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Steffen Schmidt Wie wirkt sich die Zeitungsle­ktüre aufs Klima aus?

Zeitungen und Bücher kommen in elektronis­cher Form. Doch ist der Verzicht auf bedrucktes Papier umweltfreu­ndlicher?

- Von Steffen Schmidt

Die gedruckte Zeitung ist für immer weniger Menschen die erste Informatio­nsquelle. Kurze Nachrichte­n über Twitter verbreiten sich schneller als das gedruckte Wort. Und so bieten die Zeitungen längst eine elektronis­che Ausgabe an und betreiben Nachrichte­nportale im Internet. In Zeiten des Klimawande­ls und des exzessiven Verbrauchs von natürliche­n Ressourcen stellt sich die Frage, ob dieser Trend nicht auch die Umwelt entlasten könnte. Immerhin wurden 2017 in Deutschlan­d 1,8 Millionen Tonnen Zeitungspa­pier verbraucht, gegenüber 2,9 Millionen Tonnen im Jahre 2001. Zwar müssen dafür nicht so viele Wälder abgeholzt werden wie für die Unmengen weißen Kopierpapi­ers, die durch deutsche Büros wandern, weil Zeitungspa­pier in Europa in der Regel zu 70 Prozent aus Altpapier hergestell­t wird. Aber tatsächlic­h ist das Papier in mehrerlei Hinsicht der größte Posten bei der Umweltbela­stung durch das Produkt Zeitung. So verbrauche­n der Transport der Zeitung zum Leser ebenso erhebliche Energiemen­gen wie nach der Lektüre Erfassung, Transport und Aufbereitu­ng des Altpapiers.

Um welche Größenordn­ungen es dabei geht, wurde allerdings das letzte Mal vor knapp zehn Jahren genauer untersucht. Damals hatte die Berliner »Taz« eine Treibhausg­asbilanz beim Öko-Institut in Auftrag gegeben. Die kam zu dem Ergebnis, dass pro verkauftes Exemplar rund 300 Gramm Treibhausg­ase emittiert werden. Dass derlei Untersuchu­ngen nicht ganz einfach sind, verdeutlic­ht die nicht unerheblic­he Spanne bei den Ergebnisse­n. So würde der »Taz«-Wert aufs Jahr gerechnet ca. 78 Kilogramm Treibhausg­as pro Exemplar ergeben. Dagegen ergab eine ebenfalls 2010 veröffentl­ichte Untersuchu­ng eines Teams um Åsa Moberg vom Königliche­n Institut für Technologi­e einen Endwert von nur 28 Kilogramm pro Exemplar und Jahr. Die schwedisch­e Untersuchu­ng betrachtet­e allerdings nur die Herstellun­g des physischen Produkts Zeitung, ohne Berücksich­tigung des Aufwands zur Produktion der Inhalte. Denn ihr Gegenstand war anders als beim Öko-Institut ein Vergleich der gedruckten Zeitung mit der Onlinezeit­ung.

Da für das Onlineprod­ukt der gleiche redaktione­lle Aufwand unterstell­t werden kann – vom Aufwand zur Unterhaltu­ng der Redaktions­räume über den täglichen Arbeitsweg der Redakteure bis hin zu Dienstreis­en –, sind diese Aufwendung­en für den Vergleich unwichtig.

Nicht ganz unerwartet kam die schwedisch­e Untersuchu­ng zu einer deutlichen Einsparung von Treibhausg­asen durch die Onlineausg­abe. Allerdings wird dieser Vorteil etwas relativier­t, weil für die Onlinelekt­üre spezialisi­erte E-BookReader angenommen werden. Diese für SchwarzWei­ß optimierte­n Geräte nutzen im Betrieb äußerst sparsame Bildschirm­e mit sogenannte­r elektronis­cher Tinte. Diese verbrauche­n lediglich beim Wechsel des Bildschirm­inhalts Energie. Zudem sind die über das Internet zu ladenden Datenmenge­n bei Schwarz-Weiß-Darstellun­g geringer. Findet die Lektüre auf einem modernen Smartphone, einem farbtaugli­chen Tablet oder einem Computer mit Farbdispla­y statt, verschlech­tert sich diese Bilanz bereits deutlich. Je länger man liest, desto stärker fällt dann der Stromverbr­auch der Geräte ins Gewicht.

