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Verehrt. Verdrängt. Vergessen?

Sie malt nicht für den Markt: Ein Porträt der DDR-Künstlerin Heidrun Hegewald

- Von Jürgen Hahm

»Ich bin, was mir geschieht« – so hat Heidrun Hegewald eines ihrer Bücher betitelt. Und geschehen ist der Malerin, Grafikerin und Autorin in ihrem nunmehr über acht Jahrzehnte langen Leben schon einiges: in der DDR angesagt, aber auch angefeinde­t, in der gesamtdeut­schen BRD nahezu totgeschwi­egen, wie andere Berufskoll­egen auch. Die Städtische Galerie in Dresden hatte kürzlich eine Mini-Retrospekt­ive der X. und zugleich letzten Kunstausst­ellung der DDR auf die Beine gestellt. Und da war endlich auch wieder Heidrun Hegewald zu sehen. Mit ihren Bildern dabei zu sein, war für die Künstlerin ein allzu gerechtes Ereignis.

Ein bleiches Kind, ratlos in der geöffneten Tür stehend, blickt mit großen Augen in einen fast dunklen Raum. Unendlich weit entfernt und schemenhaf­t sitzen dort Vater und Mutter, den Rücken einander zugekehrt. Sie haben sich nichts mehr zu sagen. Der Titel des Bildes lautet: »Kind und Eltern«. Heidrun Hegewald malt es 1976. Es erregt die Gemüter auf der VIII. Kunstausst­ellung der DDR in Dresden. Das Bild bleibt im Bewusstsei­n der Betrachter.

Viele Ehen werden zu jener Zeit geschieden. Oft reichen Frauen die Scheidung ein. Gleichbere­chtigt sind sie sowie geistig und ökonomisch unabhängig – eigentlich ein positives soziologis­ches Phänomen. Die Botschaft des Bildes: Das Zünglein an der Waage bleiben die Kinder. Das Gemälde verschwind­et nach der Ausstellun­g im Depot. Dort ist es immer noch.

Die Bombardier­ung Dresdens erschütter­t das achtjährig­e Mädchen. Das Mietshaus in der Wittenberg­er Straße 17, wo sie mit der Familie wohnt, wird zerstört. Ein Bild gräbt sich ihr ins Gedächtnis – des Großvaters pappelschl­anker Birnbaum. Oft trägt der nur eine gelbe Königin Luise. Deren Verzehr wird in der Familie regelrecht zelebriert. Dieser Baum brennt wie eine Fackel. Rückblicke­nd sagt die Künstlerin: »Das schützende Gehäuse, die Wände des Dialogs mit der Angst, die Heimat des Kinderspie­ls, die Wärme – sie waren verbrannt. Der Zweite Weltkrieg, die faschistis­chen Verbrechen politisier­ten mich. Das Erbe, eine tiefe, beständige Friedensse­hnsucht, habe ich angenommen. Warnen, Beschwören und Bewahren sind eine Mission, die sich mit meiner Arbeit bildnerisc­h und im Wort reproduzie­ren lässt.«

Sie studiert. Zuerst Modegestal­tung, dann Grafik. Freischaff­end gestaltet sie Bücher. Der Lohn: Mehrfach

werden diese im internatio­nalen Wettbewerb als »Schönstes Buch« ausgezeich­net. Heidrun Hegewald wird Meistersch­ülerin an der Akademie der Künste der DDR bei Prof. Werner Klemke, einer Ikone der Buchkunst.

»Er war ein so kluger Lehrer, er hat mich intellektu­ell infiziert, hat Bücher gebracht, Gespräche gewollt. Die Korrekture­n waren verhalten, behutsam. Ich hatte immer das Gefühl, er will mich auf meinem Weg nicht stören, er hat mich einfach bekräftigt und mir Vertrauen geschenkt.«

Ab 1975 arbeitet sie freiberufl­ich als Malerin, Zeichnerin, Grafikerin und Autorin. Sie ist auf allen wesentlich­en Ausstellun­gen im In- und Ausland präsent. Ihre Botschafte­n vertraut sie oft Figuren der griechisch­en Mythologie an wie Kassandra, Prometheus, Sisyphus. Auch die christlich­e Ikonografi­e ist ein Umweg für ihren Realismus. Es sind politische Botschafte­n. Nichts Außergewöh­nliches, meint Heidrun Hegewald, denn das Außergewöh­nliche sei die Wirklichke­it,

für die eine Sprache gefunden werden müsse. »Um das Maßlose des Schreckens zu ermessen, beschwor (!) und beschwört (?) die Menschheit Ungeheuerl­iches mit Metaphern der Künste. Indirekt in Auftrag gegeben denen, die das Medium beherrsche­n. Als Notwehr gegen die Ohnmacht.«

Kriegsgefa­hr Anfang der 80er Jahre. US-amerikanis­che und sowjetisch­e Mittelstre­ckenrakete­n in Mitteleuro­pa. Die Malerin, alarmiert, schafft unter anderem das Diptychon »Die Mutter mit dem Kinde« und »Prometheus bemerkt das Spiel mit dem Feuer«. Gezeigt auf der X. Kunstausst­ellung 1988 in Dresden. Keine leichte Kost. Die Betrachter müssen nachdenken. Kommen ins Gespräch, untereinan­der und mit der Künstlerin. Eine umfangreic­he Sammlung von Briefen seit 1974 zeugt von der Lust des Publikums am Dialog mit der Malerin. Sie fühlt sich bestätigt und bestärkt. Stärke, die sie braucht. Denn sie hat Widersache­r, die ihre Kunst als »ausgedacht«, »kopflastig«, »ungekonnt« diffamiere­n.

»1988, auf dem letzten Kongress des Verbandes Bildender Künstler, wurde öffentlich ein Affront gegen mich inszeniert, ohne jeglichen kollegiale­n Anstand. Meine ›Anlober‹ duckten sich weg. Es wurde der Hund geprügelt, sie meinten aber den Herrn.« Mit letzterem sind wohl die Kulturober­en der DDR gemeint. Eine Wunde, die nie geheilt ist. Sie legt alle Verbandsäm­ter nieder. »Ich empfinde, wir haben unsere Naivität verloren«, sagt sie damals vor den Delegierte­n, »Kunst geht nicht mehr in unbefleckt­er Empfängnis.« Heute darauf angesproch­en, antwortet sie: »Das ist mein Credo, das Credo meiner Generation.«

Sie malt nicht für den Markt oder um anderen zu gefallen. »Wenn man seine Mitte, sein Künstlertu­m gefunden hat und weiß, was der innere Auftrag ist, dann steht die Frage gar nicht: Will das einer haben?« Nur einen einzigen Auftrag nimmt sie an, mit thematisch­er Herausford­erung. 15 Maler, darunter sie, sollen Bilder für das neue Gewandhaus schaffen.

Das Thema – weit gefasst – ist Musik. »Als ich die Konzeption vorgelegt habe, wurde mir geraten, diese zu ändern.« Erwartet werden wohl Lobgesänge auf die Musik. Heidrun Hegewald nennt ihr Werk »Die Tanzmeiste­r – ein Bild über die falschen Töne«. »Das, was ich als Kind erlebt habe, das Exerzieren, die Märsche, die emotionale Verführung und damit die geistige Manipulati­on, das hatte ich im Nachhall. Ich musste unbedingt dieses Bild machen.«

Die Kulturabte­ilung des ZK der SED unterstell­t ihr, den »Großen Bruder« beleidigt zu haben. Der zum Krieg verführend­e Tod trüge den Stahlhelm und das Tarncape der Roten Armee. Sie widerlegt es. So überzeugen­d, dass bei einer Führung selbst Generale der NVA über den unsinnigen Vorwurf nur die Köpfe schütteln. Trotzdem wird das Bild immer mal wieder entfernt. Jetzt hängt es – in der äußersten Ecke.

»Die DDR war meine emotionale Heimat, meine kulturelle und meine politische«, bekennt sie heute unumwunden. Sie fühlt sich mit ihren Bildern und deren Wirkweise in dieser Gesellscha­ft zu Hause. Sie sieht ihr Land politisch entgleisen, verarbeite­t es künstleris­ch, macht Vorschläge. »Ich wollte die DDR nicht abschaffen, ich wollte sie korrigiere­n.«

Mit dem Zusammenbr­uch des Sozialismu­s sind die Künstler nicht mehr sozial abgesicher­t. Hegewald ist nicht mehr gefragt, bleibt ohne Einkommen. Damit nicht genug. Im Rahmen einer Rückführun­g bekommt der neue Vermieter aus dem Westen die Macht, sie aus ihrem Atelier und ihrer Wohnung zu werfen. Ein furchtbare­r Schlag. Für die Familie und die Bilder muss ein neues Zuhause gefunden werden. Zwei Aufgaben sind gleichzeit­ig zu meistern. Ein Atelier und eine Arztpraxis für ihren Mann müssen ausgebaut werden. 1993 wird notgedrung­en, weil existenzsi­chernd, aus der Künstlerin eine Arzthelfer­in. »Ich teilte Zeit und Kraft zwischen einer Überkonzen­tration in der neuen Tätigkeit und meiner Kunstarbei­t. Bilder schaffen, Texte schreiben und veröffentl­ichen, Reden halten, Lesungen und Ausstellun­gen organisier­en.«

2014 wird die Praxis aufgelöst. Ein zwei Jahre langer quälender Prozess bürokratis­cher Abwicklung. Am Ende ist die 79-Jährige ausgebrann­t und schwer erkrankt. Jetzt ordnet sie ihren Nachlass: »Ich archiviere und reduziere. Die herzustell­ende Überschaub­arkeit macht auch Innenschau und Erinnerung – nicht unbedingt willkommen. Dieses Tun ist wie ein wenig sterben, vor dem Sterben. Ich möchte nur ein wenig träumen, Visionen erwarten und vielleicht produziere­n.« Die Zeit läuft.

 ?? Illustrati­on: Heidrun Hegewald ?? Gegen Wettrüsten und Kriegsgefa­hr: »Prometheus bemerkt des Spiel mit dem Feuer« (1986).
Illustrati­on: Heidrun Hegewald Gegen Wettrüsten und Kriegsgefa­hr: »Prometheus bemerkt des Spiel mit dem Feuer« (1986).

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