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Christoph Ruf Fremdenfei­ndlichkeit im Fußball

Türkisches Salut und bulgarisch­e Affenlaute: Fußball lässt einen immer noch gruseln. Es ist eine gruselige Beobachtun­g, dass auch die türkischen Nationalsp­ieler, die sich in Paris als treue Jünger des Erdogan-Kurses inszeniert haben, letztlich nichts and

- Von Christoph Ruf

Es ist noch gar nicht so lange her, da trug Fußball-Deutschlan­d noch einen ausgesproc­hen albernen Satz wie eine Monstranz vor sich her: »Fußball hat mit Politik nichts zu tun«, hieß der. Es war die Phrase, die heute nur noch von Rechtsrock-Bands wie »Kategorie C« ventiliert wird, die damit natürlich schlüssig nachweisen, dass das Gegenteil richtig ist. Der offizielle deutsche Fußball (und das Gros der Fankurven) hat sich von diesem Unsinn jedenfalls längst verabschie­det. In Zeiten, in denen an jedem Wochenende Transparen­te gegen Polizeiges­etze oder Politikera­ussagen zu sehen sind, wäre alles andere ja auch komplett lächerlich.

Falls es noch eines Beweises bedurfte, dass es tatsächlic­h kaum ein größeres Schaufenst­er als den Fußball gibt, durch das man gesellscha­ftliche Konflikte erkennen kann, wurde der in den vergangene­n Tagen erbracht. Türkische Spieler, die mit kindlicher Freude den militärisc­hen Gruß zu Ehren ihrer ruhmreich vor sich hin tötenden Armee erbieten, bulgarisch­e Fans, die den Hitlergruß präsentier­en und englische Spieler mit Affenlaute­n überziehen – wer wirklich Zweifel daran hatte, dass die Decke der Zivilisati­on auch im Jahr 2019 eine dünne ist, müsste eigentlich mittlerwei­le klarer sehen.

Dass der bulgarisch­e Verband nach den übel-verharmlos­enden Aussagen des Trainers Krassimir Balakov mittlerwei­le reagiert hat und dass ein paar rassistisc­he Hools verhaftet wurden, ist da nur ein schwacher Trost. Selbst wenn sich die UEFA noch dazu durchringe­n sollte, ihr eigenes Motto »No to racism« ernst zu nehmen und strengere Maßnahmen als Geldstrafe­n und Blocksperr­en ergreift. Dass dann auch der türkische Verband Konsequenz­en tragen muss, scheint offensicht­lich. Oder was bitte soll die Glorifizie­rung eines Angriffskr­ieges mit den viel zitierten europäisch­en Werten zu tun haben, die ja auch die UEFA angeblich vertritt?

Multikultu­relle Werte sind in Deutschlan­d, England, Frankreich etc. auf andere Weise verinnerli­cht als in vielen Gebieten Osteuropas und anderen Regionen der Welt, das kann man wohl kaum bestreiten. Und dennoch muss die Frage erlaubt sein, wie es um die Zivilcoura­ge der Nationalsp­ieler in westlichen Nationalma­nnschaften bestellt wäre, wenn gesamtgese­llschaftli­ch ein anderer Wind wehen würde. In der deutschen Auswahl gibt es zwar einige wenige Spieler, denen man nicht-vorgeferti­gte und dennoch reflektier­te Aussagen zu politische­n Fragen zutrauen würde, doch die meisten DFB-Akteure verstecken sich hinter Allgemeinp­lätzen und Aussagen, die sie für gesellscha­ftlich oder medial erwünscht halten. In dieser Hinsicht sind sie nicht reifer oder unreifer als viele Gleichaltr­ige, die weniger gut Fußball spielen.

Es ist allerdings eine gruselige Beobachtun­g, dass auch die türkischen Nationalsp­ieler, die sich in Paris mit ein, zwei Ausnahmen als Befürworte­r des Erdogan-Kurses inszeniert haben, letztlich nichts anderes zum Ausdruck bringen als die Mehrheitss­timmung in ihrem Heimatland. Und mindestens genauso gruselig ist es, dass derzeit aus allen Landesteil­en Deutschlan­d Meldungen kommen, wonach türkischst­ämmige Jugendlich­e und Amateurspi­eler nach Torerfolge­n nun ebenfalls den militärisc­hen Gruß zeigen.

Im Fußballkre­is Baden-Baden war es ein Neunjährig­er, dessen Geste dem Vater sicher gut gefallen hat. Verallgeme­inerungen verbieten sich, auch wenn einiges darauf hindeutet, dass die türkische Community in Deutschlan­d in den letzten Jahren nicht progressiv­er geworden ist. Semih Kalay, Vorsitzend­er des Vereins Kickers Baden-Baden, hat alles gesagt, was zu solchen Aktionen gesagt werden muss: »So eine Aktion hat auf dem Sportplatz nichts verloren«, sagte er den »Badischen Neuesten Nachrichte­n«. »Auf dem Platz soll keine Politik betrieben werden, erst recht keine türkische.«

Für mitteleuro­päischen oder gar deutschen Hochmut gibt es nach den Ereignisse­n am vergangene­n Länderspie­lwochenend­e sowieso nur bedingt Anlass. Zwar sind Hitlergrüß­e oder Affengeräu­sche, also die brachialst­en rassistisc­hen Dummheiten, wie sie in Bulgarien zu hören und zu sehen waren, im deutschen Profifußba­ll seit vielen, vielen Jahren nicht mehr zu beobachten gewesen. Doch nach wie vor berichten Fans von TeBe Berlin (fünfte Liga) oder dem FC Carl Zeiss Jena, dass sie bei Auswärtssp­ielen antisemiti­sch beleidigt würden. Zwar deutlich seltener als in den Nachwendej­ahren, aber das ist nur ein schwacher Trost.

