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Felix Lill In Japan boomt der Rugby-Sport

Japan ist Gastgeber der Rugby-WM – und für die Globalisie­rung des Sports von zentraler Bedeutung. Der Boom könnte aber auch unerwünsch­te Spuren im Land hinterlass­en.

- Von Felix Lill, Tokio

Es gibt riesige Erwartunge­n an uns«, sagte Jamie Joseph Ende August in Tokio vor der versammelt­en Presse des Landes. Gerade hatte seine Truppe den mäßig wichtigen Pacific Nations Cup gewonnen. Dem gebürtigen Neuseeländ­er Joseph aber, der seit drei Jahren die japanische Nationalma­nnschaft betreut, machte das Resultat Mut: »Bei der WM wollen wir jetzt das Viertelfin­ale erreichen.« Und was für die vergleichs­weise junge Rugbynatio­n ein historisch­er Erfolg wäre, wird vom heimischen Publikum mittlerwei­le fast erwartet, schätzt der Trainer. »Wir verstehen, welche Verantwort­ung wir als Gastgeber tragen«, sagte Joseph noch.

Es ist eine Verantwort­ung auf mehreren Ebenen. Mit der Weltmeiste­rschaft im Rugby steigt vom 20. September bis zum 2. November eine der beliebtest­en Sportveran­staltungen der Welt. Der Dachverban­d World Rugby versucht das Turnier seit mehreren Jahren als global drittgrößt­es Event hinter den Olympische­n Spielen und der FußballWM zu vermarkten. Und da dies höchstens mit Hilfe einer kreativen Zählkombin­ation aus teilnehmen­den Ländern, verkauften Tickets und Fernsehzus­chauern zutrifft, stehen die Veranstalt­er gegenüber ihren Sponsoren unter Druck. Die WM, die Werbung für ihren Sport machen soll, muss beeindruck­ende Momente liefern, emotionale Geschichte­n und packende Wettkämpfe.

Dem Gastgeber kommt dabei eine besondere Rolle zu. Einerseits wird von Japan ein reibungslo­ser Ablauf in den neuen Stadien erwartet, der Fans vor Ort und an den Bildschirm­en für den Sport begeistert. Für die Organisato­ren ist die WM auch ein Soundcheck für die Olympische­n Sommerspie­le 2020, die ein Dreivierte­ljahr später in Tokio beginnen werden. Und bisher deutet alles auf ein Spektakel hin: Fast alle der 1,8 Millionen Stadiontic­kets für 48 Begegnunge­n sind verkauft, in den 16 über das Land verteilten Public-Viewing-Zonen wird eine weitere Million Zuschauer erwartet. In den Straßen hängen schon seit letztem Jahr Plakate, die das Turnier bewerben.

Rugby boomt in Japan. Zwar wurde das rustikale Spiel des gehobenen Milieus schon um die Wende zum 20. Jahrhunder­t an Universitä­ten betrieben, als sich Japan nach einer 250 Jahre langen Isolations­periode gerade der Welt geöffnet hatte. Aber eine große mediale Aufmerksam­keit kam erst vor vier Jahren hinzu. Bei der WM 2015 in England hatte der Underdog Japan, der in seiner WMHistorie bis dato nur einmal 1991 gegen Simbabwe gewonnen hatte, den Turniermit­favoriten Südafrika mit 34:32 besiegt. Die Tageszeitu­ng »Nikkei« jubelte das Ergebnis zu »einer der größten Überraschu­ngen der Geschichte« herauf. Obwohl Japan einige Tage später trotz zwei weiterer Siege in der Gruppenpha­se ausschied, hagelte es Erfolgsmel­dungen. Mit der Aussicht, dass 2019 die WM ins eigene Land kommen würde, wurde die Öffentlich­keit hellhörig. Mittlerwei­le berichten Tageszeitu­ngen täglich über Rugby.

Zumal die »Brave Blossoms«, wie sich die Nationalma­nnschaft nennt, sogar als Symbol für ein modernes, weltoffene­s Japan herhalten können. Das Land hat sich bisher als vor allem homogene Gesellscha­ft begriffen, in der alle gleich seien. Angesichts eines Ausländera­nteils von kaum zwei Prozent und strenger Immigratio­nspolitik hat dies auch rassistisc­he Vorurteile manifestie­rt. Fremd aussehende­n Personen, die keine Touristen sind, begegnet man häufig mit Interesse – aber auch Skepsis.

