Der nicht desinfizierte Ausstellungsraum
Der Coronavirus ist auch ein Konzeptkünstler: ein Gespräch mit Timm Ulrichs
Timm Ulrichs, hätten Sie gedacht, dass einem alten Werk von Ihnen (»Betreten der Ausstellung verboten«) einmal diese Bedeutung zukommen wird?
Ach, das ist nur ein zufälliges Zusammentreffen. Aber es schadet dem Schild nicht. Es gewinnt an Ernsthaftigkeit.
Wie kam es überhaupt zu dieser Arbeit? Als Entstehungszeitraum ist 1968 – 2010 genannt. In den 1960er Jahren machten Sie einen Ausstellungsraum keimfrei und versiegelten eine Galerie, um auf die Künstlichkeit des Ausstellungsbetriebs hinzuweisen. Können Sie den Entstehungskontext beschreiben? Es leitet sich von Baustellenschildern ab, »Betreten der Baustelle verboten«. Ich ließ das Schild zunächst als Unikat anfertigen für eine Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf. Da okkupierte ich einen Raum, der gar nicht für die Ausstellung vorgesehen war, indem ich das Schild an die verschlossene Tür klebte.
Und vorher hatten Sie den Raum desinfiziert?
Das war bei einer anderen Ausstellung im Haus Lange in Krefeld ein paar Jahre später. In diesem von Mies van der Rohe gebauten Wohnhaus gab es drei Badezimmer gleichen Zuschnitts und gleicher Ausstattung. Die Türen ließ ich durch Plexiglasscheiben ersetzen. Der erste Raum war normal belassen – der nicht desinfizierte Raum. Dann kam der identisch aussehende desinfizierte Raum. Und schließlich der Raum mit dem ausgestreuten Rattengift, einem sehr attraktiv wirkenden Streugut in den Farben blau und rosa. Der desinfizierte Raum war optisch gar nicht unterscheidbar von dem nicht desinfizierten Raum. Wir hatten ihn nach allen Regeln der Medizin gereinigt und vom Gesundheitsamt abnehmen
(geboren 1940 in Berlin) ist ein Konzeptkünstler. Er selbst nennt sich »Totalkünstler«. Eigentlich sollte derzeit seine Ausstellung »Ich, Gott & die Welt. 100 Tage – 100 Werke – 100 Autoren« im Berliner Haus am Lützowplatz laufen. Doch nach nur neun Tagen, mit neun Werken, die in den Galerieraum gebracht wurden, war wegen des Virus Schluss. Dank seinem umfangreichen Bestand an
Ein wichtiger Unterschied ist, dass man jetzt die Gefahren gar nicht sieht. Im Zweiten Weltkrieg konnte man die Flugzeuge am Himmel und die Bomben, die sie warfen, sehen und sich vor ihnen in Sicherheit bringen. Jetzt ist die Bedrohung kaum wahrnehmbar. Das macht die Situation unheimlich. Und es führt auch zu ambivalentem Verhalten. Manche decken sich ängstlich mit einem Übermaß an Desinfektionsmitteln ein, andere ändern ihr Verhalten kaum und glauben, ihnen passiere nichts.
Es liegt in der jetzigen Situation aber auch etwas Heilsames, weil man sieht, dass wir alle auf einem Vulkan