Sebastian Chwala Macron verschärft seinen Rechtskurs
Frankreichs Staatspräsident verschärft seinen Rechtskurs.
Vergleicht man den Emmanuel Macron des Herbstes 2019 mit jener Siegergestalt, die vor zwei Jahren das Parteiensystem Frankreichs umpflügen konnte, erkennt man den Präsidenten kaum wieder. In aktuellen Umfragen bewerten nur noch 29 Prozent seine Arbeit positiv, elf Prozent weniger als vor der Sommerpause. Dass Gewählten schnell die Zuneigung entzogen wird, ist in Frankreich zwar üblich. Doch für Macron steht die Frage im Raum, ob seine »Reformpolitik« nicht stecken bleibt.
Nicht nur haben die »Gelbwesten«, was nicht jeder erwartet hatte, die lange Sommerpause überstanden und verzeichnen nun wieder eine leicht steigende Beteiligung an ihren Aktionen. Sondern nun spitzt sich auch der Widerstand von Gewerkschaften und Interessenverbänden gegen jene »Rentenreform« zu, die vielen als Macrons Hauptprojekt gilt. Zumindest zeigen Streikaktionen, dass die geplante Heraufsetzung des Renteneintrittsalters sowie das Ende von Spezialregelungen für bestimmte Berufsgruppen keine Selbstläufer sind.
Die »Empörten Ökonomen«, ein keynesianischer Zusammenschluss in der Wirtschaftswissenschaft, warnen davor, dass die staatlichen Renten für kommende Generationen um bis zu 25 Prozent sinken werden. Gleichfalls ist nämlich geplant, diese nicht mehr an den höchsten erzielten Einkommen eines Berufslebens zu bemessen, sondern die Einkommen während der gesamten Berufslaufbahn miteinzubeziehen. Pläne für eine Stärkung privater Zusatzversicherungen liegen bereits in den Schubladen.
Schon seit Monaten streiken zudem Pflegekräfte in rund 250 französischen Notaufnahmen gegen eine Unterfinanzierung staatlicher Kliniken. Vielerorts sind deshalb Wartezeiten von mehreren Stunden die Regel. Selbst dringendste Notfälle, so die Streikenden, könnten kaum adäquat behandelt werden. Tatsächlich wurde das Gesundheitssystem seit den 1990ern empfindlich zusammengestrichen – rund 40 Prozent der Geburtsstationen mussten schließen. Die Streikenden, denen sich mehr und mehr ärztliches Personal anschließt, fordern eine deutliche Aufstockung der Stellen, Entfristungen und Lohnerhöhungen.
Defizit und Steuersenkungen
Stattdessen plant Macron für das kommende Jahr weitere Steuersenkungen, die zuerst der bessergestellten Mittelklasse zugute kommen werden: So sollen die Einkommenssteuern sinken und die Gemeindesteuern reformiert werden. Wer wenig oder gar nichts verdient, wird davon keinen Nutzen haben – und ist von sinkenden Sozialleistungen bedroht: Arbeitslosenund auch Wohngeld werden beschnitten. Auch der Bildungssektor ist betroffen: Weit über 1000 Stellen für Lehrpersonal in weiterführenden Schulen werden abgebaut. Gelte es doch, das Haushaltsdefizit zu verringern. Wenn durch diese Sparpolitik und Umverteilung »nach oben« die Wirtschaftsleistung sinkt, dann dürfte allerdings das Defizit steigen statt sinken. Denn es bemisst sich am Bruttoinlandsprodukt. Von den Bemühungen, »EU-konform« zu bleiben, sind die Milliarden an Steuerkrediten an Großunternehmen nicht betroffen, die zu keiner nennenswerten Belebung der Konjunktur oder dem Abbau von Arbeitslosigkeit geführt haben.
Begleitet wird die neoliberale Agenda durch autoritäre, rechte Töne, die Macron früher auch nicht jeder zutraute. Nach der Sommerpause hat sich der Präsident, der etwa mit seiner Kolonialkunst-Rückgabeinitiative zunächst linksliberale Signale sendete, sich wohl endgültig die fremdenfeindliche Karte als Trumpf auserkoren. So sollen wieder einmal Zuwanderungsregeln verschärft und die finanzielle Unterstützung für Asylsuchende gesenkt werden. Selbst das Recht auf kostenfreie medizinische Behandlung steht in Frage – nicht zufällig ist das eine zentrale Forderung des rechtsradikalen »Rassemblement National« von Marine Le Pen: Hatte sich Macron im Wahlkampf zur Europawahl einmal mehr als letzten Schutz eines demokratischen Europa gegen den aufziehenden Faschismus inszeniert, bedient er jetzt offen die politische Rechte. Das klassische Ablenkungsmanöver für alle, die nicht gern über soziale Polarisierung sprechen.
Nach links gibt Macron derweil den harten Mann. Der begonnene Prozess gegen den Oppositionspolitiker Jean-Luc Mélenchon und einige Wegfährten wegen »Einschüchterung, Rebellion und Provokation« gegenüber Justiz und der Staatsmacht ist so fragwürdig wie als politisches Signal deutbar. Denn die Justiz in Frankreich steht traditionell unter erheblichem Einfluss der Politik.
Ob dem einstigen Liebling der Nation dieser Gestus verziehen wird, ist noch nicht ausgemacht. Unklar ist auch, ob, in welchem Umfang und zu welchen Kosten für ihn selbst er sein Sozialabbauprogramm durchsetzen kann. Wobei der linke Widerstand, wie so oft, an seiner Zerstreuung und teils auch Zerstrittenheit krankt.