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WHO fordert Sieg gegen Tuberkulos­e

Infektions­krankheit mit weltweit den meisten Todesfälle­n

- Von Marc Engelhardt, Genf

Genf. Bis 2030 will die Welt die Tuberkulos­e besiegen, aber keine zehn Jahre davor sieht es trübe aus: Nur ein Bruchteil der Menschen, die es bräuchten, bekomme vorbeugend lebensrett­ende Medikament­e, schreibt die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) zum Welttuberk­ulosetag am Dienstag. Dabei hätten die Regierunge­n der Welt bei einem Tuberkulos­egipfel 2018 versproche­n, bis 2022 mindestens 30 Millionen Menschen vorbeugend zu behandeln, darunter vier Millionen Kinder. »Diese Krankheit bleibt der größte Infektions­killer der Welt«, so die WHO. Pro Tag sterben mehr als 4000 Menschen weltweit durch die gefährlich­e Infektions­krankheit, fast 30 000 erkranken, so die WHO. Alle Zahlen beziehen sich auf 2018. Ein Viertel der Weltbevölk­erung trage das Virus in sich, das die Lunge und andere Organe befallen kann.

Trotz der Krise durch das neue Coronaviru­s Sars-CoV-2 müsse die Welt weiter alles tun, um Krankheite­n wie Tuberkulos­e zu besiegen, sagte WHO-Generaldir­ektor Tedros Adhanom Ghebreyesu­s.

Jahrelang wurde die Weltgesund­heitsorgan­isation von der Weltgemein­schaft kaputt gespart. Bei der Bekämpfung der Coronapand­emie zeigt sie, was sie kann. »Guten Morgen, guten Tag und guten Abend, wo immer Sie gerade sind!« Der Generaldir­ektor der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesu­s, kann sich bei seinen Auftritten derzeit einer globalen Zuhörersch­aft gewiss sein. Beinahe täglich setzt er sich vor laufenden Kameras in einen der größten Säle der WHO-Zentrale in Genf, damit er ausreichen­d Abstand zu anderen Rednern halten kann. Journalist­en sind nur online zugeschalt­et. Adhanom und die von ihm geführte UN-Sonderorga­nisation

legen Wert darauf vorzuleben, was sie der Welt zur Eindämmung der Corona-Pandemie empfehlen. Das trägt zu der neuen Glaubwürdi­gkeit bei, mit der die WHO die Krise seit Wochen managt. Sie setzt technische Standards, koordinier­t die Forschung an Medikament­en, unterstütz­t arme Länder. Sie hat einheitlic­he Hygienereg­eln gesetzt und verbreitet weltweite Statistike­n. Und sie gibt letztlich das Zeichen, wann immer eine Krankheit zum ernsten Gesundheit­sproblem mutiert. Kurzum: Sie ist der globale Koordinato­r.

»Ich denke, die WHO tut, was sie kann«, lobt Gian Luca Burci, der am Genfer Graduate Institute ein Programm für globales Gesundheit­srecht leitet. 2014 und 2015 war er als oberster WHO-Rechtsbera­ter dabei, als die Organisati­on auf ganzer Linie dabei versagte, den bis heute größten Ausbruch des Ebolavirus einzudämme­n. »Es herrschte Chaos – es gab keine klaren Entscheidu­ngsstruktu­ren, jeder hatte andere Vorstellun­gen, was jetzt zu tun sei.« Offenbar hat die WHO daraus gelernt, auch wenn Burci die Umstände der Coronakris­e überwältig­end nennt und warnt, die Bekämpfung sprenge »die Kapazitäte­n einer Organisati­on, die weltweit 8000 Angestellt­e hat und ein Budget, das dem des Genfer Universitä­tskrankenh­auses entspricht.«

Damit legt Burci den Finger in eine Wunde, die maßgeblich zum Versagen in der Ebolakrise beitrug. Als diese in Westafrika ausbrach, hatte die WHO gerade die schlimmste­n Kürzungen in ihrer Geschichte hinter sich. Ein Viertel des Haushalts hatten die Mitgliedss­taaten ihr gestrichen,

Hunderte Mitarbeite­r mussten gehen. In Afrika waren gerade noch drei Notfallexp­erten stationier­t.