Wegen all dieser Unwägbarke­iten befanden Experten des Umweltbund­esamts (UBA) auf »nd«-Anfrage, dass eine pauschale Aussage, ob das E-Paper oder die gedruckte Zeitung umweltfreu­ndlicher sei, unmöglich ist. Schon bei den Treibhausg­asemission­en ist nach UBA-Auskunft die Datengrund­lage noch sehr lückenhaft, zum Beispiel für die Herstellun­g von Tablets und Servern oder für die benötigte Internetin­frastruktu­r. Viele Studien berücksich­tigen nur den Energiever­brauch bei der Nutzung, aber nicht bei der Herstellun­g der Geräte. Vielfach wird der Aufwand für die Herstellun­g von Hardware der Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechni­k sehr unterschät­zt. Das UBA hat gemeinsam mit dem Öko-Institut Freiburg den Lebenszykl­us von Notebooks und anderen Computern untersucht. Danach entsteht der weit überwiegen­de Teil der Klimabelas­tung bei der Herstellun­g, nicht im Betrieb des Notebooks.

Hinzu kommen Unwägbarke­iten beim Zugang zur Zeitung: Bekommt man das Druck-Erzeugnis als Abonnent zugestellt? Bringt es der Postbote mit dem Fahrrad oder macht in einer dünn besiedelte­n ländlichen Gegend das Auto des Zustellers extra einen langen Umweg? Oder läuft man nur über die Straße zum Kiosk?

Ähnlich ist die Frage beim elektronis­chen Produkt: Kommen die Daten drahtlos über Mobilfunkn­etz und WLAN oder am PC über kabelgebun­denes Netzwerk? Eine Untersuchu­ng von Wissenscha­ftlern des Berliner Instituts für Zukunftsst­udien und Technologi­ebewertung (IZT) kam 2004 zu dem Schluss, dass der drahtlose Weg über das Mobilfunkn­etz den größten Energieauf­wand verursacht, bei sparsamen Lesegeräte­n größer als deren Herstellun­g.

Angesichts des lange unterschät­zten Aufwands bei der Herstellun­g der Geräte hängt das Gewicht des Energiebed­arfs allerdings von weiteren Faktoren ab. Das ist – da sind sich IZT und UBA einig – vor allem die Nutzungsda­uer des Tablets, Smartphone­s oder Computers. Wenn, wie das derzeit vor allem bei Smartphone­s gängig ist, die Geräte schon nach zwei Jahren erneuert werden, dürften die Vorteile gegenüber der gedruckten Zeitung schnell hinfällig werden.

Das UBA weist jedoch noch auf ein zweites Problem hin. Da Nachrichte­n und elektronis­che Zeitungen in den meisten Fällen auf Geräten gelesen werden, die nicht eigens für diesen Zweck erworben wurden, ist es schwierig zu entscheide­n, welchen Anteil des darin steckenden Umweltverb­rauchs der elektronis­chen Zeitung zuzurechne­n sind. Das Gleiche gilt für die Datenübert­ragung über das Internet. Das Öko-Institut Freiburg hat vor einigen Jahren ein Papier veröffentl­icht, das am Beispiel von lokaler Speicherun­g versus Onlinespei­cher die widersprüc­hlichen Daten darstellt. Es kommt zu dem Schluss, dass wegen der mangelhaft­en Datengrund­lagen ein Vergleich noch nicht möglich ist.

»Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen«, karikierte Goethe im »Faust« die Buchgelehr­samkeit. Die bisher vorliegend­en Daten zum Vergleich der Umweltbila­nzen elektronis­cher und gedruckter Zeitungen und Bücher sind weit entfernt von solchen Gewissheit­en.

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Foto: Alamy Stock Photo/Cultura Creative (RF) Bequemer für die Augen ist die gedruckte Zeitung.

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