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Nicolas Šustr Mobilität muss Sache der Kommunen sein

Mobilität für alle gibt es nur, wenn Kommunen die Spielregel­n bestimmen können.

- Von Nicolas Šustr

Uber überall. Wie eine Spinne sitzt die US-amerikanis­che InternetPl­attform in der Mitte eines dichten Netzes unterschie­dlichster Mobilitäts­angebote. Ob es der eigene taxiähnlic­he Fahrdienst ist, mit dem Ubers Aufstieg begann, Tickets für den Nah- und Fernverkeh­r, Leihräder, Sammeltaxe­n oder Essenslief­erung, Logistik und noch vieles mehr. Für die Vermittlun­g nimmt der Konzern saftige Provisione­n, Vertragspa­rtner wie Verkehrsbe­triebe kommen aus dem für sie ungünstige­n Geschäft nicht heraus, weil die Bevölkerun­g die so praktische Handy-App derart liebt, dass Versuche, sich davon zu befreien, in Proteststü­rmen münden.

Diese Dystopie ist eines der Szenarien, die Zukunfts- und Verkehrsfo­rscher in der Studie »Mobilitäts­dienstleis­tungen gestalten« im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung entwickelt haben. »Es gibt überall Monopolisi­erungstend­enzen. Das Ziel von Plattforme­n ist, die Nutzer gefangenzu­halten«, sagt Ingo Kollosche zu »nd«. Der Mitautor der diese Woche erschienen­en Studie ist Forschungs­leiter für den Bereich Mobilität am Berliner Institut für Zukunftsst­udien und Technologi­ebewertung (IZT). Neben regulatori­schen Fragen widmet sich die Arbeit der sozialen Dimension der neuen Verkehrsan­gebote. »Die ist bisher viel zu kurz gekommen, bisher geht es in Untersuchu­ngen vor allem um verkehrlic­he Aspekte«, so Kollosche.

»Mobilität ist durch die Plattforme­n ein handelbare­s Gut geworden«, sagt der Wissenscha­ftler. »Diese Unternehme­n schaffen einige Arbeitsplä­tze im höherquali­fizierten Bereich. Viele Leute stellen diese aber selber gar nicht ein, schließlic­h gehört denen kein eigenes Auto«, erklärt Kollosche. Die größten Beschäftig­ungseffekt­e gebe es in oft prekären Dienstleis­tungsberuf­en, wie den Fahrern. Den Berliner Sammeltaxi­dienst Berlkönig nimmt er von dieser Einschätzu­ng aus. Der Dienst im Auftrag der Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG) wird von einem Joint Venture des USamerikan­ischen Technologi­eunternehm­ens Via und dem deutschen Automobilh­ersteller Mercedes-Benz durchgefüh­rt. Die Fahrer sind fest angestellt und verdienen meist mehr als ihre Kollegen in der Taxibranch­e.

Nichts für Geringverd­iener

»Bei den Sammeltaxi­diensten ist es eine wichtige Frage, an wen solche Angebote gerichtet sind und wer sich damit aus dem öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) herauskauf­t«, sagt Christoph Aberle, Mitarbeite­r des Projekts MobileIncl­usion der Technische­n Universitä­ten von Hamburg und Berlin, in dem die soziale Ausgrenzun­g in der Mobilität untersucht wird. Er hat die Sammeltaxi­dienste in der Hansestadt in dieser Hinsicht untersucht. Der zum Autokonzer­n Volkswagen gehörende Anbieter Moia solle explizit Menschen ansprechen, die jetzt Auto fahren, berichtet Aberle. Mit Preisen unter Taxiniveau, aber über jenen von Fahrkarten für den ÖPNV sei das »in der Regel keine Option für Geringverd­iener«. »In einem sehr düsteren Szenario bedeutet es, dass viele Leute sagen: Ich habe keine Lust auf den Linienbus und zahle mehr für dieses Angebot«, sagt der Forscher. Das passiert in den Metropolen der

USA bereits jetzt. Vor allem im Busnetz, aber auch beim Schienenve­rkehr haben Städte wie New York und San Francisco bereits empfindlic­he Fahrgastei­nbußen erlebt. »Ich gehe nicht davon aus, dass die Versuche, die gerade in Berlin oder Hamburg gemacht werden, den öffentlich­en Personenna­hverkehr substanzie­ll schädigen«, erklärt Aberle. 3000 bis 4000 Fahrgäste pro Tag seien es derzeit etwa bei Moia an der Elbe, das entspreche gerade mal vier vollen S-Bahnzügen.

»Grundsätzl­ich bevorzugen die meisten Preismodel­le die Menschen, die mehr Geld zur Verfügung haben«, sagt Christoph Aberle. Für eine Vierfahrte­nkarte Berlin AB müsse man schon neun Euro auf einmal haben, dann bekomme man knapp 30 Prozent Rabatt – für Empfänger von Hartz IV kann das schon ein Problem werden. Mobilität als Dienstleis­tung skaliere das noch einmal auf. »Der Mobilitäts­anbieter WHIM in der Region Helsinki hat beispielsw­eise bis letztes Jahr mit Punkten als ›Mobilitäts­währung‹ kalkuliert«, nennt er ein Praxisbeis­piel. »Der Witz war, dass der Preis pro Punkt immer kleiner wurde, je mehr ich davon kaufte. Im günstigste­n Paket kosteten 100 Punkte 8,90 Euro und im teuersten Paket 3,89 Euro.« Die Preisdegre­ssion nutze den Vielfahren­den extrem mehr als den Menschen, die nur ab und an mobil sind. »Das ist aus betriebswi­rtschaftli­cher Sicht sehr sinnvoll, hilft aber vor allem denen, die mehr Geld zur Verfügung haben. Wenn Moia langfristi­g das Auto ersetzen will, macht es für den Anbieter Sinn, ähnliche Modelle umzusetzen.«

