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Arbeitsrec­ht in Gefahr

Gewerkscha­ft kritisiert das Verhalten von Hoteliers in der Krise.

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Wie geht es der Hotel- und Gaststätte­nbranche zurzeit in Berlin? Im Gastgewerb­e spitzt sich die Situation dramatisch zu. Einige Betriebe haben den Geschäftsb­etrieb schon eingestell­t, andere stehen unmittelba­r davor. Im Hotelgewer­be sind große und kleine Häuser gleicherma­ßen betroffen, weil sie keine touristisc­hen Gäste mehr beherberge­n dürfen. Dass sie teilweise versucht haben, das mit Geschäftsr­eisenden aufzufange­n, hat auch nur zu einer Auslastung von sieben bis acht Prozent geführt. Als Beispiel: Das Park Inn am Alexanderp­latz hat Hunderte Betten und zuletzt vielleicht noch ein gutes Dutzend Gäste. Ergebnis: Arbeit im absoluten Notbetrieb. Trotzdem versuchen dort Geschäftsl­eitung und Betriebsra­t, es sozialvert­räglich zu gestalten.

Welche Folgen hat die aktuelle Situation für die Beschäftig­ten?

Die Hotels, Gästehäuse­r und Pensionen schließen nach und nach. Die Betriebsga­stronomie ist immer stärker betroffen, weil die Unternehme­n ihre Produktion runterfahr­en oder schließen. In der Systemgast­ronomie sind teilweise nur noch Drive-Ins geöffnet. Die Auswirkung­en der Pandemie ziehen sich wie ein roter Faden durch alle unsere Branchen. Die Schließung der Restaurant­s in Berlin und Brandenbur­g wird die Situation im Gastgewerb­e noch einmal drastisch verschärfe­n.

Über wie viele Beschäftig­te reden wir im Berliner Gastgewerb­e? Inklusive der geringfügi­g Beschäftig­ten sind das über 100 000 Menschen. Besonders die sogenannte­n Minijobber trifft es hart, weil sie kein Kurzarbeit­ergeld bekommen können. Die Einkommen sind aber insgesamt teilweise so niedrig, dass die Menschen vom Kurzarbeit­ergeld nicht leben können.

Der NGG-Vizevorsit­zende Freddy Adjan hat vorige Woche kritisiert, der Deutsche Hotel- und Gaststätte­nverband (DEHOGA) lasse die Beschäftig­ten im Regen stehen. Ist das so?

Als deutlich wurde, dass eine größere Krise auf uns zukommt, haben wir den Arbeitgebe­rn angeboten, mit uns über Tarifvertr­äge für ein verbessert­es Kurzarbeit­ergeld zu sprechen. Der DEHOGA hat uns signalisie­rt, dass sie nicht bereit sind, auch nur einen Cent von den bestehende­n 60 Prozent des Nettos aufzustock­en. Scheinbar meinen einige Gastronome­n, die Beschäftig­ten würden doch genug verdienen, um sich was anzusparen. Diese Blockadeha­ltung kam in erster Linie aus den Mitgliedsb­etrieben, auch wenn es hier sicherlich einzelne wirklich positive Ausnahmen gibt. Aber

Gerade die großen Häuser hätten aber doch das Geld? Sie gehören ja häufig zu global agierenden Ketten ...

… die in den letzten Jahren vor allem Gewinne rausgezoge­n und ins Ausland gebracht haben. Diese Unternehme­n schreien jetzt als erstes danach, dass der Staat ihnen mit Steuermitt­eln helfen soll. Aber sie waren nicht bereit, in diesem Land Steuern zu bezahlen oder Gewinne hier zu investiere­n – ob das Unternehme­n nun Accor, Maritim, Steigenber­ger oder Dorint heißt. Wir haben mit dem Arbeitgebe­rverband in der Systemgast­ronomie, dem BdS, in kürzester Zeit einen Tarifvertr­ag abgeschlos­sen, nach dem sie das Kurzarbeit­ergeld auf 90 Prozent aufstocken. Das rechnen wir dem BdS hoch an. Das hat den Belegschaf­ten viele Ängste genommen. Alle die das nicht gemacht haben, sollten beschämt in die Ecke gucken und nicht öffentlich Hilfe aus Steuermitt­eln fordern.

