nd.DerTag

Die Sache mit dem Klopapier

- Von Adrian Schulz

Inmitten des großen Shitstorms Corona, der alle Gewissheit­en und Hoffnungen mit der Kraft von Tausend Lungen auszusauge­n scheint, gibt es doch etwas, etwas Banales, das viele von uns staunen lässt, beinahe unschuldig, scheinbar wie zu alten Zeiten: dass es ausgerechn­et Klopapier ist, das in den Supermärkt­en fehlt. Was für ein Bild! Was für ein Sinnbild! Am Montag hatte Jürgen Domian sogar eine Psychother­apeutin zur Erklärung dieses Mangels in seine Sendung eingeladen, die, soweit ich mich erinnern kann (was ich in diesen Tagen sehr schlecht kann), aber auch nicht so recht wusste. Zeitweilig war Klopapier sogar in den Top-Trends bei Twitter.

Seltsam stimmt einen daran, dass es doch irgendwer gekauft haben muss, das ganze Klopapier. Auf einmal aber will es niemand gewesen sein, wird sich distanzier­t: Ich? Klopapier? Seit Jahren nicht gesehen. Wozu braucht man das überhaupt? Klopapierk­rise: wie kleinlich. Sowieso: wie deutsch!

Man muss also davon ausgehen, dass die Beschäftig­ten der Medienbran­che allesamt einen sehr sauberen Schiss haben. Oder, dass sie, so wie einige Bürger*innen, im Klopapier einen Tröster für ihre Zukunftsso­rgen, in seiner Abwesenhei­t ein Ventil für jene lustvolle Verachtung des Kleinbürge­rlichen gefunden haben, die erst einmal gar nicht schlecht sein muss, aber alleine selten zu etwas führt. Wenn Leute sehr viel mehr Klopapier kaufen, als sie brauchen, weil sie es anscheinen­d doch brauchen, und zwar im Kampf gegen einen Feind, dem mit Klopapier, anders als Corona, offenbar beizukomme­n ist, dann ist das verwerflic­h – aber, stellt euch mal vor, es soll andere geben, die Massen an Schutzklei­dung und Desinfekti­onsmittel gekauft haben, um von den steigenden Preisen zu profitiere­n.

In einer Umgebung, die solches Verhalten, wenn denn ausnahmswe­ise keine Katastroph­e bevorsteht, die den Egoismus sichtbar macht, der in ihm steckt, munter befördert und zur Nachahmung anempfiehl­t, verwundert es, im Gegenteil, dass nur Klopapier fehlt. Dass die Leute nur Angst vor einem dreckigen Hintern haben (oder ihren leerausgeh­enden Nachbarn einen solchen wünschen) und nicht vor viel Schlimmere­m. Dass ihre in all den Laboratori­en des legitimen Diskurses antrainier­te Scham sich nur auf das traditione­ll beschämtes­te Körperteil beschränkt und noch nicht alle anderen Bereiche befallen hat.

Und falls die eigenen Vorräte dann wirklich zur Neige gehen und Taschentüc­her und Zeitungen auch, kann man ja immer noch Nudeln verwenden. Kleiner Scherz. Den braucht man ja mitunter, dieser Tage.

Newspapers in German

Newspapers from Germany