Natascha Strobl Die Medienstrategie von Alexandria Ocasio-Cortez
Die Medienstrategie der US-Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez.
Linke Krise. Protofaschistische Hegemonie. Rechte Wahlerfolge. Salvini, Kurz, Trump. Doch gerade in der Wirkungsstätte des Letzteren regt sich eine linke Alternative, zu deren führenden Köpfen die US-amerikanische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez gehört. Ihre Geschichte ist schnell erzählt: Als chancenlose Kandidatin in einem tiefdemokratischen Wahlbezirk in der New Yorker Bronx schlug sie ihren Parteikollegen und langjährigen Amtsträger bei den Vorwahlen. Das allein ist schon eine gut zu erzählende Story. »AOC«, so ihr zur Marke gewordenes Kürzel, nutzte die ihr zuteilgewordene Öffentlichkeit aber auch gleich, um ein Gegenmodell zur autoritären, rassistischen und misogynen Trump’schen Hegemonie zu präsentieren. Um zu verstehen, wie sie das geschafft hat, hilft es, sich die Grundlagen des Gramscianismus ins Gedächtnis zu rufen.
Konsens gepanzert mit Zwang
Der italienische sozialistische Theoretiker Antonio Gramsci formulierte seine Theorie aus den Gefängnissen des faschistischen Italiens heraus. Seine Grundidee ist, dass es in komplexen Industriegesellschaften nicht genügt, die Macht im Staat innezuhaben, sondern dass auch die Akzeptanz der Zivilgesellschaft vonnöten ist. Zivilgesellschaft ist dabei das komplexe Geflecht vorparlamentarischer Gruppen, Organisationen und Institutionen, wie beispielsweise Kirchen, Gewerkschaften und Massenmedien. Stabile Herrschaft ist also nur durch den Konsens möglich, dass die eigene Ideologie die Beste aller Welten will. Erodiert dieser Konsens, können sich Herrschende nur noch durch Zwang beziehungsweise Gewalt halten. Dementsprechend schreibt Gramsci von Hegemonie gepanzert durch Zwang. Um eine bestehende Hegemonie zu brechen, bedarf es also einer Gegenhegemonie – einer Alternativvorstellung davon, wie die Zukunft aussehen soll. Genau hier kommen AOC und ihre politischen Mitstreiter*innen ins Spiel.
Am Alltagsverstand anknüpfen
Im Gegensatz zur demokratischen Führung vermittelt sie nämlich etwas Simples und inhärent Demokratisches: Politik ist nicht so kompliziert, wie gerne getan wird, und dementsprechend ist es wichtig, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen. AOC tut dies etwa mit ihrem Konzept eines »Green New Deals«, den sie nicht als eine Ansammlung trockener Zahlen präsentiert, sondern darin drastisch ausführt, wer die Leidtragenden des Klimawandels sind: die Armen, die Alten, die Kranken. Und verknüpft so Klassenpolitik mit Umweltpolitik. Sie bedient sich einer Sprache, die verstanden wird: Statt hölzernem Bürokratensprech verwendet sie die Sprache ihres Bezirks, verknüpft diese mit bekannten Bildern und Begriffen, etwa dem »New Deal«, und entwickelt sie weiter. Damit knüpft sie am Alltagsverstand der lohnabhängigen Mehrheitsbevölkerung an, spinnt die Erzählung weiter und bettet sie in ihre eigene Ideologie ein: die des demokratischen Sozialismus.
Nicht nur AOCs Inhalte sind anschlussfähig – sie wendet Strategien an, um ihre Inhalte auch breitenwirksam zu machen. Durch scharfe Konfrontationen mit dem US-Präsidenten Donald Trump und seinen Apparaten spielt AOC mit dessen medialer Logik, anstatt sich ihr zu entziehen. Sie dringt also in die Hegemonieapparate ein, um sie Stück für Stück zu ihren Gunsten zu wandeln. Begleitend hat sie sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ihren eigenen gegenhegemonialen Raum aufgebaut, den sie nicht nur für Angriffe, sondern auch zur Vermittlung ihrer Inhalte in einer allgemeinverständlichen Sprache nutzt. Beispielgebend ist hier ein gezeichnetes 15minütiges Video, das den »Green New Deal« detailliert erklärt. Die Länge des Videos widerspricht eigentlich der Schnelllebigkeit von Twitter, aber der bewusste Bruch der Logik funktioniert. 52 000 Retweets und knapp 130 000 Likes geben ihr recht. Da ist die Verbreitung über Facebook und Massenmedien noch gar nicht mit eingerechnet. Indem sie den bestehenden Konsens sowohl inhaltlich als auch methodisch bricht, schafft AOC die Idee einer anderen, demokratisch-sozialistischen Zukunft.
Transfer sozialer Bewegung
Was sie vom grundsätzlichen Verständnis parlamentarischer Politik unterscheidet, ist, dass sie spricht und sich verhält wie eine Aktivistin und nicht wie eine honorige Abgeordnete eines altehrwürdigen Parlaments. Vielmehr versucht sie, die Sicht der sozialen Bewegungen, etwa im Bereich der Waffenkontrolle, medizinischen Versorgung oder der Geflüchteten, ins Parlament zu bringen. Hier treffen zwei grundsätzlich verschiedene Logiken aufeinander, die AOC versucht zu vereinen: Sie ist nicht nur ihrem Bezirk, für den sie gewählt wurde, verpflichtet, sondern eben auch den vielen neu aufgekommenen sozialen Bewegungen der Ära Trump, die oft mit flacher Hierarchie funktionieren und One-Issue-Logiken haben. Der Transfer sozialer Bewegungen in die Machtapparate des Staates ist eine der wichtigsten Aufgaben für Gegenhegemonie. AOC ist nicht Intellektuelle im bürgerlichen Sinne, sondern organische Intellektuelle, wie Gramsci das nennt. Sie ist die Person, die die Bedürfnisse ihrer Klasse (oder eben der von Bewegungen) formuliert und sie überhaupt erst valide in den politischen Diskurs einbringt. Das funktioniert aber nur, wenn die Leute, die diese Bedürfnisse haben, auch anerkennen, dass sie diese authentisch vertritt. Die Einbindung der Zivilgesellschaft ist zentral im Aufbau der Gegenhegemonie, da eine One-Woman-Show zu wenig für echte Veränderung ist.
Das neue Spielfeld
AOC ist damit aber nicht nur ein Problem für Trump und seine Vision für die USA, sondern vor allem auch für die Bürokratie der Demokratischen Partei, die durch AOCs Art der Politik genauso angegriffen wird wie die Republikaner. Jahrzehntelang hat man sich die Macht aufgeteilt, mal mit Vorteilen für die einen, dann für die anderen. Trump, aber auch AOC spielen längst nicht mehr auf diesem Spielfeld: So unterschiedlich sie sind, verhandeln sie Grundsätzliches neu und basteln an einem völlig neuen Spielfeld, das nicht mehr auf den gleichen Logiken aufgebaut ist wie zuvor. Hillary Clinton – und ihre Kampagne – wollte diese Neuordnung der politischen Verhältnisse nicht wahrhaben und ist gescheitert, trotz Mehrheit bei der »Popular Vote«. Die Frage, ob die Demokratische Partei daraus gelernt hat, werden die Vorwahlen und die Nominierung eines/einer Kandidat*in zeigen.
Politik ist nicht so kompliziert, wie gerne getan wird, und dementsprechend ist es wichtig, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen.
Der Dokumentarfilm »Frischer Wind im Kongress« (Netflix) beleuchtet die Art des Politikmachens der Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez.