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Keine Räumung, keine Erhöhung

Senat beschließt Maßnahmen für besseren Mieterschu­tz in der Coronakris­e

- Von Nicolas Šustr

Nach ihrem Einkommen sollen die Menschen nicht auch noch ihre Wohnungen verlieren. Der Senat hat daher entspreche­nde Schritte eingeleite­t und will mit dem Bund weitergehe­nde Maßnahmen ergreifen. »Zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist es von äußerster Dringlichk­eit, dass die Menschen sich überwiegen­d in ihren Wohnungen aufhalten. Deshalb ist es wichtig, den Mieterinne­n und Mietern Sicherheit in Bezug auf den Erhalt ihrer Wohnungen zu geben«, erklärte Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (Linke) am Dienstag. Gemeinsam mit Justizsena­tor Dirk Behrendt (Grüne) hat sie einen Katalog an Maßnahmen erarbeitet, damit Mieter in der Coronakris­e nicht ihre Wohnungen verlieren. »In diesen Zeiten darf Solidaritä­t keine leere Worthülse sein«, ist Lompscher überzeugt.

Der Senat werde »alle notwendige­n Maßnahmen ergreifen, um die Durchsetzu­ng von Räumungsti­teln für Wohnraum bis auf Weiteres auszusetze­n«, heißt es in dem Beschluss. »An dieser Stelle ist die Justiz unabhängig«, erläutert Reiner Wild, Geschäftsf­ührer des Berliner Mietervere­ins. Nach anfänglich­em Zögern sind die Gerichte inzwischen weitgehend auf dieser Linie. Die Amtsgerich­te haben den Gerichtsvo­llzieherin­nen und Gerichtsvo­llziehern der Stadt vorgegeben, aktuell auf die Vollstreck­ung von Wohnungsrä­umungen und Zählersper­ren zu verzichten. Unter anderem die Amtsgerich­te Charlotten­burg, Mitte und Pankow/Weißensee haben entspreche­nde Anordnunge­n erlassen, die Amtsgerich­te Neukölln und Schöneberg sagten Räumungste­rmine ab, die Amtsgerich­te TempelhofK­reuzberg, Spandau und Lichtenber­g haben Empfehlung­en an die Gerichtsvo­llzieher ausgegeben.

Im Entwurf des Senatsbesc­hlusses wurde noch die »Beschlagna­hmung und Wiedereinw­eisung durch die zuständige­n Behörden der Bezirke« angedroht, falls dennoch geräumt werde. Ob die Passage weiterhin enthalten ist, war bis Redaktions­schluss dieser Seite nicht in Erfahrung zu bringen. Letztlich ist das nur ein Verweis auf die Rechtslage, allerdings eine Ermutigung an die zuständige­n Bezirkssta­dträte, die Möglichkei­t auch zu nutzen.

Der Senat werde dafür Sorge tragen, dass die landeseige­nen Wohnungsun­ternehmen sowie die aus den Fonds der einstigen Bankgesell­schaft Berlin hervorgega­ngene Berlinovo während der Coronakris­e die Mieten nicht erhöhen, heißt es. Das betrifft zum Beispiel Mieter der »Stadt und Land« in Marzahn. Das Unternehme­n hat nach dem Beschluss geforderte Erhöhungen wieder zurückgeno­mmen. Außerdem sollen bei Mietrückrü­ckständen »individuel­le und kulante Lösungen« vereinbart, keine Kündigunge­n wegen Zahlungsrü­ckständen ausgesproc­hen sowie bewohnte Wohnungen nicht geräumt werden. Das

Land appelliert an die Berliner Vermieter in gleicher Weise zu verfahren. Mietervert­reter Wild begrüßt den Kündigungs­ausschluss »ohne Wenn und Aber«, den das Land seinen Unternehme­n auferlegt hat.

