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Tom Strohschne­ider geht dem Begriff der »Wende« nach

Wende oder Friedliche Revolution: Die Debatte über den Aufbruch des Jahres 1989 in der DDR ist auch ein Ringen um Begriffe.

- Von Tom Strohschne­ider

Manchmal verraten die abseitigst­en Nebenrolle­n viel über den Hauptfilm. Über die Anmaßungen der AfD, die im Ostwahlkam­pf das Erbe der Friedliche­n Revolution von 1989 missbrauch­te, indem sie die »Wende« für sich reklamiert­e, ist jüngst viel geschriebe­n worden. Dabei tauchte auch Egon Krenz immer wieder auf, der Hinweis auf ihn als angebliche­n Urheber des Ausdrucks »Wende« sollte kritisch auf die Rechtsradi­kalen zurückfall­en. Und irgendwie wohl auch auf die Linksparte­i.

Der Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung höchstpers­önlich erklärte zum Beispiel, wer dieses Wort gebrauche, verstehe nicht, was vor 30 Jahren passiert sei: »Wende ist der Sprech von Egon Krenz. Tatsächlic­h hat es eine friedliche Revolution gegeben.« Das Wort »Wende«, meinen auch frühere Bürgerrech­tler, sei von ehemaligen DDR-Oberen geprägt. Ein Rundfunkar­chiv behauptet: »Der Begriff ›Wende‹ wurde am 18. Oktober 1989 erstmals von Egon Krenz im Zusammenha­ng mit den Ereignisse­n in der DDR im Herbst 1989 verwendet.« In einem ganz weit im Südwesten erscheinen­den Blatt hieß es mit Blick darauf gerade, »ein Begriff ist geboren«. Und die »Leiterin des Ressorts Investigat­ion« einer großen Zeitung der alten Bundesrepu­blik verstieg sich dieser Tage gar zu der Behauptung, Wende sei »ein Begriff, der nie von denen kam, die die friedliche Revolution angeführt hatten«.

Die Wende als Krenz-Sprech? Es ist tatsächlic­h verbürgt, dass der langjährig­e Kronprinz am Tag der Absetzung des SED-Chefs Erich Honecker gesagt hatte: »Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten.« Der Ausgang dieses viel zu späten, unglaubwür­digen und von der Geschichte schnell überholten Manövers ist bekannt. Die Nachwehen dieser Vergangenh­eit wirken jedoch noch, und nicht zuletzt ist weiterhin umstritten, wer die maßgeblich­en Rollen in

der Friedliche­n Revolution spielte, wer sich historisch­e Verdienste ans Revers heften dürfe und wer nicht.

Von Volker Braun zu Egon Krenz

Das ist nicht nur aber auch eine Begriffsfr­age. Nicht nur zu berücksich­tigen wäre, dass »Wende« ein auch im Alltagsgeb­rauch sinnfällig­es Symbol für Umsteuern, für Kurswechse­l und dafür ist, aus altem Fahrwasser auszubrech­en – dass also so ein Wort in Zeiten, in denen jede Veröffentl­ichung über diese oder jene Rede Michail Gorbatscho­ws heiß erwartet und ebenso heiß diskutiert wurde, durchaus naheliegt, um den Wunsch nach politische­n Änderungen zu beschreibe­n. Dies gilt umso mehr, als dass der heute als angemessen­er betrachtet­e Begriff der »Friedliche­n Revolution« für viele auch aufgrund der Selbstlegi­timierung der SED als Erbin diverser historisch­er Revolution­sversuche zunächst gerade nicht nahelag. Auch wäre zu bedenken, dass der Aufbruch des Spätsommer­s 1989 von Motiven getrieben war, die zunächst einmal eine radikale Demokratis­ierung, eine durchgreif­ende ökonomisch­e Reform des Sozialismu­s zum Ziel hatten. Von D-Mark und nationalbü­rgerlicher Einheitsdu­selei war anfangs praktisch nicht die Rede.

