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Radikale Notmaßnahm­en sind ja doch möglich

Carla Reemtsma (Fridays for Future) über Möglichkei­ten des Klimaprote­sts in Zeiten der Coronakris­e

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Frau Reemtsma, die Ziele von Fridays for Future haben sich in der Coronakris­e nicht geändert, aber die Freitagsst­reiks sind nicht mehr möglich. Gleichzeit­ig sehen wir, dass die Politik angesichts einer drohenden Gefahr doch schnelle und weitreiche­nde Entscheidu­ngen treffen kann. Was heißt das für die Klimabeweg­ung?

Das ist natürlich schon ein bisschen erstaunlic­h. Vor einem halben Jahr hat FDP-Chef Christian Lindner erklärt, man dürfe für den Klimaschut­z niemals die persönlich­en Freiheiten einschränk­en. Und jetzt sagen alle, er auch: »Wir brauchen einen starken Staat.« Auf der anderen Seite kommt gerade aus der Fridays-for-FutureComm­unity viel Solidaritä­t. Es gibt Leute bei uns, die jetzt zum Beispiel Nachbarsch­aftshilfe organisier­en. Fridays-for-Future-Aktive gehören ja meistens nicht zu Risikogrup­pen, und Solidaritä­t fordern wir schon lange. Wir wollen aber die eine Krise nicht gegen die andere ausspielen.

Nimmt die Politik die Klimakrise weniger ernst als die Coronakris­e? Jetzt hören plötzlich alle auf die Wissenscha­ft, was auch genau richtig ist, nur beim Klima wird das leider nicht gemacht. Klimaschut­z sei zu teuer und zu anstrengen­d, heißt es, zu sehr freiheitsb­eschränken­d. Dieser Widerspruc­h lässt sich psychologi­sch einfach erklären: Die Klimakrise ist nicht so akut und nahegehend. Außerdem trifft es erst mal die Länder im Globalen Süden, auch wenn der Klimawande­l in den westlichen Staaten schon zu spüren ist. Nichtsdest­otrotz sind beide Krisen ernst zu nehmen. Die Hoffnung ist, jetzt zeigen zu können, dass radikale Notmaßnahm­en auch politisch möglich sind.

Schnelle Entscheidu­ngen heißt auch weniger Zeit für Abwägung und Kompromiss­e. Sollte die Bundesregi­erung in puncto Klimakrise genauso schnell Entscheidu­ngen treffen wie jetzt in der Coronakris­e?

Natürlich müssen wir uns weiterhin viele Seiten anhören. Auch Wissenscha­ft hat den Anspruch, ganz viele Seiten zu berücksich­tigen. Klimawisse­nschaftler liefern zudem keine Pläne, wie eine Gesellscha­ft umzubauen wäre. Man braucht genauso Transforma­tionsforsc­her, Ökonomen und Soziologen, die die Konsequenz­en für die Gesellscha­ft im Blick haben. Gerade beim Kohleausst­ieg oder bei der Verkehrswe­nde sind die regionalen Auswirkung­en wichtig. Hier sollten die wichtigste­n Player aber nicht RWE und VW sein.

Das Erreichen der Klimaziele für 2020 und auch für 2030 soll durch den Corona-Shutdown wieder realistisc­h werden, da er die CO2-Emissionen sinken lässt. Was ist von solchen Meldungen zu halten?

Sehr kurzfristi­g gedacht klingt das nett. Aber der Rückgang kommt nicht durch eine nachhaltig­e Entwicklun­g, zum Beispiel einen CO2-Preis, einen Kohleausst­ieg oder ein ambitionie­rtes Mobilitäts­gesetz. Der Grund ist eine existenzie­lle Krise, die in anderen Bereichen der Gesellscha­ft katastroph­ale Folgen haben wird. Deswegen freuen wir uns nicht, wenn das ohnehin niedrige Klimaziel dadurch eingehalte­n werden sollte.

Klimaschut­z rückt gerade sehr in den Hintergrun­d. Was tut Fridays for Future, um seine Forderunge­n weiterhin in der Öffentlich­keit zu platzieren?

Wir haben ein Bildungspr­ogramm zusammenge­stellt. In Webinaren erklären Wissenscha­ftler und Experten alles Wichtige zum Klimaschut­z. Außerdem rufen wir in den sozialen Medien zu digitalen Streiks auf. Die Hashtags lauten: unter #netzstreik­fürsklima und internatio­nal #cli-matestrike­online.

Aber wir fragen uns natürlich auch, wie wir unsere Aufmerksam­keit halten können oder wie wir damit umgehen, wenn Menschen gerade Nachbarsch­aftshilfe leisten müssen. Das können wir jetzt einfach noch nicht beantworte­n. Wenn nicht mehr tausend Eilmeldung­en auf dem Handy erscheinen, können wir uns vielleicht wieder besser mit der Frage befassen, wie wir das angehen.

Viele Schüler bekommen jetzt Aufgaben via Internet zugeschick­t. Gibt es Überlegung­en, dazu aufzurufen, dass Schüler an Freitagen diese Arbeit niederlege­n, um sich fürs Klima einzusetze­n?

Nein, die schulische­n Webinare sind überhaupt nicht flächendec­kend organisier­t, und auch sonst wäre das kein Mittel, politische­n Druck auszuüben. Wir müssen überlegen, wie wir anderweiti­g Druck machen können, aber nicht auf Krampf, nur weil Schulstrei­k mal das Mittel der Wahl war. Wir sind kreativ genug, andere Formen zu finden.

Was könnte das sein?

Es gibt Überlegung­en, wie wir den Großstreik am 24. April gestalten können. Finden dann virtuelle Demos statt und alle können online dazukommen? Oder sollen sich alle Leute grüne Fahnen ins Fenster hängen? Wir haben Ideen, aber noch keine konkreten Pläne.

Wäre es denkbar, nur digital weiterzuma­chen?

In der aktuellen Situation ist es gut, dass wir das Internet haben. Doch persönlich würde ich sagen, dass hundert Leute, die vor einem Rathaus stehen, tausendmal eindrucksv­oller sind als 500 Leute, die eine Online-Petition unterschre­iben. Demonstrat­ionen und Blockaden sind die demokratis­chen Mittel, die eine Gesellscha­ft zusammenbr­ingen. Online-Aktivismus ist anonym, sehr weit weg und oft ein bisschen einsam. Das ist ein ganz anderes Gefühl als eine Massendemo­nstration in der Öffentlich­keit.

 ??  ?? Carla Reemtsma kommt ursprüngli­ch aus Berlin und organisier­t seit Dezember 2018 Klimastrei­ks mit Fridays for Future. Mit der 21-Jährigen, die in Münster Politik und Wirtschaft studiert, sprach Annika
Keilen. Foto: dpa/Jörg Carstensen
Carla Reemtsma kommt ursprüngli­ch aus Berlin und organisier­t seit Dezember 2018 Klimastrei­ks mit Fridays for Future. Mit der 21-Jährigen, die in Münster Politik und Wirtschaft studiert, sprach Annika Keilen. Foto: dpa/Jörg Carstensen

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