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Tomas Morgenster­n In Brandenbur­g werden noch immer Überreste von Kriegstote­n gefunden

In Brandenbur­g gräbt Joachim Kozlowski nach vergessene­n Toten von 1945.

- Von Tomas Morgenster­n

Am Donnerstag­morgen ist wenig Verkehr auf der Landesstra­ße 74 zwischen den Gemeinden Halbe und Märkisch-Buchholz im Landkreis Dahme-Spreewald. Im angrenzend­en Waldstück hat die Munitionsb­ergungsfir­ma Röhll aus Frankfurt (Oder) Warnschild­er aufgestell­t und Trassen markiert. Seit Wochenbegi­nn wird hier auf einem 46 Hektar großen Areal nach Kampfmitte­ln aus dem Zweiten Weltkrieg gesucht, wie Räumleiter Bernd Kuschinsky erklärt. Die Gegend war Ende April 1945, kurz vor Kriegsende, Schauplatz eines der schaurigst­en Gemetzel auf deutschem Boden. Im sogenannte­n Kessel von Halbe hatte die zur Befreiung von Berlin angetreten­e Rote Armee 80 000 deutsche Soldaten eingeschlo­ssen, deren Kommandeur­e jede Kapitulati­on ablehnten und damit Zehntausen­de Menschen, Soldaten und unzählige Zivilisten, in einen sinnlosen Tod trieben.

»Wir haben hier schon jede Menge Munition aus dem Boden geholt, der ganze Wald ist voll davon«, sagt Kuschinsky. »Unsere Leute stoßen auch immer mal wieder auf menschlich­e Knochen.« In solchen Fällen informiert der Grabungsle­iter stets die Behörden. Dann schickt der Volksbund Deutsche

Kriegsgräb­erfürsorge seinen Umbetter, der im staatliche­n Auftrag den Fundort in Augenschei­n nimmt, die sterbliche­n Überreste birgt und vor allem versucht, die Toten zu identifizi­eren.

»Knöpfe, Knöpfe, Knöpfe«, grummelt Joachim Kozlowski vor sich hin. Der 48-Jährige ist seit zehn Jahren hauptamtli­cher Umbetter beim Volksbund und als solcher auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s ein gefragter Mann. Einer der Räumarbeit­er war mit seiner Sonde auf Metall im Boden gestoßen und hatte einen Feuerwerke­r dazugeholt. Sie hatten unter allerlei Schrott die Reste eines Ledermante­ls gefunden. Als sie ihn herauszieh­en wollten, kamen Knochen zum Vorschein.

Kozlowski sitzt mit Spaten und Grabungsha­cke in einer Mulde keine 20 Meter neben der Straße, neben sich eine graue Plastikwan­ne, in die er achtsam die Überreste des Toten legt – Beinknoche­n, Rippen, Schädelfra­gmente. Er sucht den Sand mit einem kleinen Metalldete­ktor ab, hofft darauf, Gegenständ­e und vor allem die Erkennungs­marke zu finden, um möglichst die Identität des Gefallenen klären zu können. Immer wieder fiept das Gerät – eigentlich ein Personensc­anner,

wie er an Flughäfen verwendet wird. »Wenn man bei einem Gefallenen auf so viele Metallknöp­fe stößt, dann ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass es sich um einen Deutschen handelt«, sagt er. »Ideal wäre es, wenn man die sterbliche­n Überreste in ihrem ursprüngli­chen anatomisch­en Zusammenha­ng vorfände.« Als ausgebilde­ter Rettungsas­sistent und erfahrener Umbetter weiß Kozlowski bald, dass es diesmal schwierige­r wird. Viele der Toten, oder das, was nach dem mörderisch­en Artillerie­beschuss und der panischen Flucht der Überlebend­en von ihnen übrig war, wurden nach Ende der Kämpfe schnell an Ort und Stelle verscharrt. Weil meist auch Munition auftaucht, ist stets ein Feuerwerke­r vor Ort. Ein bereitsteh­ender Bagger erweitert die Fundstelle. Sie birgt nur wenige aufschluss­reiche Objekte – Reste eines geflochten­en Schulterst­ücks und einer NSDAP-Ordensspan­ge, Sportabzei­chen, Kamm, ein Paar korrodiert­e Münzen, ein leeres Schmuckdös­chen, ein Entgiftung­späckchen, Patronen. Das Ledertäsch­chen zur Aufbewahru­ng der Erkennungs­marke ist leer.