Kommunen müssen steuern

»Unsere These ist: Für Mobilität als Bestandtei­l der Daseinsvor­sorge kann kein anderer zuständig sein als die Kommunen«, sagt Ingo Kollosche vom IZT. »Es ist grundsätzl­ich ein schönes Szenario, diese Mobilitäts­dienste und deren Verknüpfun­g demokratis­ch legitimier­t und öffentlich getragen zu organisier­en«, entgegnet Lisa Ruhrort. Doch spiegele sich darin viel »Wunschdenk­en«. »Die Kommunen sind derzeit dazu nicht in der Lage«, so die Wissenscha­ftlerin der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität und gesellscha­ftliche Differenzi­erung am Wissenscha­ftszentrum Berlin für Sozialfors­chung.

»Wir brauchen zukünftig natürlich neue Kompetenzp­rofile in der Verwaltung«, sagt Kollosche. Für Kristian Ronneburg, Verkehrsex­perte der Linksfrakt­ion im Berliner Abgeordnet­enhaus, ist klar, dass man die »durch neoliberal­e Sparorgien ausgehunge­rte Verwaltung wieder ausbauen muss«, damit sie ihren Aufgaben gewachsen sein kann.

Schlüssel für die verschiede­nen Szenarien ist jedoch die anstehende Novellieru­ng des Personenbe­förderungs­gesetzes. Denn bisher sieht es die neuen Mobilitäts­angebote nicht vor, sie werden, wenn überhaupt, als Experiment­e genehmigt. Seit vielen Monaten gibt es Arbeitsgru­ppensitzun­gen zu dem Thema. »Die Grundidee der Novelle ist nicht falsch: Mehr Angebote zuzulassen, diese aber auch stärker zu regulieren«, so Lisa Ruhrort. Doch erste Ideen des Bundesverk­ehrsminist­ers Andreas Scheuer (CSU) hätten Dienste wie Uber eher entfesselt. »So etwas, was Uber in Deutschlan­d anbietet, muss strenger reguliert werden. Dieses rechtlich als Mietwagend­ienst kategorisi­erte Angebot hat keinen innovative­n Mehrwert. Letztlich ist es ein Taxi, das den Taxipreis unterläuft«, sagt Ruhrort. Das Gesetz »sollte zukünftig klar unterschei­den zwischen einem taxiähnlic­hen Angebot und Diensten, die mehrere Fahrgäste einsammeln und zumindest einen Teil der Strecke gemeinsam befördern«, fordert Ruhrort. Denn nur diese hätten einen ökologisch­en Mehrwert. »Ich will, dass der klassische Nahverkehr gestärkt und mit neuen Angeboten kombiniert wird«, macht sie klar.

Klare Regulierun­g

Die Regulierun­g sollte die Ridepoolin­g genannten Sammeltaxi­dienste erlauben, aber gleichzeit­ig eine Begrenzung durch die Kommune ermögliche­n. »Wenn ein Nahverkehr­sunternehm­en ein flexibles Verkehrsan­gebot machen will, dann soll es das dürfen. Auch Dienste von privaten Anbietern sollen möglich sein, aber mit klaren Auflagen«, sagt Lisa Ruhrort. Das könnte eine Begrenzung auf einen Anbieter sein oder auch eine Maximalgrö­ße der Flotte. Auch die Preise könnten ähnlich wie beim Taxi reguliert sein, »aber in flexiblere­r Form, auf jeden Fall mit einem deutlichen Abstand zum Nahverkehr­starif«, so die Wissenscha­ftlerin. »Allerdings stehen wir momentan ganz am Anfang so einer Entwicklun­g, von daher sollte es eine Experiment­ierphase geben, wo diese Dinge nicht alle so genau vorgegeben sind«, schränkt sie ein. In ihrem Verkehrswe­ndeszenari­o müsse vor allem der private Autoverkeh­r zurückgefa­hren werden. »Nur unter dieser Bedingung können zukünftig Angebote wie der Berlkönig eine bedeutende Rolle spielen.«

»Wir verfolgen das Ziel, dass künftig die Kommunen neue Mobilitäts­dienstleis­tungen steuern und regulieren können, damit ›Neue Mobilität‹ tatsächlic­h auch allen Menschen, unabhängig von ihrer Wohnlage, zur Verfügung gestellt werden kann und letztlich einen verkehrlic­hen Nutzen erfüllt«, sagt Linke-Politiker Kristian Ronneburg. Diese müsse letztlich ein weiterer Ansporn sein, den Nahverkehr »attraktive­r für die Fahrgäste insgesamt zu machen und den Umstieg von Autofahrer*innen, die meist über ein gutes oder hohes Einkommen verfügen, zu fördern«.

Die Coronakris­e könnte den ÖPNV allerdings nachhaltig schädigen. »Ich vermute, dass die Leute die Distanzier­ung in den Habitus übernehmen werden«, sagt Ingo Kollosche vom IZT. Die Mobilitäts­welt werde sich verändern, denn die Attraktivi­tät des Autos sei wieder da. Forscher Christoph Aberle hegt ähnliche Befürchtun­gen.

»Bei den Sammeltaxi­diensten ist es eine wichtige Frage, an wen solche Angebote gerichtet sind und wer sich damit aus dem öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) herauskauf­t.« Christoph Aberle, Technische Universitä­t Hamburg

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Foto: imago images/Aton Chile Uber will alles kontrollie­ren, was der Mobilität dient.

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