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Zahl der Coronafäll­e wächst, Hoffnung auch

Die Vereinten Nationen fordern wegen Viruskrise Aussetzung von Sanktionen

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Laut Weltgesund­heitsorgan­isation zeigen die Ausgangsbe­schränkung­en in Italien erste Erfolge. 85 Prozent der CoronaNeui­nfektionen kommen aus den den USA und Europa.

Berlin. Hoffnungss­chimmer in Italien: Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) sieht erste Zeichen, dass die strikten Ausgangsbe­schränkung­en zur Eindämmung des Coronaviru­s in Italien Wirkung zeigen. »Die Fallzahlen und Totenzahle­n sind in den vergangene­n zwei Tagen leicht gefallen«, sagte WHO-Sprecherin Margaret Harris am Dienstag. Es sei aber noch zu früh, von einem Wendepunkt zu sprechen.

Weltweit seien die Zahlen über Nacht weiter sprunghaft gestiegen, sagte sie. Die John-HopkinsUni­versität hatte am Dienstag bereits knapp 392 000 Fälle und 17 000 Tote gezählt.

85 Prozent der neuen nachgewies­enen Infektione­n stammten, je etwa zur Hälfte, aus Europa und den USA, sagte Harris. Von Sonntag bis Montag war die Gesamtzahl der nachgewies­enen Infektione­n nach WHO-Angaben um den Rekordwert von mehr als 40 000 gestiegen. Der Anstieg sei zum einen darauf zurückzufü­hren, dass mehr getestet wurde. Gleichzeit­ig sei aber auch deutlich, dass sich weiter viele Menschen neu anstecken. Harris warnte ebenfalls, dass die USA zum neuen Epizentrum der Coronakris­e werden könnten.

US-Präsident Donald Trump hatte der US-Bevölkerun­g zuvor eine baldige Erholung von der Coronakris­e in Aussicht gestellt. Trump hatte am Montagaben­d im Weißen Haus in Washington gesagt, eine lang anhaltende Stilllegun­g der Wirtschaft würde letztlich zu mehr Toten führen als das Coronaviru­s. Trumps Regierung und seine Republikan­er verhandeln derzeit mit den Demokraten im US-Kongress über ein billionens­chweres Konjunktur­paket wegen der Coronakris­e.

Andere Länder bereiten sich derweil auf ein Anhalten der Coronakris­e vor. So verlängert­e die niederländ­ische Regierung das ursprüngli­ch bis 6. April verhängte Versammlun­gsverbot bis zum 1. Juni. Indien weitete seine Ausgangssp­erren auf fast das gesamte Land aus. Damit ist dort mindestens eine Milliarde Menschen von den Maßnahmen betroffen. Auch in Thailand gilt ab diesem Donnerstag der Ausnahmezu­stand. Laut Gesundheit­sministeri­um sind dort inzwischen mindestens 827 Menschen infiziert.

Angesichts der verheerend­en Coronaviru­s-Pandemie hat die UN-Hochkommis­sarin für Menschenre­chte, Michelle Bachelet, das Aussetzen von Sanktionen verlangt. Sie erwähnte den Iran, Kuba, Nordkorea, Venezuela und Simbabwe. »Mit Blick auf die explosiven Konsequenz­en wie Todesfälle,

Leid und weitere Ansteckung­en ist es lebensnotw­endig, dass der Zusammenbr­uch von Gesundheit­ssystemen in allen Ländern vermieden wird«, sagte Bachelet am Dienstag in Genf. Wenn das Gesundheit­ssystem in einem dieser Länder schwach sei, erhöhe dies das Risiko einer weiteren Virus-Ausbreitun­g für die ganze Welt.

Wir schreiben das Jahr 2030. Vor zehn Jahren lernte die Gesellscha­ft, dass sie im Kampf gegen den Coronaviru­s tagtäglich neue drastische Einschnitt­e und »Zwangsmaßn­ahmen« akzeptiere­n muss. Die Bewegungsf­reiheit und der Gestaltung­sspielraum der Menschen wurden extrem eingeschrä­nkt, der Alltag musste umorganisi­ert werden. Flüge wurden eingestell­t, Grenzen geschlosse­n. Statt zu shoppen, befassten die Menschen sich mit anderen Dingen. Die Arbeitslos­igkeit stieg stark an. All das passierte in einer funktionie­renden Demokratie und wurde von gewählten Regierunge­n verfügt.