Wie ist die Situation in den Betrieben?

Wir hören immer häufiger von dubiosen Regelungen, die die Arbeitgebe­r vorlegen. Teilweise werden die Betriebsrä­te regelrecht dazu erpresst, schlechte Vereinbaru­ngen zur Kurzarbeit zu unterschre­iben – oder sie seien dafür verantwort­lich, dass das Unternehme­n schließen müsste. Einige Arbeitgebe­r scheinen die Situation als Freibrief zu sehen, die Mitbestimm­ungsund Arbeitsrec­hte abzuwickel­n. Es gibt fristlose betriebsbe­dingte Kündigunge­n, die aus unserer Sicht illegal sind. Teilweise stellen die Arbeitgebe­r ihren Beschäftig­ten bei der Kündigung noch die Wiedereins­tellung

in Aussicht. Damit verlieren sie unter Umständen ihren Rechtsansp­ruch auf Arbeitslos­engeld.

Kurzarbeit­ergeld muss vom Arbeitgebe­r bei der Agentur für Arbeit beantragt werden. Erhebt die keinen Einspruch bei diesen Regelungen? Die Agenturen gucken nur, ob eine Zustimmung des Betriebsra­tes oder der betroffene­n Beschäftig­ten vorliegt. Zu mehr haben die keine Kapazitäte­n und Kompetenze­n – derzeit schon gar nicht. Allein in Berlin haben die Arbeitsage­nturen aktuell Anträge aus rund 2000 Unternehme­n auf dem Tisch, wo es sonst 15 im Monat sind. Im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe reden wir da von fast 30 000 betroffene­n Beschäftig­ten. Das war letzte Woche, als die Restaurant­s noch nicht komplett geschlosse­n hatten.

Das klingt dramatisch. Was kann die Gewerkscha­ft an der Stelle noch tun?

Wir raten den Beschäftig­en, sich nicht alles bieten zu lassen und sich beraten zu lassen. Wir haben hier allein vier Kolleginne­n und Kollegen, die täglich Rechtsbera­tung machen. Der Bedarf wird in den nächsten Wochen sicherlich noch steigen. Wir beraten derzeit aber nur telefonisc­h oder per E-Mail. Einige unserer Mitarbeite­r sind im Homeoffice. In dieser Situation kann von uns niemand krank werden. Gerade in Krisenzeit­en werden wir als Gewerkscha­ft gebraucht.

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Foto: imago images/Stefan Zeitz
 ?? Foto: flickr.com/Chris Alban Hansen (CC BY-SA 2.0) ?? Nur noch rund ein Dutzend Gäste soll sich im Park Inn am Alexanderp­latz aufhalten.
bei den Großen: Null Bereitscha­ft, wirklich keine.
Foto: flickr.com/Chris Alban Hansen (CC BY-SA 2.0) Nur noch rund ein Dutzend Gäste soll sich im Park Inn am Alexanderp­latz aufhalten. bei den Großen: Null Bereitscha­ft, wirklich keine.
 ??  ?? Sebastian Riesner (55) ist Geschäftsf­ührer der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) der Region Berlin-Brandenbur­g. Der in Frankfurt (Oder) geborene Gewerkscha­ftssekretä­r ist gelernter Koch und leitet die NGG-Region seit Mitte 2019. Riesner ist dabei unter anderem zuständig für Hotels, Gaststätte­n, Catering, System- und Betriebsga­stronomie sowie die Getränkewi­rtschaft. Das Interview führte
Jörg Meyer. Foto: nd/Ulli Winkler
Sebastian Riesner (55) ist Geschäftsf­ührer der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) der Region Berlin-Brandenbur­g. Der in Frankfurt (Oder) geborene Gewerkscha­ftssekretä­r ist gelernter Koch und leitet die NGG-Region seit Mitte 2019. Riesner ist dabei unter anderem zuständig für Hotels, Gaststätte­n, Catering, System- und Betriebsga­stronomie sowie die Getränkewi­rtschaft. Das Interview führte Jörg Meyer. Foto: nd/Ulli Winkler

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