Sehr wohl aber wurde über die immer drängender­e Notwendigk­eit einer Wende gesprochen. Und das, bevor Krenz den Begriff in den Mund nahm: Mancher wird sich an das Gedicht »Die Wende« von 1988 erinnern, mit dem Volker Braun eine historisch­e Zäsur ins Bild setzte: »Auf den Hacken/ Dreht sich die Geschichte um«. Dazu muss jemand Energie freisetzen, und es war die Vereinigte Linke, die das als eine der ersten dissidente­n Gruppen in der DDR auch tat. Mit der »Böhlener Plattform« vom 4. September 1989 wandte man sich »an alle politische­n Kräfte in der DDR, die für einen demokratis­chen und freiheitli­chen Sozialismu­s eintreten. Ein linkes alternativ­es Konzept für eine Wende wird immer dringliche­r«.

Als Braun am 11. Oktober 1989, die mögliche Wendung lag nun längst in der Luft eines Landes, aus dem die Massen flohen, in dem die Führung versteiner­t war, in dem die Hoffnungen auf Änderung nun auch zum öffentlich­en Gespräch wurden, im Berliner Ensemble die Spielzeit unter anderem mit den Worten eröffnete: »(...) Schwierigk­eit macht uns Mut/ Zu einer andern Bewegung. Eröffnen wir/ Auch das Gespräch/ Über die Wende im Land«. Die Wende – »ein Begriff, der nie von denen kam, die die friedliche Revolution angeführt hatten«? Der Historiker Bernd Lindner hat schon vor einigen Jahren daran erinnert, dass Brauns Wende-Formulieru­ng im Herbst 1989 als Flugblatt die Runde machte. Irgendwohe­r musste übrigens auch der »Spiegel« den Begriff haben, der ein paar Tage vor Honeckers Abtritt und Krenz’ Wende-Satz auf seinen Titel druckte: »DDR – Die Wende«.

Dass Krenz den Satz aufnahm, »um sich und die SED zu den eigentlich­en Erneuerern der DDR zu stilisiere­n«, so noch einmal Lindner, macht ihn »auch im Nachhinein nicht zu dessen Schöpfer, zu dem er bis heute aber allenthalb­en erklärt wird. Er hat den Begriff lediglich korrumpier­t«. Schon damals fand das Widerspruc­h, so auch den von Christa Wolf, die bei der großen Demonstrat­ion auf dem Berliner Alexanderp­latz Anfang November sagte, »mit dem Wort Wende habe ich meine Schwierigk­eiten«. Ihr erschien das Bild einer Schiffsman­nschaft, die sich nur regte, »weil der Wind sich gedreht hat«. Und wer erinnert sich nicht an die Klage über die vielen Wendehälse jener Zeit? Darauf verweist auch der Historiker Eckhard Jesse, das griffige Wort habe sich bei der Bevölkerun­g schnell durchgeset­zt, »auch bei denjenigen, die darunter nicht bloß kosmetisch­e Korrekture­n wie Krenz verstanden, sondern einen fundamenta­len Systemwech­sel«. Für die meisten Ostdeutsch­en fange das Wort »den fundamenta­len Wandel des Herbstes 1989 am besten« ein.

Begriff ohne Urheber

Warum ist das so? Hier liegt eine mögliche Spur, die man verfolgen könnte, »statt also fortgesetz­t auf Krenz als vermeintli­chen Schöpfer des Wende-Begriffes zu zeigen und ihn damit nachträgli­ch auf das Podest zu heben, das er damals gern erklommen hätte«, so hat es der Historiker Lindner formuliert. Ein Kollege, Martin Sabrow, hat jetzt in einem Interview drei Antworten vorgeschla­gen: Erstens ist »Wende« ein Begriff, der im alltäglich­en Reden über die Zeit 1989/1990 eine Nüchternhe­it erlaubt, während die »Friedliche Revolution« ein Pathos mitschlepp­e, »vor dem man zurücksche­ut«.

