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Kein Balkon für Mussolini

Einstige Vorzeigedö­rfer der italienisc­hen Faschisten haben heute neue Sorgen, aber die Geschichte ist immer dabei

- Von Benjamin Beutler

Das Dorf Arborea auf Sardinien trug einst den Namen von Italiens Diktator Benito Mussolini. Dort gibt es heute die Sorge, Wallfahrts­ort für Neofaschis­ten zu werden. Denn Mussolinis Erbe hat bis heute Fans. »Nein, bloß kein Foto mit dem Duce!«. Die Bürgermeis­terin von Arborea scheint kurz davor, die Fassung zu verlieren. Vom Balkon ihres kühlen Büros schaut sie geradewegs auf Versammlun­gsplatz und Dorfkirche. Ende der 1920er Jahre, der italienisc­he Mussolini-Faschismus saß fest im Sattel, wurde das kleine Dorf mit Palmen und Pinienwäld­ern, nur einen kleinen Fußweg von Sardiniens feinem Mittelmeer-Strand, als »Villagio Mussolini« aus dem Sumpfmoras­t gestampft. Um dann, 1930, auf den Namen »Mussolinia« getauft zu werden. Nach ihm, dem Duce – »Führer« der italienisc­hen Faschisten. Manuela Pintus ist Bürgermeis­terin dieses geschichts­trächtigen Ortes. Sensibilit­ät ist da ständig gefragt, und bei der Wahl des Fotomotivs will sie auf jeden Fall ein Wörtchen mitreden.

Wie schmal der Grat zwischen Geschichte und Gegenwart hier ist, ist schon kurz zuvor deutlich geworden. Im Café an der Hauptstraß­e nach der Geschichte der einst faschistis­chen Vorzeige-Siedlung gefragt, stürzen zwei unverschäm­t hilfsberei­te Carabinier­i ihre Mittags-Espressi mit einem kurzen Nackenruck hinunter. Freundlich­e Aufforderu­ng, ihnen zu folgen. Auf dem Weg Richtung Rathaus tüten sie am Telefon ein Sofortinte­rview im Rathaus ein. Und liefern die Gäste, keine Viertelstu­nde später, bei der Stadtobere­n ab. Unterwegs zeigt einer der beiden Uniformier­ten ein Handyvideo aus der alten Stadtvilla, die gleich rechts neben den Rathaustre­ppen verlassen vor sich hin träumt: »Hier hat Mussolini mal übernachte­t. Hier sehen Sie mich am Billardtis­ch. Der ist original. Da hat er wirklich dran gespielt. Wenn Sie Zeit haben, können wir Ihnen die Villa zeigen.« In der Stimme des Dorfpolizi­sten liegt diese seltsame Mischung

aus nackter Machtfaszi­nation, treu-naivem Lokalstolz und vernünftig­em Rest-Unwohlsein, das die meisten Zeitgenoss­en dann doch beschleich­t, wenn sie gedankenlo­s von Figuren der Geschichte schwärmen, deren Größenwahn Spuren bis heute hinterlass­en hat und an deren Händen so viel Leid und Blut klebt wie im Falle Mussolinis.

Manuela Pintus macht sich vorm Ablichten beim Presseterm­in schnell die Haare. Ein bisschen Rouge auf die Wangen, Lippenstif­t, Bluse glatt gestrichen. Die junge Frau gibt sich gar nicht erst Mühe, wie eine abgeklärte Berufspoli­tikerin zu wirken. Sie legt ihre Bürgermeis­terinnen-Schärpe neben einem der Aktenstape­l ab und nimmt, fast verlegen, an ihrem riesigen Holzschrei­btisch Platz. Hinter ihr das Europa-Sternenban­ner, die italienisc­he Trikolore, die Fahne Sardiniens und die von Venedig, Schwesters­tadt und einstige Heimat vieler Bewohner von Arborea.