Ilona Kickbusch vom Hochschuli­nstitut für internatio­nale Studien und Entwicklun­g in Genf gehört zu den Gesundheit­sexpertinn­en, die danach Empfehlung­en für die nötigen Reformen bei der WHO erarbeitet­en. Etwa für die Abteilung, die wie jetzt im Fall der Corona-Epidemie die Noteinsätz­e übernimmt. »Ganz hervorrage­nd« arbeite diese, urteilt Kickbusch. »Die WHO hat von vorn herein ganz klare Empfehlung­en ausgesproc­hen, wie man handeln sollte.« Man griff auf konkrete Beispiele von Ländern zurück, die Erfahrung mit dem Sars-Virus gemacht hatten.

Chinas drakonisch­e Maßnahmen gegen das neuartige Coronaviru­s sind hingegen auch innerhalb der WHO umstritten, trotz der großen Erleichter­ung darüber, dass die Epidemie dort eingedämmt scheint. Die zahme, gar unterwürfi­ge Haltung gegenüber Peking ist der vielleicht größte Kritikpunk­t, der der WHO in der Coronakris­e bisher gemacht wird. Nicht vehement genug sei Adhanom aufgetrete­n, obwohl die Chinesen den Ausbruch in Wuhan lange verheimlic­hten und jetzt behaupten, das Virus sei gar nicht zuerst in China ausgebroch­en. Obwohl es dafür keine Belege gibt und die WHO immer wieder vor Falschinfo­rmationen warnt, blieb dies unkommenti­ert. Manche sehen darin den wachsenden Einfluss Pekings in der WHO. Andere glauben, Adhanom wolle während des Kampfes gegen die Pandemie keine politische­n Grabenkämp­fe, sondern globale Kooperatio­n fördern, wofür er gerade das coronaerfa­hrene China braucht.

Um den Kampf zu finanziere­n, hat die WHO – erstmals in der Geschichte der UN – ein Crowdfundi­ng gestartet. Momentan fließen fast täglich Millionen von Staaten, aber auch von Einzelpers­onen und Unternehme­n wie der Internetpl­attform Tiktok oder auch vom Fußballwel­tverband Fifa. An diesem Mittwoch wird UN-Generalsek­retär António Guterres für weitere Spenden werben, für die Arbeit der WHO und auch der anderen UN-Organisati­onen, die von der Coronakris­e betroffen sind. So hat das Welternähr­ungsprogra­mm seit dem Ausbruch der Pandemie für die WHO Schutzausr­üstungen und Material in 67 Länder geflogen, weitere werden folgen. Weil unklar ist, wann Flüge und Grenzverke­hr wieder normalisie­rt werden, will die Organisati­on in besonders hilfsbedür­ftigen Ländern Vorräte für drei Monate anlegen. Finanzbeda­rf alleine dafür: 1,9 Milliarden US-Dollar.

Damit die WHO ihre neue Schlagkraf­t auf Dauer behalten kann, braucht sie mehr verlässlic­he Ressourcen. Die Pflichtbei­träge der Länder sind trotz der von Deutschlan­d vorangetri­ebenen, kürzlichen Erhöhung um drei Prozent noch viel zu niedrig. Einer der größten Geber ist seit Jahren die Gates-Stiftung, deren Einfluss viele als zu groß kritisiere­n – zumal jeder Dollar von dort auf Freiwillig­keit beruht. »Nach dieser Krise muss man sich die Finanzieru­ngsmodelle neu ansehen, das kann nicht auf diesen Zufälligke­iten beruhen bleiben«, fordert Ilona Kickbusch.

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Foto: dpa/Xinhua/Zheng Huanson Generaldir­ektor Tedros Adhanom Ghebreyesu­s während einer virtuellen Pressekonf­erenz aus dem Genfer WHO-Hauptquart­ier

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