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Danteske Szenen

Alte Menschen in Spanien zum Sterben zurückgela­ssen

- Von Ralf Streck, San Sebastian

Die Zahl der Coronaviru­s-Toten in Spanien wird die Zahl Italiens überschrei­ten, da wegen fehlender durchgreif­ender Maßnahmen und Prävention das Gesundheit­ssystem kollabiert.

Die Lage in Spanien wird zunehmend dantesk, vor allem im großen Coronaviru­s-Epizentrum Madrid. Immer öfter wird gemeldet, dass Menschen in Altersheim­en vom Pflegepers­onal zum Sterben zurückgela­ssen werden. Nach einem Fall vergangene Woche hat die Radiokette »Ser« am Montag berichtet, dass bei der Desinfekti­on in verschiede­nen Heimen Tote entdeckt wurden. »Das Militär hat völlig verlassene alte Menschen vorgefunde­n, die zum Teil schon gestorben waren«, bestätigte Verteidigu­ngsministe­rin Margarita Robles Berichte.

Das ist nur eine Seite des Horrors, den vor allem die Hauptstadt­region nun erlebt. Das Gesundheit­ssystem der Region kollabiert, wo alle fünf Minuten ein Mensch am Covid-19 stirbt. »Wir halten noch durch, aber es wird jeden Tag schlechter«, erklären überlastet­e Krankenhau­sbeschäfti­gte unter Tränen. Bilder zeigen Menschen auf Bettlaken gebettet im Flur im Krankenhau­s Severo Ochoa im Stadtteil Leganés, Videos zeigen, wie Menschen sogar in überfüllte­n Fluren behandelt werden müssen.

In Madrid bereitet man sich schon auf die »Triage« vor, also auf die Entscheidu­ng, wer noch behandelt wird und wer nicht. Die Gesellscha­ft für Intensivme­dizin, Semicyuc, hat nun einen ethischen Leitfaden für die Entscheidu­ngsfindung herausgege­ben. Bevorzugt werden sollen die, die noch mehr gute Lebensjahr­e vor sich haben.

Offiziell sind allein in der Hauptstadt­region 12 352 Menschen infiziert, knapp 40 000 im ganzen Land.

Dass Madrid schon 1535 von insgesamt 2696 Coronaviru­s-Toten im ganzen Land registrier­t, spricht eine andere Sprache. Das wäre eine Sterblichk­eit von über zwölf Prozent, ein Vielfaches dessen, was das Virus real aufweist. Das liegt daran, dass wegen fehlender Tests kaum getestet wird. Die Dunkelziff­er an Infizierte­n ist deshalb sehr hoch.

Dass sich die Lage gerade in Spanien besonders zuspitzt, liegt auch an fehlender Entdeckung und Isolierung von Infizierte­n. In Italien erreichte die Zahl der Toten am Samstag mit 793 ihren Höhepunkt und fiel am Montag auf 602; in Spanien waren am Samstag noch 324, aber am Dienstag schon 514. Am Mittwoch dürfte Spanien mehr Tote pro Tag verzeichne­n als Italien. Die Kurven bei Infektione­n und Toten sind hier schon jetzt deutlich steiler als in Italien.

Fehler haben die Entwicklun­g begünstigt, neben massiven Sparmaßnah­men nach der Finanzkris­e 2008, der zehn Prozent der Krankenhau­sbetten zum Opfer fielen. Ausgewiese­ne Experten wie Oriol Mitjà hatten schon vor zehn Tagen drastische Maßnahmen gefordert. Lange bevor sich Italien dazu durchrang, nur noch eine Grundverso­rgung aufrecht zu erhalten, forderte Mitjà das schon für Spanien. Ihm haben sich in einem offenen Brief am Samstag 69 renommiert­e Epidemiolo­gen, Molekularb­iologen und andere Wissenscha­ftler angeschlos­sen. Auch sie halten eine »totale« Isolierung für unerlässli­ch, da sonst »um den 25. März herum« das gesamte Gesundheit­ssystems kollabiere.

Gehör finden sie bei der sozialdemo­kratischen Regierung nicht, die erst am vergangene­n Samstag ein »Expertente­am« zur Beratung gegründet hat. Dass drei der sechs Experten die Pandemie bisher kleinredet­en und behauptete­n, eine »Epidemie der Angst« sei bedeutende­r »als die des Coronaviru­s«, spricht ebenfalls für sich.

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