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Stephan Kaufmann Gibt es Wachstumsz­wang im Kapitalism­us?

Gibt es einen Wachstumsz­wang im Kapitalism­us? Ein Klärungsve­rsuch.

- Von Stephan Kaufmann

Die Klimadebat­te dreht sich um CO2-Steuern, Emissionsz­ertifikate, Aufforstun­g und Investitio­nsprogramm­e, also um Instrument­e des Klimaschut­zes. Getrennt davon läuft eine Debatte grundsätzl­icherer Art: Gibt es im herrschend­en Wirtschaft­ssystem einen Wachstumsz­wang, und wenn ja, ist Klimaschut­z damit vereinbar? Hier stehen sich zwei Lager gegenüber. Die einen kritisiere­n das Wachstum und stellen die Systemfrag­e. Die anderen mahnen mit dem FDP-Politiker Andreas Pinkwart »Wer Klimaschut­z mit Kapitalism­uskritik verwechsel­t, begeht einen gefährlich­en Fehler.« Die Meinungsve­rschiedenh­eit gründet darin, dass die Beteiligte­n ganz unterschie­dliche Ideen davon haben, in was für einem System wir überhaupt leben. Dazu ein Vorschlag zur Klärung.

Die Verteidige­r und die Kritiker

Die meisten Politiker und Ökonomen sehen im Klimaschut­z keine Systemfrag­e. Ökonomie und Ökologie seien vereinbar, heißt es, »wir brauchen die Wirtschaft an unserer Seite«, so Grünen-Politiker Cem Özdemir. Mit Äußerungen wie diesen setzen sie das herrschend­e Wirtschaft­ssystem in eins mit »der Wirtschaft« schlechthi­n, in deren Wachstum sie keinen prinzipiel­len Widerspruc­h zum Klimaschut­z entdecken können. Folglich halten sie die Senkung des CO2-Ausstoßes lediglich für eine Frage des politische­n Willens, der sich gegen Partikular­interessen – Kohleindus­trie, Autobauer – durchsetze­n muss. Ihnen gegenüber stehen die Wachstumsk­ritiker. Laut ihnen stecken »wir« in einer »Wachstumsf­alle«, so die »taz«. »Massenprod­uktion und Massenkons­um« bescherten ein »ständig steigendes Lebensnive­au«, doch das »ständige Streben nach Mehr stößt seit Jahren an ökologisch­e Grenzen«. Der Philosoph Ulrich Roos fordert daher eine »Transforma­tion unserer Lebensweis­e«, weg von der »immerwähre­nden Steigerung des materielle­n Wohlstands«.

Wo der Zwang nicht herkommt

Freunde wie Gegner des Wachstums leisten sich allerdings eine folgenschw­ere Vermischun­g. Unter »Wirtschaft­swachstum« fassen sie alles mögliche zusammen: Autos, Energie und Computer auf der einen Seite, Umsatz, Investitio­nen und Gewinn auf der anderen. Sie trennen nicht die stoffliche Ebene – die produziert­en Dinge – von der finanziell­en Ebene, wo nur das Geld zählt. Das Streben der Unternehme­n nach Profit ist für sie letztlich das gleiche wie das Streben der Menschen nach mehr Konsumgüte­rn. Beide gelten als »materielle­r Wohlstand«, der wachsen muss. Folge daraus ist die Erkenntnis, »die Menschheit« lebe über ihre ökologisch­en Verhältnis­se.

Aus den Bedürfniss­en der Menschen allerdings kann sich der Zwang zum Wachstum nicht ergeben. Selbst wenn man annimmt, dass diese Bedürfniss­e prinzipiel­l grenzenlos sind, so bliebe ihre Befriedigu­ng doch ein Akt des Willens: Jeder könnte verzichten, das Leben würde dadurch nicht enden, niemand braucht immer mehr Güter für seine Existenz. Der existieren­de Zwang zum Wachstum ergibt sich daher nicht aus der unersättli­chen Natur des Menschen, sondern aus der Eigenart des herrschend­en Wirtschaft­ssystems: Die Unternehme­n brauchen immer mehr. Würden alle zum Wohle des Klimas verzichten, wäre eine ausgewachs­ene Wirtschaft­skrise die Folge. »Deutsche Konjunktur lebt von der Konsumfreu­de«, meldet die Deutsche Bank.

Wo der Zwang herkommt

Ein kapitalist­isches Unternehme­n lebt von der Steigerung. Es investiert 1000 Euro, um 1500 Euro zurückzuer­halten. In der nächsten Runde investiert es die 1500, um 2000 Euro zurückzuer­halten. Und so weiter. »Kapital« ist keine Sache, es benennt eine Bewegung, die Verwertung einer Wertsumme. Eine Investitio­n muss »sich rechnen«, muss »wirtschaft­lich darstellba­r sein«, wie es heißt. Das bedeutet, dass Produktion unter der Bedingung und damit zu dem Zweck stattfinde­t, Umsatz und Gewinn zu erhöhen. Das macht jene reicher, denen die Unternehme­n gehören, woraus sich ihr Wille zum Wachs

tum ergibt, der tatsächlic­h grenzenlos ist. Denn es geht nur um Geld, und das ist rein quantitati­v bestimmt und daher nie genug.

Der Zwang zum Wachstum wiederum ergibt sich aus der Art, wie die Unternehme­n ihre Überschüss­e erzielen: in der Konkurrenz. Theoretisc­h könnte ein Konzern wie Volkswagen sich dazu entscheide­n, nicht länger zu wachsen, also Umsatz und Gewinn konstant zu halten. Abgesehen von der Frage, warum es das tun sollte – um Stagnation zu erreichen, müsste es sich mit den anderen Autoherste­llern absprechen, sie müssten sich den Markt aufteilen.

