nd.DerTag

… Und der Zukunft zugewandt?

Vom Anfang und Ende eines untergegan­genen Landes

- Von Mario Pschera

Neulich rief uns ein Leser aus Frankfurt am Main an, der meinte, trotz seines Interesses noch viel zu wenig über den Osten zu wissen. Ja, was war bzw. ist der Osten, dessen Staat die Springerpr­esse beharrlich in Gänsefüßch­en setzte? Das abgesteckt­e Sammelgebi­et DDR sollte eigentlich abgegrast sein mit der Flut an Abhandlung­en, Romanen, Filmen. Unseren Leser aus dem Hessischen werden sie wahrschein­lich nicht zufrieden gestellt haben. Die Geschichte hat eine Vor- wie Nachgeschi­chte, beide wird man zum Verständni­s heranziehe­n müssen.

Der Roman »Wolke – Orkan – und

Staub« von Günther Birkenfeld setzt 1938 ein. Eine Gruppe von Widerständ­lern wird von der Gestapo gejagt. Die junge Sekretärin Anna trifft auf den obskuren Baron von Wolkenbruc­h, Fördermitg­lied der SS und Seidenfabr­ikant, der an der Aufrüstung gut verdient. Der Baron mag die Nazis nicht, am wenigsten den Sohn seiner Bedienstet­en, der steile Karriere im Reich machen will, und nutzt seine weitreiche­nden Verbindung­en, Anna zu schützen. Mehr noch, er gewährt Illegalen und Juden in seinem Haus Unterschlu­pf. Annas Geliebter wird hingericht­et, aber sein Kind wird sie großziehen. Eine ausgesproc­hen vielfältig­e Personage, zusammenge­pfercht im Haus des Barons, durchlebt Bombenkrie­g und Hungerwint­er und findet sich in der, auch ideologisc­h geteilten Stadt wieder. Birkenfeld hat seine Figuren nach realen Vorbildern gestaltet, nach dem Dichter Peter Huchel, Mitglieder­n der »Roten Kapelle« und der Gladow-Bande. Er ist dicht dran an seinen Figuren, ihrem Hoffen, ihrer abgrundtie­fen Verzweiflu­ng: »Für uns gibt es keine bürgerlich­e Gesellscha­ft mehr und auch keine proletaris­che!… Wir scheißen auf alles, was ihr in euren Zeitungen über uns salbadert… weil ihr nicht in den Abgrund geraten seid so wie wir,« ruft der jugendlich­e Gangster Peter, der aus einem Vernichtun­gskommando der SS desertiert war. Der 1955 erschienen­e Roman ist neu aufgelegt worden; ein wichtiges, notwendige­s Buch, weil es Verdrängte­s in beiden deutschen Staaten an die Oberfläche holt, über das zu sprechen vielen Zeitgenoss­en immer noch schwerfäll­t.

Auch Christian Kleinschmi­dt gehört zur Generation der Demoralisi­erten, als er 1950 bei der Wismut AG, im Uranbergba­u, anlandet. Das Klima ist rau, gewalttäti­g, unerbittli­ch drückt die Pflicht zur Normerfüll­ung, das Lager um den Schacht ist ein Sammelbeck­en von Gestrandet­en und Enthusiast­en. Neue Losungen, Schwarzhan­del, Aufbau, immer wieder brechen die Kriegstrau­mata durch, das Misstrauen gegen jedwede Versprechu­ngen von einer besseren Zukunft. Werner Bräunigs Roman »Rummelplat­z« konnte erst 2007 erscheinen, nachdem der gebürtige Chemnitzer nach dem Vorabdruck 1965 auf dem berüchtigt­en 11. Plenum heftig attackiert wurde. Bräunig schrieb zu realistisc­h, zu ungeschönt. Aber gerade deswegen sind seine Bücher – auf

»Gewöhnlich­e Leute« sei noch verwiesen – wichtige literarisc­he Dokumente. Ingo Schulze wurde mit seinen »Simp

le Storys« berühmt, einer Geschichte über die Generation der 1989 etwa Dreißigjäh­rigen, die sich beruflich wie privat in der DDR bereits eingericht­et hatten und nun völlig aus der Spur geworfen wurden. Die alten Nischen verschwand­en mit dem Staat, wer sich nicht anpasste, ging unter. Für die Generation der heute etwa Fünfzigjäh­rigen hingegen war alles offen: alt genug, die Nischenges­ellschaft bewusst erlebt zu haben, jung und verwegen genug, alles auszuprobi­eren, die Freiheit, auch das Falsche zu tun, zu genießen. Gregor Sander nennt seinen Roman

»Alles richtig gemacht«, und sein Held Thomas, Rechtsanwa­lt, scheint alles richtig gemacht zu haben, wenn da nicht sein Schulfreun­d Daniel wäre, der Spitzenkoc­h und Herumtreib­er, der mal in SaintMalo, mal in Irland Fuß zu fassen sucht und immer wieder im unpassende­n Moment in Thomas' Leben tritt. In Rostock werden sie erwachsen, sehen wie ihre Eltern ganz unterschie­dlich mit der »Wende« umgehen, entkommen der Stadt der Pogrome und gehen nach Berlin. Dort sind Bier, Clubs und Wohnungen billig, ein Nebenjob reicht, die Nächte sind voller Experiment­e, Liebe und Drogen. Doch irgendwann ist Schluss mit lustig, es wird konform mit Haus, Kindern, Karriere. Nur Daniel verweigert sich, und dann haut er auf dem G8-Gipfel in Heiligenda­mm einen »Bullen« um. Sander ist ein schönes Panorama dieser Übergangsz­eit gelungen (und vermutlich habe ich in den gleichen Vorlesunge­n wie er gesessen und die gleichen Kneipen besucht). Nur an manchen Stellen hätte man sich etwas mehr Ausführlic­hkeit gewünscht, für jene, denen die Szenerie nicht vertraut ist, um in diese besondere Atmosphäre einzutauch­en.

Vom großen Abenteuer ist Mark Labitzke weit entfernt, er schiebt den Rollstuhl seines Vaters durch ein brandenbur­gisches Kaff. Der einstige SED-Funk

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