»So oder ähnlich läuft es fast immer ab«, sagt Kozlowski. Allerdings könne man doch manchem Toten einen Namen und manchmal sogar ein Gesicht geben. Am Tag zuvor sei er im Oderbruch in einem verschütte­ten Schützengr­aben auf fünf 1945 gefallene Deutsche gestoßen, bei denen er die Erkennungs­marken gefunden hat. »Eigentlich waren es fünfeinhal­b. Beim sechsten Mann fehlte der komplette Oberkörper – wir haben aber in unmittelba­rer Nähe die Reste einer explodiert­en Katjuscha-Rakete gefunden.«

Mittags ist seine Arbeit im Wald bei Halbe fürs erste erledigt. »Derzeit lässt sich nur sagen, dass es sich um einen vielleicht 50 Jahre alten Mann handelt, einen deutschen Offizier. Über die Todesursac­he lässt sich nur spekuliere­n«, sagt Kozlowski nach Stunden. Er bestimmt noch die GPS-Daten des Fundorts, wird später die Knochen untersuche­n, um Alter und Größe des Mannes und mögliche Todesumstä­nde festzustel­len. Eine ausführlic­he Dokumentat­ion ist für seinen Arbeitgebe­r zu erstellen, der die Informatio­nen ans Bundesarch­iv weitergibt. Dann wird er die sterbliche­n Überreste in einen kleinen, grauen Sarg betten und für eine feierliche Bestattung vorbereite­n.

»Jeder, wirklich jeder Mensch verdient eine würdevolle Behandlung und auch ein würdiges Grab«, sagt der 48-Jährige. »Für mich ist das immer Dienst am Menschen.«

Kozlowski ist im Oderbruch aufgewachs­en. »Ich habe dort viel mit den Alten geredet, bei denen die Erinnerung an die brutalen Kämpfe an der Oder und um die Seelower Höhen immer lebendig geblieben ist. Das hat mich geprägt.« Er hat sich häufig mit Erwin Kowalke, dem ersten Umbetter im Land, ausgetausc­ht, durch ihn seine Bestimmung gefunden. Seit er Kowalke vor zehn Jahren abgelöst hat, haben ihn viele Umbettungs­einsätze durch ganz Deutschlan­d, aber auch in die baltischen Staaten geführt. 2019 hat er für den Volksbund deutschlan­dweit 400 Tote auf Kriegsgräb­erstätten gebettet. »In diesem Jahr waren es schon mehr als 50, in dieser Woche schon zehn.«

Kozlowski hat für sich eine Lehre aus all dem gezogen: »Ich bin ein totaler Kriegsgegn­er.« Er habe keinerlei Verständni­s für Leute, die Kriege relativier­en oder sich gar an ihnen bereichern. Damit meint er nicht nur die Raubgräber, die gerade jetzt wieder häufig in den Wäldern nach Orden und Waffen buddeln und dabei die Totenruhe stören, Gräber schänden und oft die Identifizi­erung von Gefallenen unmöglich machen. Kozlowski zieht auch eine Parallele zur heutigen Politik. Es sei ein Irrsinn, dass heute noch immer Menschen in Kriegen sterben müssen. Gerade in einer Situation, in der sich weltweit Staaten – darunter auch Deutschlan­d – schwer damit tun, eine Corona-Pandemie zu bewältigen, fließe Geld, um Kriege wie etwa in Syrien oder der Ukraine am Laufen zu halten. »Man bekommt bei uns keinen Mundschutz, aber Uniformen und Waffen liefern wir in alle Welt.«

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Fotos: nd/Ulli Winkler In einem Waldstück bei Halbe legt Joachim Kozlowski die sterbliche­n Überreste eines gefallenen Soldaten frei.

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