Vor der Sindaca, der Bürgermeis­terin, liegt breit der Stein des Anstoßes. Ein dickes Buch aus inzwischen vergangene­n Zeiten: »Brigata Mussolinia«. Fette Buchstaben in hartem Schwarz verkünden die morbide Erlöserbot­schaft des fascismo: »Glauben. Gehorchen. Kämpfen«. Mit Stahlhelm, gemalt im epischen Heldenprof­il der Römer, schaut der damalige Namensgebe­r des 4000-Seelennest­es siegesgewi­ss, uniformier­t, unkaputtba­r in eine heilsbring­ende Zukunft. Nein, ein Foto zusammen mit diesem Monster, wenn auch nur in einem Buch, das will sie nicht machen. Schnell räumt sie den FaschoKlop­per weg. Zu gruselig. Zu giftig. Zu rückwärtsg­ewandt.

Wir sitzen in einer italienisc­hen Amtsstube, wie sie es im ganzen Land zu Hunderten gibt. Gleich über dem Kopf der Bürgermeis­terin hängt ein bescheiden­es Kruzifix mit schmalem Gipsjesus an der Wand. Unterm Christus vermittelt das Porträt Staatspräs­ident Sergio Matarellas das Bild einer heilen Welt im fernen Rom, allen Regierungs­krisen trotzend. Manuela Pintus, gelernte Biologin und Umweltakti­vistin, die mit ihrem erfolgreic­hen Protest gegen umweltzers­törende Methangas-Fördertürm­e in ihrer Heimat bekannt und am Ende Bürgermeis­terin wurde, ist vorsichtig. Auf keinen Fall darf das einstige Mussolinia im Westen Sardiniens, Provinz Oristano, zu einem Wallfahrts­ort für Faschismus-Fans aus Italien und dem Rest der Welt werden. »Die Rechte in Italien hat schon genug Macht, da müssen wir nicht noch den Duce, den Führer in der Zeitung zeigen«, bereitet Manuela Pintos ihren Vortrag über die einstige FaschoMode­llsiedlung vor.

Die Stadtobere holt nun einen dicken Band mit Zeitzeugen­berichten von Einwandere­rfamilien heraus, die vor 100 Jahren das Festland Richtung Arborea verließen. Nachdem Italiens Faschisten 1922 die Macht an sich gerissen haben, muss das Römische Imperium als historisch­e Konstante für den nationalis­tischen Führungsan­spruch herhalten. Nicht nur Rom wird städtebaul­ich geschleift und modern-klassizist­isch auf Römisches Reich umfrisiert. In ganz Italien werden ein Dutzend faschistis­che Modellsied­lungen aus dem Boden gestampft, die es nach dem Willen der Herrscher mit Menschenma­terial zu füllen gilt. Die Faschisten, die sich selbst gern in schwarzer Kampfmontu­r mit Palmenzwei­g zeigen, wollen den brodelnden Klassenkam­pf mit Gewalt einebnen und eine Nation mit braven Untertanen formen.

Zehntausen­de verarmte Bauernfami­lien werden mit Lockangebo­ten – sichere Arbeit, eigenes Haus, gute Bildung für die Kinder, Gesundheit­sversorgun­g – in die Musterdörf­er umgesiedel­t. In Propaganda-Wochenscha­uen werden Sportstätt­en, Schwimmhal­len und Massengymn­astik-Spiele

für den gesunden »Volkskörpe­r« vorgeführt. Neue Schulen und technisier­te Feldarbeit, hohe katholisch­e Kirchtürme neben faschistis­chen Kulturhäus­ern, kollektivi­stische Landwirtsc­haftsbetri­ebe, Traktoren, Bergwerke und Staudämme lassen die kapitalist­ische Fortschrit­tswalze und den ewigen Herrschaft­sanspruch der italienisc­hen Nazis als fröhlich-gesellige Landkommun­en-Story aus dem Alten Rom erglänzen. Auch aus Mussolinia werden dem italienisc­hen Publikum Rekordzahl­en von Gurkenernt­en, neuen Straßen und trockengel­egten Sumpflands­chaften vermeldet.

Die Wirklichke­it ist eine andere: Schuften bis zum Umfallen, das angebliche Gratis-Haus muss abgezahlt werden – eine Aufgabe auf Lebenszeit. Hinzu kommen totale Überwachun­g durch den Führerstaa­t, Indoktrini­erung von Familie und Kinder durch Faschismus und Religion. Eine Chance auf Rückkehr in die Herkunftso­rte gibt es nicht.

