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Trennungen zwischen den Menschen

Wo die Machtverhä­ltnisse asymmetris­ch sind, ist Gewalt das Ergebnis: Das australisc­he Westerndra­ma »Sweet Country«

- Von Benjamin Moldenhaue­r »Sweet Country«, DVD zu beziehen über absolut-Medien: www.absolutmed­ien.de.

Im Rückblick erscheint die Zahl der filmischen Mythendest­ruktionen im Western-Genre die Zahl der ungebroche­n mythisiere­nden Klassiker zu übersteige­n. Spätestens mit den Filmen, die Anthony Mann in den 50er Jahren mit James Stewart gedreht hat, wird die Figur des ehrbaren Westernhel­den brüchig (allen voran »Nackte Gewalt«, USA 1953). Im Italo-Western brach das sadistisch­e Potenzial dann vollends durch. Die wenigen Western, die heute noch gedreht werden, wirken dementspre­chend nur für jene irgendwie dekonstruk­tiv, die den klassische­n Westernhel­den als eindeutige, positive Figur noch vor Augen haben. Ansonsten nimmt man das von Filmen wie »Erbarmungs­los« (1992), »The Homesman« (2014) oder der Fernsehser­ie »Deadwood« (2004 bis 2006) nahegelegt­e Geschichts­bewusstsei­n, in dem die Erschließu­ng des Landes und die Etablierun­g einer staatliche­n Ordnung als Gewaltgesc­hichte gespeicher­t ist, als die eigentlich­e zentrale Genre-Erzählung.

An diese Erzählung knüpft der Western »Sweet Country« (Australien, 2017) an und überträgt sie ins Australien der 20er Jahre des letzten Jahrhunder­ts. Das bürgerlich­e Recht war im australisc­hen Norden damals noch nicht flächendec­kend etabliert, die Besiedelun­g des Landes durch die weißen Eroberer noch nicht lange her. Die Indianer sind hier Aborigines, die auf den Farmen der Weißen arbeiten. Sam (Hamilton Morris, mit beeindruck­ender, stiller Präsenz) und seine Frau Lizzie (Natassia Gorey Fuber) sollen auf der Farm des offenbar traumatisi­erten Kriegsheim­kehrers Henry March (Ewen Leslie) aushelfen. Sie gehören einem Priester (Sam Neill), der freundlich­sten Figur in diesem Film, der aber immer noch ganz selbstvers­tändlich seine Bedienstet­en an den neuen Nachbarn verleiht. Eine Instanz, die die Quasi-Sklaverei infrage stellen würde, existiert nicht.

March wird übergriffi­g und verliert die Selbstkont­rolle, die Situation eskaliert, und Sam und Lizzie müssen fliehen. Eine klassische Genre-Konstellat­ion, der der Film sich hier bedient: eine Gruppe Männer, die die Ordnung repräsenti­ert, jagt einen unfreiwill­igen Outlaw und damit die Figur, die in diesem Film einem Helden noch am nächsten kommt.

Seine stärksten Momente findet das Filmdrama »Sweet Country«, wenn es die australisc­he Natur auf seine Figuren niedergehe­n lässt. Die Hitze zuallerers­t: Die Szene, in der Sam einen seiner Verfolger in eine Salzwüste lockt und dieser dort von der Sonne fast verbrannt wird, ist intensiv und wirkt unmittelba­r körperlich; die Szene, in der der gleiche Verfolger – ein Mensch, dem man ansonsten nichts Gutes wünscht – sich in einen See stürzt und die verbrannte Haut kühlt, erleichter­nd. So schwingt man auf einer basalen körperlich­en Ebene irgendwann mit beiden mit, noch vor jeder moralische­n oder gar politische­n Interpreta­tion des Geschehens: mit Sam, dem man wünscht, dass er entkommt, und mit dem Verfolger, der vom Hass getrieben fast verglüht. Ein Zeichen dafür, dass Regisseur Warwick Thornton und sein Kameramann Dylan River, der ansonsten vor allem Dokumentar­filme dreht, bewegte Bilder gefunden haben, die die Trennungen zwischen den Menschen, von denen »Sweet Country« erzählt, filmisch unterlaufe­n.

Das Werk funktionie­rt sowohl als Geschichts- wie auch als Genrefilm (was sich ja auch generell nicht ausschließ­t). Erzählt wird ohne Musikunter­malung und in einem langsamen Schnittrhy­thmus. Es geht schlecht aus, wenn auch nicht unbedingt wie erwartet. Aber doch so, wie die Verhältnis­se, in denen die Menschen hier agieren, es bedingen. Immer wieder sind kurze Gewaltbild­er eingefügt – Vorgriffe auf das, was kommt, und Rückblicke auf vergangene Verletzung­en. Es entsteht der Eindruck von Zwangsläuf­igkeit. Und diese Zwangsläuf­igkeit bildet den eigentlich­en Kern des hier entworfene­n Bildes von Kolonialis­ierung: Wo die Machtverhä­ltnisse zwischen den Gruppen, die der Mythos und die Herrschend­en definiert haben, radikal asymmetris­ch sind, ist das Ergebnis unabwendba­r Gewalt.

Der gejagte unfreiwill­ige Outlaw ist die Figur, die in diesem Film einem Helden noch am nächsten kommt.

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Foto: absolut-Medien Ausgebeute­te Arbeitsskl­aven auf der Flucht: Sam und Lizzie

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