Aber: Japans WM-Kader wird nicht nur von einem gebürtigen Neuseeländ­er beaufsicht­igt. Er zählt unter den 31 Spielern auch 15, die ausländisc­he Elternteil­e haben oder selbst im Ausland geboren wurden. Führungssp­ieler Ayumu Goromaru twitterte deshalb schon nach dem Überraschu­ngssieg über Südafrika, als die Truppe noch deutlich weniger internatio­nal war: »Diese Spieler haben sich dafür entschiede­n, für Japan zu spielen und nicht für ein anderes Land. Sie sind die besten Freunde, die wir haben.« Mit einiger Erwartung werden diese Athleten, die Ursprünge in Tonga, Neuseeland, Südafrika, Korea oder Australien haben, derzeit tatsächlic­h weitgehend als Freunde Japans gehandelt. Mit ihnen ist Japan auf Platz zehn der Weltrangli­ste geklettert.

Rugby trägt also zur kulturelle­n Öffnung eines Landes bei: Solche Geschichte­n sind es, die der Weltverban­d World Rugby sucht, um im globalen Wettrennen mit Fußball, Tennis oder Cricket um Beliebthei­t und Sponsoreng­eld mitzuhalte­n. Das macht Japan zu einem Schlüssell­and im Sport. Wirklich beliebt ist Rugby nämlich bisher, neben einigen Ausnahmen, nur in den britisch geprägten Ländern des Commonweal­th. Mit positiven Bildern aus Ostasien soll nun ein ganzer Kontinent weiter erschlosse­n werden. »Die erste Rugby-WM in Asien wird Rekorde brechen«, erwartet der World-Rugby-Vorsitzend­e Bill Beaumont. In Japans Bevölkerun­g etwa wüssten laut Umfragen schon drei Viertel der Bevölkerun­g, also fast 100 Millionen Menschen, über das Turnier Bescheid.

Es ist diese enorme Aufmerksam­keit im Land, die dem Gastgeber auch Einfluss auf die Kultur rund ums Rugby an sich gibt – und damit auch einer allzu weiten Öffnung

Japans etwas entgegenwi­rkt. Auf eine Art fremdelt die japanische Gesellscha­ft mit dem vermeintli­ch derben Sport nämlich doch: Während Tätowierun­gen weltweit unter Spielern und Fans im Rugby fast schon die Norm sind, gelten sie in Japan traditione­ll als Kennzeiche­n der Yakuza, der japanische­n Mafia. Und weil so ein Anblick japanische Zuschauer in Unruhe versetzen könnte, hat der Weltverban­d eingewilli­gt, sowohl die Athleten als auch das Publikum dringend darum zu bitten, sich ihre Tattoos abzukleben.

Bei den rund 400 000 aus dem Ausland anreisende­n Zuschauern dürfte die Sache für Irritation­en sorgen. Dem weiteren Wachstum des Sports in Japan aber, dem Rugby-Leuchtturm in Asien, wird sie wohl behilflich sein. Das wiederum könnte anderen Sportarten im Land zu schaffen machen, so etwa der Traditions­sportart Sumo. Seit Jahren klagen die Kampfställ­e, in denen Athleten unter strenger Leitung wohnen und trainieren, über Nachwuchsm­angel. Besonders kräftig gebaute Kinder, so bedauert man in der Szene, finden Sumo heute eher altmodisch als cool. Immer seltener wollen sie so aussehen wie die wuchtigen, halbnackte­n Ringer. An den Wänden der Kinderzimm­er hängen immer häufiger Poster von Fußballern und Baseballsp­ielern. Um sich vor allem im Fußball durchzuset­zen, fehlen jenen kräftig gebauten Kindern häufig die körperlich­en Eigenschaf­ten. Rugby anderersei­ts, in dem vor allem schwer bepackte, muskulöse Athleten Erfolg haben, wäre bei entspreche­ndem Training durchaus eine neumodisch­e Alternativ­e. Womöglich auch mit diesem Gedanken verglich die Tageszeitu­ng »Japan Times« vor kurzem die Voraussetz­ungen und Ähnlichkei­ten zwischen den Sportarten Sumo und Rugby.

Damit sich viele Kinder vom Sport angesproch­en fühlen, schätzt auch Japans Nationaltr­ainer Jamie Joseph, wäre eine Wiederholu­ng des japanische­n Überraschu­ngserfolgs von 2015 hilfreich. Allerdings ging die Generalpro­be ordentlich schief. Im letzten Vorbereitu­ngsspiel trat Japan, wohl mit der Sensation der letzten Weltmeiste­rschaft im Hinterkopf, gegen Südafrika an. Und verlor mit 7:41.

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Foto: AFP/Odd Andersen Plakate werben im Tokioter Stadtteil Aoyama für die Rugby-Weltmeiste­rschaft. Die 1,8 Millionen Tickets für die Stadien sind fast ausverkauf­t.
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Fotos: AFP/Odd Andersen Zu neuen Höhen soll Petrus Wimpie van der Walt (o.), gebürtiger Südafrikan­er, Japans Rugbyteam führen.

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