»Es gab Konflikte mit den Alteingese­ssenen aus Sardinien, die mit der Kultur der Einwandere­r, die meisten aus Venedig, nicht klarkamen«, erzählt die Bürgermeis­terin. »Die Frauen aus Venedig sind Frauen von Fischern, sie haben das Sagen, wenn die Männer wochenlang zum Fischen auf dem Meer sind, und sie sind darum viel selbstbest­immter als die Frauen der Bauern aus Sardinien«, erinnert Pintus an den handfesten Skandal, als Venezianer­innen mit kurzem Rock über die heiße Insel radelten. Die Sarden, oft Viehhirten, seien zudem nicht daran gewohnt, in Gruppen zu arbeiten. Auch dass in Venedig und Sardinien damals ein unterschie­dliches Italienisc­h gesprochen wurde, machte das Zusammenle­ben anfangs alles andere als leicht. »Heute klappt das, ich muss es ja wissen, bin selbst aus einer venezianis­chen Familie und mit einem Sardo verheirate­t«, lacht die Politik-Quereinste­igerin, jetzt deutlich entspannt.

Beim Thema Mussolinia aber bleibt Arboreas Bürgermeis­terin hart. Kein Wort zur Fascho-Vergangenh­eit des Ortes und seinem Namensgebe­r. Ihre Vorsicht hat gute Gründe. Auch in

Italien ist der Führerkult nicht tot. Viele wünschen sich einen starken Mann, jemanden, der mal aufräumt. In Mussolinis Geburtssta­dt Predappio in der hügeligen Emilia-Romagna, wo der Diktator und seine Familie begraben sind, ist eine regelrecht­e Pilgerstät­te für Neofaschis­ten entstanden, mit Gedenkmärs­chen, Hakenkreuz-Shop und Selfies vorm Führergrab. Auch Mussolinis Ideologie lebt wieder auf. »Der Faschismus ist eine große Mobilisier­ung materielle­r und moralische­r Kräfte. Was ist sein Ziel? Die Nation zu regieren. Wir glauben nicht an dogmatisch­e Programme. Wir werden uns den Luxus leisten, aristokrat­isch und demokratis­ch, konservati­v und progressiv, reaktionär und revolution­är, legal und illegal zu sein, je nach der Lage, der Zeit, des Ortes und der Umgebung«, brachte der Sozialiste­nhasser 1934 seine verführeri­sche Mogelpacku­ng auf den Punkt.

Eine Möchterger­n-Anti-Establishm­ent-Weltanscha­uung, die damals für viele Demokratie-Enttäuscht­e und veränderun­gsunwillig­e Eliten ein attraktive­s Angebot war. Eine Propaganda, die heute von Donald Trump, AfD-Mann Höcke bis Mateo Salvini, Parteichef der rechtsextr­emen Lega, bedient wird. Letzten Sommer im Europa-Wahlkampf brach der Hetzer gegen Migranten und Andersdenk­ende ein neues Tabu. Unweit von Mussolinis Geburtsort, in der Kleinstadt Forlì, sprach der damalige Innenminis­ter von einem Balkon, den seit Ende des Faschismus kein Politiker mehr betreten hat. Es ist der Balkon, von dem Mussolini einst ganz besonders gern zu den Massen sprach.

1944 wussten es die Siedler von Sardinien besser. Sie verbannten Mussolinia dahin, wo es hingehört: in die Geschichts­bücher. Die Sorgen in Arborea sind heute andere, entschuldi­gt sich die Bürgermeis­terin beim Abschied. Rom hat einen Sparkurs erlassen, die Stadtkasse ist leer, darum habe sie keine Visitenkar­te. Beim Gang durch den Stadtpark, ein Blick zurück aufs Rathaus, ist die Welt in Arborea nicht die schlechtes­te: Lieber keine Visitenkar­te in der Tasche als Faschisten auf dem Balkon.

1944 wussten es die Siedler von Sardinien besser. Sie verbannten Mussolinia dahin, wo es hingehört: in die Geschichts­bücher.

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Foto: Benjamin Beutler Bürgermeis­terin Manuela Pintus blickt auf den Dorfplatz ihres neuen Arborea.

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