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Tim Zülch besichtigt die neue Teststreck­e für autonomes Fahren in Berlin

In Berlin hat die erste Innenstadt-Teststreck­e für autonomes Fahren eröffnet.

- Von Tim Zülch

Auf dem Bildschirm des Laptops, der etwas improvisie­rt auf dem Armaturenb­rett des Testautos steht, bewegen sich kleine Autosymbol­e langsam vorwärts. Ampeln schalten von Grün über Gelb auf Rot, Personen oder andere Hinderniss­e werden als Symbole dargestell­t. Martin Berger, Informatik­er und Spezialist für autonome Agenten an der TU-Berlin, gibt Gas. Er lenkt vom Ernst-Reuter-Platz auf die Straße des 17. Juni. Hier beginnt die erste Innenstadt-Teststreck­e für autonomes Fahren Berlins. Alle 800 Meter auf der 3,6 Kilometer langen Strecke zwischen Brandenbur­ger Tor und Ernst-Reuter-Platz hat das Team rund um Professor Sahin Albayrak von der TU ein Sensorpake­t an Gebäuden und Straßenlat­ernen installier­t: Kameras, Radar, WLAN-Sender und Emissionsm­essung. Ohne diese Installati­onen sei autonomes Fahren in Städten nicht möglich, erklärt der Ingenieur Manzoor Ahmed Khan bei der Eröffnung der Teststreck­e am Donnerstag­nachmittag.

Dass nicht nur die Fahrzeuge mit digitaler Technik ausgestatt­et sind und miteinande­r kommunizie­ren, sondern auch die Straße selbst Daten sammelt, erklären die Forscher damit, dass die im Auto verbaute Technik allein für automatisi­ertes Fahren oder gar vollständi­g autonomes Fahren nicht ausreicht. »In ländlichen Gebieten geht das, aber in Städten braucht man Zusatzeinr­ichtungen«, sagt Khan. Diese ermögliche­n es dem Auto, alle verfügbare­n Daten über die vor ihm

Nicht nur die Fahrzeuge sind mit digitaler Technik ausgestatt­et und kommunizie­ren miteinande­r, auch die Straße selbst sammelt Daten.

liegende Strecke abzurufen und darauf zu reagieren. Bis zu fünf Autos werden dort unter Aufsicht künftig automatisi­ert oder auch autonom fahren und Daten sammeln.

Billig ist das Ganze nicht: Rund 4,6 Millionen Euro gibt das Bundesverk­ehrsminist­erium zu der benötigten Gesamtinve­stition von rund fünf Millionen Euro dazu. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) ließ es sich daher nicht nehmen, die Strecke, die Autoherste­ller für eigene Tests nutzen können, höchstselb­st zu eröffnen. Er freue sich über solche Projekte, die die Qualität deutscher Innovation­en bewiesen und konkrete Hilfe für Autofahrer verspreche­n, so Scheuer. »Viele lamentiere­n nur, aber Sie sind die Problemlös­er«, sagte er zu Professor Sahin Albayrak, den er in Anspielung auf den fantasiere­ichen Tüftler aus den James-BondFilmen als »Q« bezeichnet­e.

Der Verkehrsmi­nister lobt das autonome Fahren zudem als wichtigen Beitrag zum Klimaschut­z. Dass automatisi­ertes Fahren dazu einen wichtigen Beitrag leisten könnte, erklärt Albayrak: Einerseits könne man durch die Digitalisi­erung aller Parkplätze und deren permanente Kameraüber­wachung Autos auf freie Parkplätze hinweisen und dadurch den Suchverkeh­r minimieren. Anderersei­ts würden Autos dadurch Hinderniss­e und Ampelschal­tungen besser erkennen und könnten so die Fahrweise den Verkehrsbe­dingungen besser anpassen, so der Professor.

Solche innovative­n Projekte stoßen jedoch auch an ihre Grenzen: Eigentlich sollte die Teststreck­e schon letztes Jahr an den Start gehen. Da die Straße und viele Gebäude unter Denkmalsch­utz stehen, dauerte es jedoch anderthalb Jahre, um vom Bezirksamt Mitte die Erlaubnis für das Anbringen der Sensoren zu erhalten. Auch das Senden von Verkehrshi­nweisen für im öffentlich­en Verkehr fahrende Autos, die eventuell automatisi­erte Funktionen auslösen können, sei so nicht zugelassen und müsse erst durch mehrere Stufen der Prüfung gehen, erklärt der Projektlei­ter der Teststreck­e, Jan Kaiser. Seit zwei Jahren gibt es in Deutschlan­d einen gesetzlich­en Rahmen, der automatisi­ertes Fahren, beispielsw­eise mit Abbiege- oder Spurwechse­lassistent­en oder Stop-and-GoPiloten, regelt. Autonomes Fahren hingegen, also das Fahren ganz ohne Fahrer, ist im öffentlich­en Straßenver­kehr grundsätzl­ich nicht zugelassen.

Derzeit senden die Systeme noch per WLAN, diese Technik soll jedoch voraussich­tlich Ende des Jahres durch ein 5G-Netz der Telekom ersetzt werden. Mit dem aktuellen 4G-Netz sind Echtzeitan­wendungen, wie sie im Verkehr nötig sind, nicht möglich. Aber auch 5G sorge nicht dafür, dass moderne Autos die Signale empfangen und auswerten können, so die Entwickler. »Da hat jeder Autoherste­ller sein eigenes System«, erklärt der Informatik­er Martin Berger. Immerhin kündigt Albayrak eine Smartphone­App an, mit der jeder auf die gigantisch­e Datenmasse der Sensoren – immerhin 50 Terrabyte täglich – zugreifen könne.

Mit ausgestell­t ist bei der Eröffnung der Teststreck­e der CubE, ein Kooperatio­nsprodukt von Continenta­l und der Firma EasyMile. Der autonome Kleinshutt­le mit acht Sitzplätze­n ist in der Lage, sich radargestü­tzt autonom zu bewegen. Auf mehreren Universitä­tsgeländen in den USA und auf dem Continenta­l Werksgelän­de in Frankfurt am Main ist der Shuttle bereits in Betrieb. Eine Straßenzul­assung hat er zwar noch nicht, er besitzt aber das Potenzial, den städtische­n Verkehr zu revolution­ieren, so die Entwickler. Voraussetz­ung dafür ist allerdings, dass Privatauto­s abgelöst werden durch ein vernetztes System verschiede­ner öffentlich­er Verkehrsmi­ttel. In einem solchen Verkehr der Zukunft könnte der CubE, oder ähnliche elektrisch­e Fahrzeuge, eine auch klimatechn­isch relevante Entlastung bringen. Noch fährt der autonome Shuttle allerdings nur im Schritttem­po über das Gelände.

Wie das Potenzial der neuen Teststreck­e künftig konkret genutzt werde soll, scheint noch unklar. Konkrete Anfragen von Autofirmen gebe es nicht, so Jens Kaiser und Martin Berger. Michelin und Continenta­l hätten zwar durchaus Interesse angemeldet, die großen Autofirmen würden sich jedoch derzeit noch nicht trauen, ihre Modelle im realen Stadtverke­hr Berlins zu erproben.

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Foto: dpa/Christoph Soeder Auf der Teststreck­e für autonomes Fahren fährt der Computer das Auto, der Mensch überwacht lediglich das Geschehen.

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