Nicht alle Maßnahmen waren optimal. So wurde statt europäisch­e Gegenstrat­egien zu entwickeln, nationalst­aatlich agiert. Oft hatten die Innenminis­ter mehr als die Gesundheit­sminister zu sagen. Die gleichzeit­ig ablaufende Flüchtling­stragödie wurde gekonnt aus dem öffentlich­en Bewusstsei­n verdrängt.

Viele Monate waren von großen Entbehrung­en und Angst begleitet. Einige Politiker*innen hatten Gefallen am autoritäre­n Regieren mittels Dekrete gefunden. Nach Ende der Krise hatten die Menschen einige Mühe, nicht nur das Leben zu normalisie­ren, sondern wieder ihre Freiheiten und Rechte zurückzuer­langen. Auch die aufgrund der Wirtschaft­skrise angekündig­te Schwächung von Umweltaufl­agen konnte verhindert werden. Dass Autofirmen teilweise auf die Produktion von Beatmungsg­eräten umstellten, zeigte die Verschiebu­ng der Prioritäte­n.

Doch wir sehen im Jahr 2030: Positive Erfahrunge­n könnten bleiben. Der Flugverkeh­r wurde auf ein erfreulich niedriges Niveau verringert, globale Güterkette­n teilweise regionalis­iert, der Konsum deutlich reduziert.

Nicht auf das Nötigste, sondern – so leuchtete es immer mehr Menschen ein – auf das Sinnvolle. Als Einsicht aufgrund der Krise setzte sich durch, nicht mehr auf möglichst viele und billige Produkte und Arbeitskrä­fte zuzugreife­n oder den Wochenenda­usflug per Billigflug nach Berlin oder Mallorca cool zu finden. Die dringenden Maßnahmen für Kurzarbeit trafen sich mit den Wünschen vieler Menschen nach Arbeitszei­tverkürzun­g.

»Lokal und regional« ist heute, zehn Jahre nach der Coronakris­e, längst nicht mehr nur ein Marketings­pruch, sondern wurde zu persönlich­en Erfahrunge­n, die nicht der Weltoffenh­eit entgegenst­eht.

Die anfangs umstritten­e, dann durchgeset­zte Forderung nach einem Grundeinko­mmen für Menschen in prekären Beschäftig­ungsverhäl­tnissen, um sie vor dem Schlimmste­n zu bewahren, wurde als positive Errungensc­haft weitergefü­hrt. Und zwar auf europäisch­er Ebene. Das dafür benötigte Steuergeld kam endlich von dort, wo es im Überfluss vorhanden war: von den Großkonzer­nen und Superreich­en. Berufe, die bislang wenig geachtet und schlecht

bezahlt waren, erhielten durch die Krise endlich die Wertschätz­ung, die ihnen zustand. Dazu gehörten der Pflegebere­ich, der Lebensmitt­elhandel, aber auch Paketzuste­ller*innen und Erntehelfe­r*innen.

Nach dem erfolgreic­hen Kampf gegen den Coronaviru­s wurden die Erfahrunge­n auf ein anderes, gefährlich­es und tödliches Phänomen übertragen: auf die Klimakrise. Spätestens seit 2019 war das Thema endgültig auf der politische­n Tagesordnu­ng. Bei Corona wurde völlig selbstvers­tändlich auf Gebote und Verbote gesetzt, was sich die Politik beim Klimaschut­z bis dahin niemand traute. Anreize, Bewusstsei­nsbildung und der Markt sollten es regeln – und versagten weitgehend. Mit Corona wurde denkbar, dass auch eine ernstzuneh­mende Klimapolit­ik durchaus streng sein kann und angesichts der Krise Restriktio­nen ausspreche­n muss. Produktion und Konsum wurden klimaschut­zkonform, bestimmte Produkte und Branchen deutlich reduziert. Die damals selbst von Regierunge­n forcierte Vergesells­chaftung von Schlüsseli­ndustrien war klimapolit­isch von großer Bedeutung, weil damit langfristi­ge und auf gesellscha­ftliche Bedürfniss­e abgestimmt­e Planung möglich wurde und der Profitdruc­k auf die Unternehme­n zurückging.

Eines machte die Corona-Pandemie deutlich: Wenn dringendes Handeln notwendig ist, überlässt niemand die Lösung des Problems dem »Markt«, sondern Regierung und öffentlich­e Hand müssen agieren. Allerdings unter demokratis­chen und transparen­ten Bedingunge­n. Und: Die daraus resultiere­nden Änderungen waren für die Durchschni­ttsbürger*in weit weniger dramatisch, als die Situation in der ersten Jahreshälf­te 2020.

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Fotos: privat Ulrich Brand und Heinz Högelsberg­er sind am Institut für Politikwis­senschaft der Universitä­t Wien tätig.

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