Golfstrom zog am Golf vorbei
Isotopenanalyse beweist fehlende Durchmischung von Karibik und Atlantik vor zehn Millionen Jahren.
Vor rund 10 Millionen Jahren, im Erdzeitalter des Miozäns, waren die Kontinente schon ähnlich verteilt wie heute. Südamerika und Afrika waren längst auseinandergedriftet, Nord- und Südamerika lagen bereits nah beieinander. Der Atlantische Ozean war zwar noch etwas schmaler, aber es existierte schon ein ähnliches Zirkulationsmuster im Nordatlantik wie heute: Salzigeres, warmes Wasser strömte aus den Tropen nach Norden. Dort kühlte es sich ab, sank aufgrund seiner größeren Dichte nach unten, Richtung Meeresgrund und floss in der Tiefe wieder südwärts. Dabei waren – wie heute – die an strategischen Punkten absinkenden Wassermassen der Motor der Umwälzbewegung des Ozeans und damit einer Angleichung der Temperaturen von Polen und Tropen.
Ein entscheidender Unterschied zu heute bestand allerdings: Die Landverbindung zwischen Nord- und Südamerika war noch nicht geschlossen. Durch die Floridastraße in den Atlantik einströmendes, weniger salziges Pazifikwasser hätte nach bisherigem Wissensstand die Nordatlantische Ozeanzirkulation (AMOC) eigentlich abschwächen müssen. Das war aber, wie frühere Studien zeigten, nicht der Fall. Obwohl es für den Zeitraum von vor 11,5 bis 9,5 Millionen Jahren Nachweise für das Vorkommen von Pazifikwasser in der tiefen Karibik gibt, verfügte der Atlantik damals – wie Messungen der Zusammensetzung von Kohlenstoffisotopen im Sediment beweisen – über eine starke AMOC.
Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtzzentrums für Ozeanforschung Kiel haben nun eine Erklärung für den scheinbaren Widerspruch gefunden: In einer Anfang des Monats im Fachjournal »Nature Communications« (DOI: 10.1038/s41467-019-12034-7) erschienenen Studie belegen sie, dass während des fraglichen Zeitraums trotz fehlender Landverbindung zwischen den beiden amerikanischen Kontinenten eine Art Barriere bestanden haben muss, die verhinderte, dass das Pazifikwasser über die zentrale Karibik nordostwärts in den Atlantik strömen konnte. »Unsere Studie zeigt, dass das Wasser damals einen anderen Weg als den durch die Floridastraße in den Nordatlantik nahm. Es wurde daran gehindert und möglicherweise ostwärts in die Tropen abgelenkt«, erklärt die Hauptautorin der Studie Anne Osborne.
Dabei stützen sich die Geochemikerin am GEOMAR und ihr Team auf die Analyse von Sedimentproben aus der Karibik und von der Atlantikseite der Floridastraße. Die Zusammensetzung der Isotope von Neodym, das sich während der letzten 12 Millionen Jahre am Meeresgrund abgelagert hat, gab ihnen dabei Auskunft über die Herkunft des Elementes und damit des Ozeanwassers, das früher hier entlangströmte: »Während Neodym im Atlantik meist von alten, kontinentalen Gesteinstypen stammt, ist es im Pazifik jüngeren vulkanischen Ursprungs«, sagt Osborne.
Ein Vergleich der Isotope in der Floridastraße und der Karibik zeigte, dass sich diese bis vor 11,5 Millionen Jahren ähnelten. In den folgenden zwei Millionen Jahren fanden die Wissenschaftler nur noch in der Karibik Neodymisotope pazifischen Ursprungs, und vor rund neun Millionen Jahren änderte sich auch die Isotopenzusammensetzung von Neodym in der Karibik, was auf eine klare räumliche Trennung von Pazifik und Atlantik hinweist.
Warum das Wasser des Pazifiks vor etwa 11,5 Millionen Jahren nicht mehr durch die Floridastraße, sondern nur noch entlang des südamerikanischen Kontinents in den tropischen Atlantik fließen konnte, ist noch ungeklärt. Zwar ist die ganze Zone tektonisch aktiv, aber es bestehen keine Hinweise dafür, dass der Meeresboden damals etwa höher gelegen und so einen Durchfluss des Pazifikwassers verhindert haben könnte. Für wahrscheinlicher hält es Osborne, dass sich damals die Windverhältnisse oder Ozeanströmungen verändert und so die Sperre verursacht haben.
Die Ergebnisse von Osbornes Team beseitigen eine der bisherigen Ungereimtheiten zwischen Klimamodellen und den Daten aus natürlichen Klimaarchiven. Das ist durchaus von Bedeutung angesichts der Sorge führender Klimawissenschaftler, die starke Süßwasserzufuhr in den Atlantik durch das Abschmelzen der grönländischen Gletscher werde während der kommenden 100 Jahre das Golfstromsystem verlangsamen. »Das Miozän wurde oft als Gegenargument gesehen, weil eine Versüßung damals nicht zu einer Abschwächung geführt habe. Dieses Argument fällt jetzt weg«, betont Osborne.
Als Golfstrom bezeichnet man landläufig alle warmen Oberflächenströmungen des Atlantiks von der Floridastraße bis in die Arktis. Er handelt sich um eines der stärksten Strömungssysteme der Erde: Vor Florida führt der Golfstrom etwa 30 Mal so viel Wasser, wie alle Flüsse der Erde zusammen. Bevor ein Teil davon im Subtropenwirbel wieder gen Süden fließt, schwillt er sogar noch um das Fünffache an, um schließlich wieder in ähnlicher Größenordnung wie vorher zum Teil in der Labradorsee oder eben im Arktischen Ozean in der Tiefe zu verschwinden und dort entlang der amerikanischen Küste in die Tropen und den Südatlantik zurückzukehren.
Nach Aussage von Detlef Stammer, Professor für Ozeanographie an der Universität Hamburg, gibt es bislang noch keine sicheren Beweise dafür, dass sich der Golfstrom gegenwärtig bereits abgeschwächt hat. »Theorien und Modellvorhersagen zeigen, dass dies geschehen wird, daran gibt es keinen Zweifel. Der Knackpunkt ist, in der heutigen Situation zu unterscheiden, was ist natürliche Variabilität und was anthropogener Einfluss«, gibt er zu bedenken.