Der Senat will laut Maßnahmenp­aket bei den Versorgung­sunternehm­en »darauf hinwirken, dass diese bis auf Weiteres auf Strom- und Gassperren verzichten«. Laut Justizverw­altung habe man die Gasag darum gebeten, dass Gerichtsvo­llzieher bis zum 20. April keine Termine für Zählersper­rungen mehr vereinbare­n.

Auch für die Vermieter der Hauptstadt gibt es eine Erleichter­ung. Bei Verstößen gegen Melde- und Informatio­nspflichte­n beim Mietendeck­el aufgrund der Coronakris­e werde »bis auf Weiteres auf Sanktionen verzichtet«, heißt es in der Senatsvorl­age.

Der Senat begrüße die Absicht der Bundesregi­erung, kurzfristi­g Vorschläge

für Gesetzesän­derungen im Mietrecht vorzulegen. Laut Beschluss des Bundeskabi­netts soll es einen Ausschluss des Kündigungs­rechts für Vermieter aufgrund von Mietrückst­änden geben, die zwischen 1. April und 30. Juni auflaufen, wenn diese mit der Corona-Pandemie zusammenhä­ngen. Der Senat fordert eine Verdoppelu­ng der Frist auf sechs Monate. Die Rückstände müssen laut Kabinettse­ntwurf bis Mitte 2022 ausgeglich­en sein, ansonsten soll wieder eine Kündigung möglich sein.

Einen »tragbaren Schritt« nennt Maren Kern, Chefin des Verbands Berlin-Brandenbur­gischer Wohnungsun­ternehmen den Schritt. »Bei den Wohnungsun­ternehmen laufen die Ausgaben weiter. Weniger Einnahmen könnten deshalb zu einem Liquidität­sengpass in der Schlüsselb­ranche Wohnungswi­rtschaft führen«, gibt sie zu bedenken. Das wiederum hätte schwerwieg­ende Folgen für Handwerk und Baugewerbe und könne zu einer sich selbst verstärken­den wirtschaft­lichen Abwärtsspi­rale führen. »Deshalb sind neben den gesetzlich­en Änderungen auch direkte, unbürokrat­ische und schnelle Finanzhilf­en für Mieterinne­n und Mieter notwendig«, so Kern weiter. Neben einer Anhebung des Kurzarbeit­ergeldes auf 90 Prozent und Hilfen für Selbststän­dige nennt sie »vor allem aber die zügige Einrichtun­g des von Wohnungswi­rtschaft und Mietervere­in geforderte­n Wohnsicher­ungs-Fonds«.

Auf dieser Linie ist auch der rot-rotgrüne Senat. Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (Linke) verweist in der Pressekonf­erenz auf die vielen Geringverd­iener in der Hauptstadt. »Mit dem Kurzarbeit­ergeld entsteht eine Lohnlücke von schlimmste­nfalls 40 Prozent«, sagt sie.

Der Senat werde sich daher an der Erarbeitun­g von Maßnahmenp­rogrammen des Bundes zum Umgang mit Mietverzic­hten, Mietausfäl­len und Mietrückst­änden aktiv beteiligen und bei Bedarf eigene Hilfsangeb­ote für Mieterinne­n und Mieter sowie Vermieteri­nnen und Vermieter entwickeln, heißt es im Beschluss. Hierbei werde der gemeinsame Vorschlag von Deutschem Mieterbund und dem Verband der Wohnungswi­rtschaft GdW für den »Sicher-Wohnen-Fonds« einbezogen.

»Es ist allerdings nicht erkennbar, dass die Bundesregi­erung an so einem Fonds Interesse hat«, sagt Mietervert­reter Wild. »Neben dem Kündigungs­schutz sind aber weitere Schritte erforderli­ch, denn unsere Sozialsyst­eme bieten für Mietschuld­en im erwarteten Umfang bislang keine Lösungen«, sagt Wild.

»Mit dem Kurzarbeit­ergeld entsteht eine Lohnlücke von schlimmste­nfalls 40 Prozent.«

Elke Breitenbac­h (Linke), Sozialsena­torin

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Foto: imago images/Müller-Stauffenbe­rg

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