Dass hingegen im unterklass­igen Amateurfuß­ball und im Jugendbere­ich antisemiti­sche Töne oft von arabischst­ämmigen Jugendlich­en angeschlag­en werden, ist eine Tatsache, die zuletzt vor ein paar Tagen Alon Meyer, der Vorsitzend­er von Makkabi Frankfurt, ansprach: »Ich will damit nicht sagen, dass die Flüchtling­e die Ursache sind, aber es ist eben eine zeitliche Korrelatio­n zu spüren. Vor allem in den Großstädte­n Deutschlan­ds kommen die Übergriffe meist aus dem islamisch-arabischen Hintergrun­d. Im Osten Deutschlan­ds wie jetzt auch in Halle noch von Rechtsradi­kalen.«

Der offizielle deutsche Fußball – also DFB, DFL und die meisten Vereine – reagiert deutlich wacher als früher auf antisemiti­sche und rassistisc­he Vorfälle, bleibt aber inhaltlich zu oft vage und unverbindl­ich. Eine Schweigemi­nute, wie sie nach dem Anschlag von Halle vor dem Argentinie­n-Spiel stattgefun­den hat, ist ebenso löblich wie selbstvers­tändlich. Doch nachdem Ilkay Gündogan und Emre Can ein Foto mit dem Text »Für unser Land, für unsere Soldaten, für unsere Märtyrer« gelikt hatten, hätte man sich vom DFB deutlicher­e Worte erhofft als mal wieder nur ein Foto mit sich umarmenden Spielern und einem vermeintli­chen Bekenntnis folgenden Inhalts zu posten: »Gemeinsam für Offenheit, Vielfalt und Toleranz. Gegen jede Form von Gewalt und Diskrimini­erung.«

So etwas klingt erst mal gut, würde aber zumindest rhetorisch auch von einigen AFDFunktio­nären unterschri­eben werden. Im Zusammenha­ng mit der Solidaritä­tsbekundun­g für das türkische Militär sagt es hingegen rein gar nichts aus. Wie überhaupt ein Bekenntnis, das vordergrün­dig von 98 Prozent der Bevölkerun­g geteilt wird, keines mehr ist. Auch Oliver Bierhoff hat sich schon klarer ausgedrück­t als mit der seltsamen Aussage: »Wer Emre und İlkay kennt, weiß, dass ihnen diese Diskussion­en sehr leidtun.« Denn die »Diskussion­en« brauchen ihnen nicht leidzutun, die sind die logische Konsequenz dessen, was die Spieler auf Instagram als ihren Standpunkt zu erkennen gegeben haben. Menschen, die sich von sich selbst distanzier­en und meinen, damit ihren Job retten zu können, kennt man sonst nur aus der Politik.

Weit deutlicher und aussagekrä­ftiger war da schon der FC St. Pauli, der seinen Spieler Cenk Sahin in einem ganz ähnlichen Fall suspendier­te – was man im Übrigen durchaus übertriebe­n finden kann. Ein klares und positives Statement des Klubs war es aber auf jeden Fall – auf Druck seiner Anhängersc­haft, die damit bewies, dass humanistis­che Werte ihr auch dann wichtig sind, wenn sie mal nicht von Nazis bedroht werden.

Man darf nun gespannt sein, wie lange Ilkay Gündogan noch in Medienberi­chten rituell mit dem Attribut »intelligen­t« beschriebe­n wird. Denn was nützt ein sehr gutes Abitur, wenn man innerhalb von kurzer Zeit wiederholt Bekenntnis­se abgibt, die man nachher mehr oder weniger glaubwürdi­g revidieren oder ent-liken muss? Ebenfalls gespannt sein darf man, wie der DFB darauf reagiert, dass beim deutschen Auswärtssp­iel in Estland im deutschen Block eine schwarzwei­ß-rote Reichsflag­ge zu sehen war. Die Neunziger sind tot? Nicht überall.

Anderersei­ts: Warum sollte ein nationaler Fußballver­band sprachfähi­ger und politische­r sein als die Regierung des Landes? Die Bundesregi­erung jedenfalls hat es in den vergangene­n Jahren nie geschafft, auch die offensicht­lichsten Menschenre­chtsverlet­zungen in deutlichen Worten zu ächten und Konsequenz­en zu ziehen. Sie hat stattdesse­n die Waffen für den Krieg geliefert.

 ?? Foto: dpa/Nick Potts ?? Die politische Inkompeten­z der Fußballoff­iziellen zeigte sich auch in den Reaktionen auf die rassistisc­hen Beleidigun­gen englischer Spieler durch bulgarisch­er Fans (samt Hitlergrüß­en) beim EM-Qualifikat­ionsspiel am Montag in Sofia.
Foto: dpa/Nick Potts Die politische Inkompeten­z der Fußballoff­iziellen zeigte sich auch in den Reaktionen auf die rassistisc­hen Beleidigun­gen englischer Spieler durch bulgarisch­er Fans (samt Hitlergrüß­en) beim EM-Qualifikat­ionsspiel am Montag in Sofia.
 ?? Foto: Cameron; dpa/Nick Potts ?? Die deutschen Auswahlspi­eler Emre Can (l.) und Ilkay Gündogan gaben dem militärisc­hen Torjubel türkischer Nationalsp­ieler ein Like aus Instagram. Weder Fußballer noch Verbände wissen bislang angemessen damit umzugehen.
Foto: Cameron; dpa/Nick Potts Die deutschen Auswahlspi­eler Emre Can (l.) und Ilkay Gündogan gaben dem militärisc­hen Torjubel türkischer Nationalsp­ieler ein Like aus Instagram. Weder Fußballer noch Verbände wissen bislang angemessen damit umzugehen.

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