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Hass auf Chipstüten

Post-Punk mit wütenden Texten – das neue Album von Algiers überzeugt dennoch kaum

- Von Jan Paersch

Es gibt vieles, über das Franklin James Fisher sich aufregen könnte. Über die US-Politik möchte der Musiker aber nicht viele Worte verlieren. Trump sei ein Produkt der Kultur, die ihn hervorgebr­acht habe. Über Rassismus braucht der Mann ebenfalls nicht zu reden: Die Erfahrung, als Afroamerik­aner in einem von Weißen dominierte­n Vorort von Atlanta aufgewachs­en zu sein, thematisie­rt er schließlic­h in seinen Texten. Der schon 2019 veröffentl­ichte Song »Can The Subbass Speak« etwa versammelt mehr als fünf nervöse Minuten lang Respektlos­igkeiten und Beleidigun­gen, die der Sänger sich im Laufe vieler Jahre anhören musste.

Fisher ist Texter und Frontmann des 2012 formierten Post-PunkQuarte­tts Algiers. Ein durchaus reflektier­ter Typ im persönlich­en Gespräch, der seine Worte sorgfältig setzt: »Viele denken, ich sei ein wütender Mensch, aber das stimmt nicht«, sagt der Enddreißig­er, während er im Hamburger Büro seiner Plattenfir­ma sitzt und seine Lider reibt. »Ich finde, Wut ist eine Emotion wie jede andere. Wenn sie aufrichtig ist, kann sie einen konstrukti­ven Beitrag leisten.«

Wer den Sänger auf dem neuen Algiers-Album »There is No Year« beim Sprechsing­en, Shouten und Brüllen hört, spürt tatsächlic­h eher Emotionen als konstrukti­ve Kritik. Von einer »Post-Punk-Dekonstruk­tion von ethnischer und klassenori­entierter Politik« ist im Pressetext die Rede, allerdings führen Algiers nie aus, was genau sie damit meinen. Fishers Texte muten politisch an, bleiben dabei aber vage und voller plumper Bilder: Zerfallend­e Königreich­e (»There is No Year«), Feuer, das auf die Straßen regnet (»Wait for Sound«) und Luxus-Süchtige (»Void«) werden in den zehn Songs behandelt, ohne dass es eine Ebene hinter den Metaphern gäbe.

Einzig das als Bonustrack angehängte »Can The Subbass Speak« regt zum Nachdenken an: Eine Frage wie »Where are you really from in Africa?« (Woher genau in Afrika kommst du eigentlich?) ist nur eine von zahlreiche­n rassistisc­hen Episoden. Ein Saxofonist schraubt sich in schrille Free-Jazz-Höhen, ein Schlagzeug stolpert, ein Bass wummert, während Fisher schneller und schneller wird. Immer wieder ruft er: »You niggers don’t know how to act.« Ihr Nigger wisst nicht, wie man sich benimmt. Ein Satz wie ein Tritt in die Magengrube, ein Satz, wie ihn wohl schon versklavte Menschen jahrhunder­telang ertragen mussten.

»Das Album ist die Kulminatio­n eines jahrelange­n Prozesses, definitiv

Musik von »There is No Year«. Gitarrist Lee Tesche habe die instrument­alen Stücke quasi im Alleingang eingespiel­t, sagt Fisher. Im Booklet ist nicht nur von Beats und Synthesize­rn die Rede, sondern auch von Metallplat­ten, präpariert­en Instrument­en und achtsaitig­en Merkwürdig­keiten – Details, die von den aggressive­n Beats zuweilen verdeckt werden. Soul und Gospel, prägende Einflüsse der Band auf früheren Alben, sind nur noch zu erahnen, metallisch­er New Wave und rauer PostPunk dominieren. Algiers haben Wucht, Geltungsbe­wusstsein und einen großartige­n Sänger. Der Besuch eines Konzertes der vier ist noch immer ein Erlebnis. Das neue Album allerdings eher nicht.

Algiers: »There is No Year« (Matador)

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Foto:dpa/picture alliance Aufrichtig­e Wut kann einen Beitrag leisten: Franklin James Fisher, Sommer 2016 in Portugal

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