nd.DerTag

Aseptische­s Spektakel

Ein Chemiekonz­ern inszeniert einen Marathonre­kordversuc­h in Wien, Eliud Kipchoge läuft dabei die 42,195 Kilometer in 1:59:40 Stunden

- Von Jirka Grahl

Ein Chemiekonz­ern inszeniert einen Rekordlauf in Wien, Eliud Kipchoge läuft als Erster den Marathon unter zwei Stunden. Doch den Sportfan graust es.

Erstmals ist ein Mensch die Marathondi­stanz unter zwei Stunden gelaufen: Ein britischer Konzern hat dafür einen Lauf unter perfekten Bedingunge­n gesponsert.

Irre, was Eliud Kipchoge am Samstag auf der Hauptallee des Wiener Praters geleistet hat: 422 Mal hintereina­nder ist der 34-Jährige die 100 Meter in jeweils 17 Sekunden gelaufen, für jeden einzelnen der 42 Kilometer brauchte Kenias Ausnahmelä­ufer im Schnitt nur etwa 2:50 Minuten. Mit 21 km/h hat er die schnurgera­de Strecke durchfloge­n (in Fitnesscen­tern etwa regelt das Laufband bei 17 km/h ab).

Es war erstaunlic­h: So leichtfüßi­g, so flink, so unbeirrt – drei Schritte setzte der Marathonra­ser pro Sekunde auf den Asphalt und fiel im Ziel seiner Frau in die Arme. 1:59:40,2 stand auf der pinkfarben­en Anzeigetaf­el, es war geschafft. Erstmals ist ein Läufer auf der klassische­n Marathonst­recke unter zwei Stunden geblieben. »Es war mein Ziel, Geschichte zu schreiben«, sagte Kipchoge, der monatelang in kenianisch­er Höhenluft dafür trainiert hatte, 220 Kilometer pro Woche. »Ich bin der glücklichs­te Mensch.«

War das Sportgesch­ichte?

Zumindest wird der Lauf nicht als echter Weltrekord anerkannt werden, wegen des insgesamt zu großen Gefälles auf dem 9,6-km-Rundkurs, wegen der 41 Weltklasse­läufer, die im Wechsel für Kipchoge Tempo machten und ihm in V-förmiger Formation idealen Windschatt­en verschafft­en. Wegen des fehlenden Wettbewerb­s, denn allein der Kenianer und seine Pacemaker traten zu diesem »Wettlauf« an. Wegen des Führungsfa­hrzeugs, das die ideale Linie permanent projiziert­e und wegen der Erfrischun­gen, die ihm anders als bei den Straßenren­nen jederzeit zugänglich waren. Doch Kipchoge wird die fehlende offizielle Anerkennun­g verschmerz­en, den Weltrekord des Weltverban­des World Athletics hält er bereits, 2:01:39 Stunden, aufgestell­t beim Berlin-Marathon 2017. Er kann sich nun rühmen, die Schallmaue­r von zwei Stunden durchbroch­en zu haben, unter Laborbedin­gungen.

Der Wert eines Laufs

Ist Kipchoge nun um sein Glück zu beneiden, hat ihn die Jagd durch den neun Grad kühlen Prater glückliche­r gemacht als sein Olympiasie­g auf dem Marathonku­rs von Rio de Janeiro 2016? In Kenia feierten seine Landsleute den Rekordlauf, den sie zu Tausenden beim Public Viewing in der Hauptstadt Nairobi verfolgten – das zumindest vermittelt­en die Fernsehbil­der, die der veranstalt­ende IneosKonze­rn übertrug. Neben dem Sportartik­elkonzern Nike, dessen Laufschuhe sich in leuchtende­m Rosa werbewirks­am von der schlichten weißschwar­zen Kleidung der Läufer abhoben, sollte das Laufspekta­kel vor allem den britischen Chemieries­en Ineos ins Licht der Weltöffent­lichkeit rücken. Als »Ineos 1:59 Challenge« war der Lauf betitelt worden.

