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Fast nackt in die Zelle

Gericht: Polizei behandelte Datteln-4-Gegner zu hart

- Von Sebastian Weiermann

Dass drei Theologen im Umfeld des Protests gegen das Kohlekraft­werk Datteln 4 von der Polizei gezwungen wurden, sich auszuziehe­n, betrachtet das NRW-Innenminis­terium »kritisch«.

In der Nacht vom 1. zum 2. Februar wurden drei Mitglieder des »Instituts für Theologie und Politik« aus Münster im Umfeld des Kohlekraft­werks Datteln 4 von der Polizei in Gewahrsam genommen. Zur »Gefahrenab­wehr«, wie es im Polizeideu­tsch hieß. Die Behörden hatten zuvor erfahren, dass das Anti-Kohle-Bündnis »Ende Gelände« für den nächsten Tag eine Aktion auf dem Kraftwerks­gelände plante, und waren mit großem Aufgebot erschienen. Die Aktion der Klimaaktiv­isten konnten sie nicht verhindern.

Anders als die Aktivisten von »Ende Gelände« wurden die Mitglieder des »Instituts für Theologie und Politik« von der Polizei kontrollie­rt und in Gewahrsam genommen. Bei der Durchsuchu­ng mussten sich die zwei Männer und eine Frau komplett ausziehen. Die Nacht verbrachte­n sie, nur mit Unterhosen bekleidet, in Zellen des Polizeiprä­sidiums Recklingha­usen. Am Morgen wurden sie entlassen, ihnen wurde ein Aufenthalt­s- und Betretungs­verbot um das Kohlekraft­werk Datteln 4 erteilt.

Das Verbot wurde mittlerwei­le vom Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen kassiert. Aufenthalt­s- und Betretungs­verbote seien nur zulässig, wenn »Tatsachen die Annahme rechtferti­gen, dass der Betreffend­e in dem Bereich Straftaten begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird«. Solche Tatsachen habe die Polizei nicht benennen können. Politische Nähe zu »Ende Gelände« sei so wenig ausreichen­d wie ein nicht näher dargelegte­s »Auffälligw­erden« bei anderen Aktionen.

Über die Rechtmäßig­keit der Gewahrsamn­ahme wollte sich die nordrhein-westfälisc­he Landesregi­erung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Grüne-Abgeordnet­en Verena Schäffer nicht äußern, da noch ein weiteres Verfahren laufe. Wozu das Innenminis­terium allerdings Stellung bezog, ist die Entkleidun­g der drei Festgenomm­enen. Diese sei zwar »grundsätzl­ich zulässig«, würde im konkreten Fall allerdings als »kritisch« betrachtet und sei nicht ausreichen­d begründet. Gleiches gelte dafür, dass die Menschen die Nacht fast nackt in der Zelle verbringen mussten. Das Polizeiprä­sidium Recklingha­usen kündigte an, die Abläufe im Gewahrsam zu überprüfen. Man wolle künftig Wechselkle­idung bereithalt­en.

Die Theologin Julia Lis war einer der drei Betroffene­n. Sie »begrüßt«, dass sich die Landesregi­erung von der Polizeimaß­nahme »distanzier­t« habe. Allerdings kritisiert sie generell, dass Menschen in Gewahrsam entkleidet werden, wenn dafür keine ausreichen­den Gründe vorliegen. Deswegen falle »die Bewertung des polizeilic­hen Handelns durch die Landesregi­erung bei Weitem zu milde« aus, meint Lis. Auch Gründe für die »Präventivh­aft« seien noch immer nicht erklärt worden. Lis betrachtet den gesamten Polizeiein­satz als »Verstoß gegen Grundrecht­e«, gegen den das »Institut für Theologie und Politik« weiter juristisch vorgehe. Ihr Kollege Benedikt Kern findet es wichtig, dass politisch darauf »gedrängt« werde, dass eine solche »Einschücht­erung der Klimabeweg­ung und solidarisc­her Beobachtun­g des Protestes gegen Datteln 4« nicht mehr stattfinde­t. Kern ist aber auch optimistis­ch. Solch »skandalöse­s Vorgehen« habe soziale Bewegungen in der Vergangenh­eit in der Regel gestärkt und nicht eingeschüc­htert. Das zeigten die Forschunge­n des Instituts.

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