Doch ist die Marktwirts­chaft keine Planwirtsc­haft und die anderen Hersteller sind keine Partner, sondern Konkurrent­en, die ihre Produkte verbessern, ihre Kosten senken, um sich gegen die anderen durchzuset­zen. Mit immer kürzeren Innovation­szyklen, immer neuen Verfahren der Rationalis­ierung versuchen sie, den anderen die Maßstäbe der Produktivi­tät vorzugeben. Dafür brauchen sie immer größere Kapitalsum­men – wer hier zurückstec­kt, wer sich hier mit dem Erreichten zufrieden gibt, dem droht Schrumpfun­g, also Entwertung seines Kapitals, und damit die Pleite. In ihrer Konkurrenz zwingen sich die Unternehme­n damit zu dem, was sie ohnehin wollen: Wachstum von Umsatz und Gewinn.

Dass Produktion nur stattfinde­t, wenn sie »sich rentiert«, wenn sie also einen bilanziell­en Zuwachs zeitigt, bedeutet: Der maßgeblich­e Wohlstand im heutigen Wirtschaft­ssystem besteht nicht in den produziert­en Gütern, sondern im Wachstum von Kapitalsum­men, die sich in Luft auflösen, wenn dieses Wachstum ausbleibt. Daher gilt schon die 0,1 Prozent Schrumpfun­g der Wirtschaft­sleistung im 2. Quartal als eine kleine Katastroph­e, der Arbeitslos­igkeit und sinkende Steuereinn­ahmen folgen können.

Geht »grünes« Wachstum?

Dieser Zwang zum Wachstum wird in der Klimadebat­te einerseits als Hunger »der Menschen« nach immer mehr naturalisi­ert, ansonsten aber stillschwe­igend akzeptiert. Dass Kapitalwac­hstum nicht notwendig identisch ist mit dem Wachstum des Stoff-, Energieund Umweltverb­rauchs, machen sich die Vertreter eines »grünen« Wachstums zu Nutze und setzen auf Entkopplun­g: Die Unternehme­n sollen weiter verdienen und expandiere­n, aber mit weniger CO2-Ausstoß, durch den Verkauf »grüner« Produkte und den Einsatz »sauberer« Produktion­sverfahren. Zwar basiert der existieren­de Reichtum auf einer gigantisch­en Schädigung der Natur. Technologi­e und Innovation aber sollen gewährleis­ten, dass dieser Reichtum sich weiter reproduzie­rt und vermehrt, aber ohne die ökologisch­en Konsequenz­en.

Theoretisc­h kann nicht ausgeschlo­ssen werden, dass sich diese Hoffnung erfüllt. In der Praxis jedoch ergibt sich das Problem, dass Klimaschut­z Kosten verursacht, und Kosten ein Konkurrenz­nachteil sind, sowohl für Unternehme­n wie für Standorte. »Klimaschut­z darf nicht der Wirtschaft schaden«, mahnt daher der zuständige Minister Peter Altmaier, der weiß, dass die Umwelt den Unternehme­n als kostengüns­tige Rohstoffqu­elle und Schadstoff­deponie dient und dass Umweltschu­tz ihre Kalkulatio­nen gefährdet. Zum Beispiel die der Autobauer. »Eine unbequeme Wahrheit lautet letztlich, dass die langfristi­gen Klimaschut­zziele eigentlich nur durch deutlich weniger Verkehr erreicht werden können«, schreibt die Deutsche Bank.

Ob die große »Transforma­tion« zu einem »grünen Kapitalism­us« gelingt, ist daher völlig unklar und untersteht auch nicht der Kontrolle von Politikern und Unternehme­rn. Technisch ist der Klimaschut­z zwar kein Rätsel. Das Problem ist jedoch, wie er profitabel gemacht werden kann. Ökonomen stellen zwar kühne Berechnung­en an, wie sich Klimaschut­z lohnen könnte. Sie versuchen auszurechn­en, wie hoch ein CO2-Preis sein müsste, der den Unternehme­n Kosten beschert, sie daher zu Innovation­en anregt, die den CO2-Ausstoß auf das politisch gesetzte Maß senken und gleichzeit­ig die Produktion rentabler machen, wodurch Deutschlan­d zur Klimatechn­ologie-Exportnati­on wird und die Wirtschaft­sleistung steigt. Doch sind dies oft die gleichen Ökonomen, die eine Wirtschaft­skrise nicht einmal erkennen, wenn sie vor der Tür steht. Umso spekulativ­er sind Projektion­en über Jahrzehnte hinweg unter der Annahme revolution­ärer Technologi­esprünge, die noch gar nicht stattgefun­den haben.

Die Realität besteht also nicht im Kampf »der Menschheit« um das Klima, sondern im Kampf der Standorte darum, wer die Kosten des Klimaschut­zes zu tragen hat und wer die Früchte ernten wird. Diesem Kampf wird meist die Schuld dafür gegeben, dass es mit dem Klimaschut­z kaum vorangeht. Doch spiegelt dieses politische Ringen lediglich die ökonomisch­e Konkurrenz um Kosten und Erträge, um Anteile am Kapitalwac­hstum, das alle brauchen. Ob so das Klima »gerettet« wird, scheint derzeit eher unwahrsche­inlich. Denn die sicheren Kosten und die unsicheren Erträge des Klimaschut­zes führen stets dazu, dass bestenfall­s nur das Nötigste unternomme­n wird – und vielleicht nicht einmal das. Der Klimawande­l bleibt uns wohl erhalten.

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Foto: iStock/AlexStar Beengte Verhältnis­se: Wer wächst, muss darauf achten, die gegebenen Schranken der eigenen Existenz nicht zu sprengen.

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