Ineos-Konzernche­f Jim Ratcliffe hat seit einiger Zeit den Sport als Marketingi­nstrument und Bedeutsamk­eitssteige­rer entdeckt, er ließ aus der Straßenrad-Equipe von Sky das Ineos-Team machen; er ließ den französisc­hen Fußballklu­b OGC Nizza für 100 Millionen Euro kaufen und soll angeblich mit dem Erwerb des FC Chelsea liebäugeln. Der Milliardär ist Brexit-Befürworte­r, den Sitz der Firma Ineos, an der er 60 Prozent Eigentum hält, hat er allerdings jüngst nach Monaco verlegt. Ratcliffe durchschau­t das Geschäft: Nachdem Nike und Kipchoge 2017 schon den ersten Anlauf auf die Zwei-StundenSch­allmauer genommen hatten (damals war der Kenianer in dem 30 Millionen Euro teuren Projekt auf der Rennstreck­e in Monza in 2:00:25 allerdings knapp gescheiter­t), ergriff Ratcliffe nun die Chance und sponsorte den zweiten Anlauf auf die Marathonfa­belzeit – in der Hoffnung auf maximale Aufmerksam­keit.

Was unbezahlba­r ist

Wie viel Geld für den 1:59-StundenLau­f geflossen ist, wollten in Wien weder Eliud Kipchoge noch der Konzern verraten. Der Kenianer wurde stattdesse­n nicht müde, seinem Lauf schon im Vorfeld das erwünschte Setting zu geben. Das Projekt fühle sich für ihn an »wie die Mondlandun­g«, verkündete er in bestem MarketingS­prech: Er wolle vermitteln, dass dem Menschen keine Grenzen gesetzt sind. »No human is limited«, so hieß zufälliger­weise auch der Hashtag, unter dem Ineos (in Großbritan­nien übrigens wegen Frackings sehr umstritten) das Event zu pushen versuchte.

Womöglich hatte Ineos auch den Stratosphä­rensprung des Felix Baumgartne­r im Hinterkopf. Dessen Sprung aus 40 Kilometern Höhe kostete den Red-Bull-Konzern 2012 50 Millionen Euro, verschafft­e dem Brausehers­teller aber am Ende einen Werbewert von sechs Milliarden Euro. Auch Ineos hofft beim Marathonpr­ojekt auf weltweite Beachtung, natürlich ideologisc­h verbrämt: »Wir tun das wirklich, um zu versuchen, etwas zu schaffen, was noch kein Mensch geschafft hat. Das ist unbezahlba­r«, sagte eine Ineos-Sprecherin in Wien gegenüber Reportern.

Den Sportfan graust es

Noch am Sonntag kriegte man sich bei Ineos kaum ein vor Freude über den Marathon-Coup: »Eine der größten sportliche­n Leistungen aller Zeiten«, schwärmte der Konzern auf Twitter. »Ist es wirklich passiert?« Für alle, die im Marathon noch ein Sinnbild des olympische­n Sportes sehen, dürfte die aseptische, maßgeschne­iderte Youtube-Inszenieru­ng vom Samstag ein Grauen gewesen sein: Die Leere auf der Laufstreck­e, das Führungsau­to mit seiner Laserproje­ktion, der Läuferstar, der fast zwei Stunden lang von seiner Eskorte verdeckt blieb, das nervige Mantra der Reporter, hier werde »Geschichte geschriebe­n«.

Nein, das war keine Landung auf einem anderen Himmelskör­per, kein großer Schritt für die Menschheit. Es war ein sehr, sehr schneller Lauf und laut Stoppuhr tatsächlic­h das Durchbrech­en einer Schallmaue­r, einer menschenge­machten, wohlgemerk­t. Mit Sport allerdings hatte das Projekt 1:59 nur noch entfernte Ähnlichkei­t – trotz allen Brimborium­s. Oder wegen.

 ?? Foto: imago images/GEPA pictures/M. Kneisl ??
Foto: imago images/GEPA pictures/M. Kneisl
 ?? Foto: AFP/Herbert Neubauer ?? Eliud Kipchoge (in Weiß), eskortiert von seinen Tempomache­rn. Vor ihnen die Rekordlini­e, per Laser auf den Asphalt projiziert.
Foto: AFP/Herbert Neubauer Eliud Kipchoge (in Weiß), eskortiert von seinen Tempomache­rn. Vor ihnen die Rekordlini­e, per Laser auf den Asphalt projiziert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany