Keine Einigung auf Hilfen für EU-Staaten
Videogipfel vertagt gemeinsame Antwort auf die Coronakrise. Von Kurt Stenger
Letztlich war es eine Pseudo-Einigung: Bei ihrem Videogipfel beschlossen die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten am späten Donnerstagabend, dass sie sich innerhalb der nächsten zwei Wochen über gemeinsame finanzpolitische Maßnahmen einigen wollen. Vorausgegangen waren heftige Querelen, die an die Zeit der Eurokrise erinnerten.
Inhaltlich ging es um die Frage, wie Staaten unterstützt werden können, die mit der Finanzierung der Maßnahmen gegen die heraufziehende Rezession überfordert sind. Unterstützung nötig hätten Italien und Spanien, zwei hoch verschuldete Staaten, die mittlerweile weltweit am stärksten von der Ausbreitung von Covid-19 betroffen sind. In der EU umstritten ist insbesondere die Möglichkeit der Kreditaufnahme über gemeinsame Anleihen, Eurobonds, die aufgrund der Topbonität finanzstarker Staaten wie Deutschland niedrig verzinst wären. Dies lehnte eine Gruppe von Staaten aus dem Norden der EU ab, darunter Deutschland und die Niederlande. Roms Ministerpräsident Giuseppe Conte forderte »wirklich innovative und angemessene Finanzinstrumente« und drohte mit der Ablehnung der Abschlusserklärung – eigentlich undenkbar, dass ein EU-Gipfel inmitten der Coronakrise scheitert. Letztlich kam es zu dem Kompromiss der Vertagung. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Erfolg: Die EU habe sich zu einem solidarischen Vorgehen bekannt, sagte die CDU-Politikerin. »Wir sind entschlossen, diese Herausforderung gemeinsam zu bewältigen.«
Die Staaten aus dem Norden wollen lediglich Kredite aus dem Eurorettungsschirm ESM zur Verfügung stellen. Hier wären rund 410 Milliarden Euro für Darlehen frei, was angesichts der Herausforderungen als nicht ausreichend erscheint. Darüber hinaus sind die Kredite bisher mit Austeritätsauflagen verbunden, die in der Rezession fatale Wirkungen hätten. Offenbar sollen in den kommenden Tagen die Regeln überarbeitet werden.
Als »gefährliche Taktik« kritisierte der SPD-Europaabgeordneten Bernd Lange den Beschluss der EU: »In der größten Krise greifen die Mitgliedstaaten beim EU-Gipfel auf das übliche Instrumentarium zurück: Problem vertagen und Zeit gewinnen.« Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, Rasmus Andresen, forderte »Corona-Bonds« zur Stabilisierung der Volkswirtschaften und einen 60-Milliarden-EU-Nachtragshaushalt mit gemeinsamen europäischen Investitionen in Gesundheitsversorgung, Forschung und Infrastruktur. Martin Schirdewan, Vorsitzender der Linksfraktion GUE/NGL, sagte, es dürfe »keine neuen Kürzungsmaßnahmen im Gewand von Rettungsaktionen« geben. Es brauche »ausreichende Kredite ohne Bedingungen, um damit einen europäischen Marshall-Plan zum Schutz von Arbeitnehmern, Selbstständigen und der Wirtschaft sowie zur Bekämpfung des Klimawandels zu finanzieren«.
Übrigens, wenn es um den freien Binnenmarkt geht, werden sich die Regierungschefs schnell einig. In der Gipfelerklärung heißt es, man wolle die Probleme für den Warenverkehr an den geschlossenen Grenzen beheben.
Geld hilft zwar nicht gegen das Coronavirus, aber es wird jetzt in großen Mengen gebraucht, um das Gesundheitssystem zu stärken und den Wirtschaftseinbruch aufzufangen. Bekanntlich ist die Finanzstärke der Staaten extrem unterschiedlich, so dass überall eigentlich die Starken die Schwachen stützen müssten. Doch dies passiert nicht einmal in der EU, deren Regierungschefs sich bei einem Gipfel jetzt vertagt haben.
Es ist wie zu Zeiten der Eurokrise. Als einzige EU-Institution hat die Europäische Zentralbank den Ernst der Lage erkannt und öffnet den Geldhahn weit. Doch ohne europäische Finanzpolitik laufen die Aktionen zur Stärkung der Finanzakteure ins Leere. Und die nationalen Regierungen ziehen ihr eigenes Ding durch – man ist nicht einmal zur Koordinierung bereit, geschweige denn zu Solidarität mit Italien und Spanien. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat dies zwar mit deutlichen Worten kritisiert, doch der enge Draht zu Angela Merkel scheint gerissen zu sein. Brüssel würde mehr tun, ist aber, anders als uns die Rechte glauben machen will, ohnmächtig gegenüber den nationalen Regierungen.
Frankreichs Präsidenten Emanuel Macron scheint es jetzt zu reichen, er bereitet eine Initiative zusammen mit den USA und anderen Ländern vor. Ferner soll es im Rahmen der G20, zu der drei EU-Staaten und die EU-Kommission gehören, eine gemeinsame Reaktion mit Weltgesundheitsorganisation und IWF geben. Nur in Europa endet beim Geld die Freundschaft.