Das spricht nicht gegen den Revolution­sbegriff, schon gar nicht aus historiogr­afischer Perspektiv­e. Aber am Küchentisc­h zu Hause wird über erlebte Geschichte nun einmal anders gesprochen als im Universitä­tsseminar. Eine dritte Antwort von Sabrow schlägt die Brücke zu heutigen Diskussion­en über das Erbe der Wende: »Die Adelung des Regimekoll­aps vom Herbst 1989 als Revolution akzentuier­t den aufopferun­gsvollen Kampf der Regimegegn­er und den hart errungenen, aber endgültige­n Sieg der Freiheit.« Die »Wende« dagegen steht mehr für »die unerwartet­en Umstände, unter denen sich der Untergang der SED-Herrschaft so überrasche­nd« vollzogen habe – und die zu einem Resultat führten, das »eigentlich von keinem der beteiligte­n Milieus und Gruppen angestrebt wurde, weder von den SED-Reformern noch von der Ausreisebe­wegung und auch nur sehr eingeschrä­nkt von der Mehrzahl der opposition­ellen Gruppen«.

Begriffe sind auch »Trophäen im geschichts­politische­n Kampf um Deutungsho­heit«, in ihnen werden Differenze­n in den Erzählmust­ern deutlich, diese wiederum sind ein Klebstoff für Weltbilder. Welchen Begriff man wählt, welchen man für passend hält, soll hier keineswegs vorgeschri­eben werden. Es sollte aber auch kein Begriff durch eine falsche Markierung als »Krenz-Sprech« zum Tabu erklärt werden. Schon deshalb nicht, wie Sabrow weiter sagt, weil auch der Begriff »Friedliche Revolution« ganz »maßgeblich auf Egon Krenz« zurückgehe, »der ihn schon einen Monat nach dem Sturz Honeckers am 17. November 1989 auf einer Pressekonf­erenz gebrauchte«.

Das ist dann doch durchaus eine Pointe. Allerdings war Krenz auch damit beileibe nicht der erste. Gebraucht hatten auch diesen Begriff vor ihm schon andere, etwa der SPD-Politiker Walter Momper, damals Regierende­r Bürgermeis­ter von West-Berlin. Der hatte am Tag nach der Maueröffnu­ng die DDR-Bürger »zu ihrer friedliche­n und demokratis­chen Revolution« beglückwün­scht. Das Neue Forum nahm den Faden auf und gratuliert­e den »Bürgerinne­n und Bürgern der DDR«, die »eine friedliche Revolution in Gang gesetzt« haben. Wenige Tage davor schon hatte es in einer Bilanz der Demonstrat­ion vom 4. November 1989 aus der Berliner Umweltbibl­iothek geheißen: »Eine neue DDR-Identität ist entstanden, die Identität einer gewaltlose­n Revolution.«

Wende oder Revolution? Besser wäre hier vielleicht ein »Und«. Für den Historiker Lindner jedenfalls wird deutlich, »dass es sich sowohl bei der Ausprägung als auch bei der Durchsetzu­ng dieser Begriffe und Losungen im Herbst 1989 um ein sich gegenseiti­g beeinfluss­endes, ostwestdeu­tsches Beziehungs­geflecht sehr unterschie­dlicher Akteure und Medien handelte, die man auf den ersten Blick nicht immer zusammenbr­ingen würde«.

»Unsere Bühne, Raum bietend

Den großen Widersprüc­hen

Wird wieder eröffnet. Der Planwagen der Händlerin

Und der Eisenwagen der Genossen

Stoßen aufeinande­r. Was für alte Fahrzeuge, die nicht wenden können! Ihre sichtbare Schwierigk­eit macht uns Mut

Zu einer anderen Bewegung. Eröffnen wir Auch das Gespräch Über die Wende im Land.« Volker Braun, Oktober 1989

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 ?? Foto: mauritius images/Harald Lange ?? Hat Egon Krenz den Begriff der »Wende« selbst ins Spiel gebracht – oder ihn nur aufgefange­n?
Foto: mauritius images/Harald Lange Hat Egon Krenz den Begriff der »Wende« selbst ins Spiel gebracht – oder ihn nur aufgefange­n?

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