimmen kann. Widerspric­ht sich das nicht?

Ja, man kann zum Beispiel als Weihnachts­geschenk das eigene Genom entschlüss­eln lassen. Wenn man die Ergebnisse aber untereinan­der vergleiche­n würde, würde sicherlich rauskommen, dass wir alle Afrikaner gewesen sind. Im menschlich­en Genom gibt es kein einziges Gen, noch nicht einmal ein einfaches Basenpaar, das »rassische« Unterschie­de begründet. Diese Werte zeigen lediglich, welche Lebensvora­ussetzunge­n aufgrund etwa geografisc­her Besonderhe­iten unsere Vorfahren hatten.

Schon 1996 veröffentl­ichte der Verband deutscher Biologen eine ähnliche Erklärung. Warum jetzt auch – oder gerade jetzt – eine solche Erklärung der zoologisch­en Gesellscha­ft?

Ein Anlass war der 100. Todestag von Ernst Haeckel. Dieser hat an der Universitä­t Jena als einer der ersten eine Kategorisi­erung in zwölf Menschenar­ten und 36 »Rassen« vorgenomme­n und damit eine Grundlage für die Charakteri­sierung der Universitä­t Jena als »Rasseuni« unter der Leitung des »Rassenhygi­enikers« Karl Astel im Nationalso­zialismus gelegt. Damals gab es in Jena vier Professure­n für »Rassekunde«. Das gab es an keiner anderen deutschen Universitä­t. Zur Antrittsvo­rlesung des »Rassetheor­etikers« Hans F. K. Günther – er wurde als »RassePapst« tituliert – war am 15. November 1930 auch Adolf Hitler anwesend, sein erster und letzter Besuch einer deutschen Universitä­t. Es gibt an dieser Universitä­t also eine über 80-jährige Kontinuitä­t im Rassedenke­n, von der ersten Vorlesung Ernst Haeckels im Jahr 1865 bis hin zum Ende des Nationalso­zialismus.

Ist es dann mit so einer Erklärung getan? Welche Verantwort­ung trägt die Wissenscha­ft in Bezug auf Rassismus und Entschädig­ungen?

Wichtig war es uns eine Initiative zu starten, der sich andere anschließe­n können und die auch aktualisie­rt werden kann. Gerade im Licht politische­r Diskussion­en muss jeder selbst entscheide­n, wie er die Erklärung liest und einordnet. Aber wir als Wissenscha­ftler müssen Verantwort­ung übernehmen und uns von Rechtspopu­listen und inhumanem Gedankengu­t abgrenzen. Wir wissen, dass eine bloße Streichung des Wortes »Rasse« aus dem Sprachgebr­auch oder dem Grundgeset­z Intoleranz und Rassismus nicht verhindern wird. Aber wir können sensibilis­ieren, wenn dann rechtsradi­kale Milieus mit diesem Begriff arbeiten und zeigen, dass sich heutiges »Rassedenke­n« auch in Begriffen wie »Reinhaltun­g« oder »Selektion« oder »Ethnoplura­lismus« wiederfind­et. Also in Neuformuli­erung von Ideen der Apartheid. Es ist deshalb notwendig, sich frühzeitig gegen Rassismus zu stellen. Der Nichtgebra­uch von »Rasse« sollte heute zur wissenscha­ftlichen Redlichkei­t gehören.

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Foto: alamy Auge in Auge mit einem Skelett: Ernst Haeckel

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