Michael Müller Auf dem E-Mountainbike durchs Allgäu
Auf E-Mountainbikes beschert die Radrunde Allgäu viel Spaß und etwas Zwiespalt.
Die Sennerei ist ein großes, altes, dreistöckiges, backsteinrotes Haus mit weitem Dachüberstand und einem Hofladen. Sie gehört zum Siedlungsfleck Hopfen, hier beginnen die Allgäuer Alpen. Die Kundschaft parkt gerade mit einem Auto, fünf Mountainbikes und einem gesattelten Pferd.
Das Auto ist schnell wieder weg, die Räder gehören uns, das Pferd, ein Brauner, heißt Witalij. Sein Reiter, Felix, sitzt auf einer Holzbank und futtert Berg- und Wildblumenkäse, zwei der Hopfener Hausmarken. Sein Pferd stupst ihn mitunter an, und er gibt ihm dann einen kleinen Happen aus der Westentasche. »Läckerli«, sagt Felix. Er ist Schweizer und auf Witalijs Rücken schon seit zwei Wochen von Luzern in Richtung Wien unterwegs: tagsüber soweit die beiden es gemütlich schaffen, nachts Himmel als Dach und Moos als Bett, Morgenwäsche am Bach. Totale Entschleunigung, meint Felix. Er wolle später was darüber schreiben.
Wir, zwei Reporterinnen und zwei Reporter, wollen das später auch. Der Pferdesattel hat zwar plötzlich Fantasien ganz anderer Art geweckt, aber unsere Sättel besitzen auch ihren Charme. Wir haben die »Radrunde Allgäu« vor uns: nicht ganz ein Hochgebirgstrail, dennoch sind auf der Strecke nach Oberstorf fast 900 Meter Höhenunterschied zu bewältigen. Die Runde ist ein wohl durchdachter, klar ausgeschilderter 450-Kilometer-Kurs. Die Hälfte davon haben wir uns vorgenommen – von Bad Wurzach bis Illerbeuren. (Stationen siehe Randspalte)
Vom Westallgäu aus, wo man von weitem den Bodensee schimmern sieht, geht es entlang der Nagelfluhkette (bis 1800 m) erst im weiten Bogen nach Süden, dann nordwärts, nach einer scharfen Kehre. Mal wellig, mal hügelig, vereinzelt auch mal längere 14-Prozent-Steigungen, weitgehend auf glattem Untergrund, ab und an auf Schotterwegen. In der ansonsten niederschlagreichsten Gegend Deutschlands scheint die Sonne satt, stets bläst ein leichter Wind. Liebliche Landschaften, blitzblanke Ortschaften, Wald, Weiden. Auf den Wiesen wird geheut.
Ab und an halten wir, bestaunen die Aushänge auf den Dorfplätzen (»Amzeller Bulldog- und Schleppertreffen«, »Hard Rock Party in Karbach«, Eglofs Freilichttheater: »Das Recht der ersten Nacht«). An Brunnen pumpen wir unsere Trinkflaschen voll, beim Schlachter holen wir die Brotzeit. Wir baden in moorig-gesunden Teichen. Denn nicht nur Felix und Witalij, die später tatsächlich noch einmal unseren Weg kreuzen werden, entschleunigen im Allgäu: Das tun auch wir. Ganz nebenbei testen wir Elektro-Mountainbikes (E-MTB); der Autor ist überhaupt erstmals mit dieser Technik unterwegs.
Diese E-Mountainbikes sind, wie wohl E-Bikes überhaupt, eine grandiose Erfindung. Sie ermöglichen auch Menschen, die nicht so fit sind, das pure Raderlebnis. Schon vor 120 Jahren tüftelten Erfinder an einer gelungenen Kombination von Fahrrad und Motor. Die Crux war lange die Energieversorgung, bis die Lithium-Ionen-Akkus Anfang der 1990er den Durchbruch bahnten. Dank der Elektrounterstützung können wir uns heute steile Abstecher leisten, ohne abends kaputt ins Bett zu fallen. Wir halten ohne Zögern mitten auf harten Steigungen, um zu fotografieren. Leichten Fußes kann man wieder anfahren. Über eine üble Schotterstrecke surren wir mit eingeschaltetem Motorschub nur so hinweg.
Allerdings muss man auch mit einem E-MTB den Dreh richtig raushaben: Vorausschauend und kräftig mittreten und stets dem Gelände entsprechend schalten – sonst ist die E-Unterstützung schnell beendet, und die versprochenen 80 km Reichweite schrumpfen rapide. Für sportaffine Treter bleiben die Elektroräder zwiespältig, wie die Fachsimpeleien in unserem kleinen Gruppetto – mit Altersklassen zwischen 40 bis Ü 70 – zeigen. Zum einen will der Ehrgeizige die Motorunterstützung auf »Aus« lassen, zum anderen aber wiegt so ein E-MTB oft mehr als das Doppelte eines normalen Rades. Zum einen ist man abends glücklich, denn man hat ordentlich Kilometer gemacht und viel gesehen, doch man fühlt sich fahnenflüchtig aus der Bruderschaft der ganz Beinharten – so elektrobegünstigt. Und die, die sonst steil bergan nicht konnten oder mochten, kommen nun zwar locker hoch, doch kommen sie auch wieder gut herunter? Das kann mit einem so schweren Gerät – Superbremsen hin, superdicke Reifen her – für Ungeübte gefährlich werden.
Und schließlich noch eine kleine Warnung: E-MTB kann selbstgefällig machen. Es entfacht ein Gefühl, als wären einem richtig Flügel gewachsen. Doch sollte man nicht vergessen, dass man lediglich einen kleinen Motor unterm Hintern hat und deshalb mit Helm, Handschuhen und Knieschützern unterwegs sein. Dennoch lässt sich dieses fast spielerische Wellenreiten im Radsattel ohne Reue genießen. Vielleicht nicht ganz so entschleunigt, wie das Felix mit seinem Witalij schafft, doch das mit dem Pferdesattel müssten wir ohnehin erst mühsam lernen. Aber selbst für Hobbybiker gilt ja letztlich das, was Guillaume Martin, Franzose, Masterabschluss Philosophie und Platz 12 bei der diesjährigen Tour de France, jüngst in einem Interview sagte: »Man muss sich Rennfahrer einfach als glückliche Menschen vorstellen.«
Die Recherche wurde unterstützt von der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus.